Trauerfeier:München gedenkt der Opfer des Amoklaufs

Hunderte Menschen drängen sich in der Frauenkirche, die Spitzen der Bundespolitik sind gekommen. Gerade bei den Menschen rund um den Tatort zeigt sich, wie tief die Wunden sind.

Von Jakob Wetzel

Es ist die Frage, vor der sie alle stehen nach dieser Woche der Trauer: Wie soll es, wie kann es weiter gehen? Gemeinsam, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Es ist Sonntagnachmittag, der evangelisch-lutherische Landesbischof predigt in der Münchner Frauenkirche. In den Holzbänken vor ihm sitzen ungezählte Menschen, darunter die Spitzen der Bundesrepublik, der Bundespräsident, der Bundesratspräsident, die Bundeskanzlerin, sowie der bayerische Ministerpräsident und mehrere Minister. Angehörige der Toten sind gekommen und viele mehr, die Menschen stehen in den Gängen.

Gerade haben Vertreter christlicher und jüdischer Gemeinden Bittgebete vorgetragen. Hajer Dhahri vom Muslimrat München hat das wohl bewegendste Gebet gesprochen: "Allah, wir bitten Dich um Hilfe für uns, unsere Menschlichkeit nicht zu verlieren", hatte sie gesagt. Auch der katholische Hausherr, Erzbischof Reinhard Marx, hat bereits gesprochen: Man müsse das Verbindende betonen, das gemeinsame Mensch-Sein, nicht das Trennende. "Wir brauchen einander", sagt nun auch Bedford-Strohm. Keiner könne den Familien der Toten ihre Lieben wiedergeben, aber man könne das Leid gemeinsam tragen, über alle religiösen und kulturellen Grenzen hinweg.

Eine Woche lang hat die Stadt München um die Opfer des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) getrauert; am Sonntag hat sie mit einem zentralen ökumenischen Gottesdienst in der Frauenkirche der Toten gedacht. Die offizielle "Woche der Trauer", die Oberbürgermeister Dieter Reiter nach der Bluttat ausgerufen hatte, ist nun beendet; weitere Trauerfeiern planen weder Stadt noch Kirchen. Die Kondolenzbücher, die im Rathaus und im OEZ auslagen, sind geschlossen. Doch die Trauer selbst und der Schrecken sind noch in den Köpfen, besonders in Moosach.

Wie die Menschen rund um den Tatort Abschied nehmen

Hier, am Tatort, verharrten noch am Wochenende immer wieder Menschen vor den zahllosen abgelegten Briefen und Blumen; einzelne Kerzen brannten noch, viele Blumen sind frisch geschnitten. In der Pfarrkirche St. Martin an der Leipziger Straße, nicht mehr als etwa einen Kilometer vom OEZ entfernt, hatten bereits am Samstag etwa 200 Menschen mit einem "Requiem für Moosach" Abschied genommen, mit Gebeten explizit für alle Toten.

Zu Beginn zündeten sie hinter dem Altar zehn Kerzen an, eine für jedes der neun Opfer, eine auch für den Täter - "und zugleich für alle Opfer von Terror", sagte Pfarrer Martin Cambensy. Vor der Osterkerze lag eine Friedenstaube aus Teelichtern, dazu wurde aus Papierbuchstaben mehrmals das Wort "Frieden" gelegt. In die Gebete schloss Cambensy den Amokläufer und seine Angehörigen ausdrücklich ein. Für die Gemeinde in Moosach stand die ganze vergangene Woche auf besondere Weise im Zeichen der Trauer.

Jeden Abend hatte sie ihre Kirche geöffnet, um den Gläubigen einen Raum anzubieten, um zu beten, zu singen und zu sprechen. Und jetzt? "Über eine Woche ist vergangen, aber unsere Gedanken haben sich noch nicht sortiert", sagte Cambensy am Samstag im Gottesdienst. Der Schmerz und die Fragen würden lange bleiben. Aber zumindest die Solidarität, die sich am Freitag nach dem Amoklauf gezeigt habe, mache Mut: "Man kann sich darauf verlassen, dass sich die Menschen gegenseitig helfen."

Walter und Gudrun Heinrich sind da skeptischer. Sie wohnen direkt gegenüber dem OEZ. Walter Heinrich kam am Tag des Amoklaufs erst abends heim, Gudrun Heinrich aber hat die Schüsse gehört, die Menschen fliehen sehen und auch einige aufgenommen und mit Getränken versorgt, bis die unfreiwilligen Gäste um halb drei Uhr nach Hause gehen konnten. Sie wohne im siebten Stock, sagt sie. In den darunterliegenden Stockwerken habe den Flüchtenden keiner die Tür geöffnet, obwohl sie überall geklingelt hätten.

"Es ist so traurig, einfach so traurig"

Bis die Bilder dieses Freitags vergehen, werde es noch lange dauern, glaubt Walter Heinrich. Im Olympia-Einkaufszentrum sei in dieser Woche deutlich weniger Betrieb gewesen. "Man wird ja auch durch die Blumen immer wieder daran erinnert. Erst wenn die weggeräumt sind, wenn die Kränze verschwunden sind, kehrt vielleicht wieder etwas Normalität ein."

Drei Mal sei er in der vergangenen Woche im Olympia-Einkaufszentrum gewesen, sagt er. Die Schulferien hätten da noch nicht begonnen gehabt. "Aber es waren weit weniger Leute da als sonst." Und es sind nicht nur Bilder des Amoklaufs, die nicht vergehen. Ein Moosacher berichtet, er sehe immer wieder ein weinendes Mädchen vor sich, das vor den Blumen am OEZ stand.

Die Mutter versuchte, das Kind zu trösten, aber sie konnte nicht. "Es war fürchterlich." Das Gefühl der Ohnmacht lähme die Menschen, warnt am Sonntag Erzbischof Marx in der Frauenkirche. Doch genau das sei es, was alle Attentäter wollten: eine Atmosphäre der Hilflosigkeit, der Angst und des Misstrauens, die eine Gesellschaft vergiftet. Über die Opfer müsse man klagen, aber diese Klage dürfe nicht ohnmächtig werden. Nötig sei es jetzt nicht nur, wachsam zu sein. Gefordert sei auch eine neue Aufmerksamkeit füreinander, für das, was in den anderen Menschen vorgeht. Die richtige Antwort sei es, zusammenzurücken.

Zum Moosacher Gottesdienst am Samstag war auch Sabine Keramati gekommen; sie ist Rektorin der Mittelschule neben der Kirche. Viele ihrer Schüler seien tief getroffen, einige seien Augenzeugen des Amoklaufs geworden, erzählte sie. Die Lehrer hätten die ganze Woche über intensiv mit ihnen gearbeitet, um das Erlebte zu verarbeiten.

Die Schulferien kämen jetzt eher ungelegen; man wisse ja nicht, wie es für die Kinder weitergehe, viele Eltern seien ebenfalls traumatisiert. Zum Schuljahresende hätten sie eine große interreligiöse Feier organisiert; nun müsse man nach vorne blicken, sagte Keramati: Was gewesen sei, könne man nicht ändern, nur als Gemeinschaft das Beste daraus machen - als Gemeinde oder auch als Schule.

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