Trauerfeier:Adieu, verruchtes Schwabing

Trauerfeier: Etwa 200 Weggefährten haben bei Trauerfeier auf dem Nordfriedhof von Gisela Jonas-Dialer Abschied genommen.

Etwa 200 Weggefährten haben bei Trauerfeier auf dem Nordfriedhof von Gisela Jonas-Dialer Abschied genommen.

(Foto: Robert Haas)

Sie war Legende und Institution zugleich: Gut 200 Weggefährten haben die Wirtin Gisela Dialer-Jonas zu Grabe getragen. Besonders häufig fiel das Wort "verrucht" in der Trauerrede von Christian Ude.

Von Stephan Handel

Die naheliegende Metapher hat er sich dankenswerter Weise gespart, der Pfarrer Rainer Maria Schießler: dass es nämlich nicht der Novak ist, der uns nicht verkommen lässt, sondern der Herr Jesus. Stattdessen sprach Schießler lieber von Maria Magdalena, und das passte natürlich auch - denn die Begleiterin Jesu war ja eine Sünderin, und als solche galt in den 1950er Jahren auch die "Schwabinger Gisela". Ihr berühmtestes Lied: "Der Novak lässt mich nicht verkommen". Vor zwei Wochen ist Gisela Dialer-Jonas 85-jährig gestorben. Am Samstag wurde sie auf dem Nordfriedhof bestattet.

Es mögen gut 200 Menschen gewesen sein, die zur Trauerfeier kamen, inklusive einiger Kiebitze auf der Suche nach Prominenten. Sie wurden enttäuscht: Die Schauspielerin Ilse Neubauer war da und Christian Ude nebst Frau Edith, wegen des alten Rückenleidens im Rollstuhl. Der Alt-OB war zur Anwesenheit verpflichtet, denn er hielt die Trauerrede. Zunächst aber sang Silvano, Giselas Wegbegleiter, das Ave Maria, mit kräftiger, klarer Stimme, wiewohl ihn selbst die Last der Jahre gehörig über seine Gitarre drückte.

"Vergilt ihr, was sie den Menschen war und was sie ihnen gegeben hat" - das war das Fazit und die Schluss-Bitte von Pfarrer Schießlers Predigt, bei der er einen weiten Bogen spannte von Maria Magdalena zur Schwabinger Gisela: dass es nämlich am Ende nicht darauf ankomme, ob jemand immer alle Regeln, Gebote, Vorschriften befolgt habe - sondern was er aus seinem Leben gemacht habe: "Die größte Sünde ist ein ungeteiltes Leben."

Das war eine Vorlage für Christian Ude; er erinnerte an den Pfarrer aus Bonn, zu dem Giselas bigotte Großmutter ihre Enkelin wegen erwiesener Schamlosigkeit geschleppt hatte und verglich diesen mit Schießler - "ich muss schon sagen, die Kirche hat sich seitdem prächtig entwickelt". Dann fächerte Ude noch einmal das Leben der Gisela auf, Geburt in Moers, der Versuch, Tänzerin zu werden, Lehre als Automechanikerin, schließlich der Schritt in die Gastronomie und dann, 1952, die Eröffnung ihres Lokals "Bei Gisela" in der Occamstraße, mit 23 Jahren, als Deutschlands damals jüngste Wirtin.

Von diesem Punkt der Rede an fiel recht oft das Wort "verrucht", das heute seine Bedeutung ja so gut wie verloren hat: Wenn nichts mehr verboten ist, wenn keine Grenzen mehr zu überschreiten sind, wenn alles bekannt, erlaubt und öffentlich ist, dann ist kein Platz mehr für Verruchtheit. Ein Wort also, das wie ein alter Duft herüberweht aus vergangenen Zeiten, und viele der Anwesenden, selbst schon seit einiger Zeit im Alter für monatlichen Rentenbezug, schauten so drein, als wären das damals wirklich die viel schöneren Zeiten gewesen.

Ude sprach dann noch vom "Schwabinger Geist" und dass dieser heute immer weniger Plätze finde, wo er sich entfalten könne, was aber wahrscheinlich weniger an Schwabing und seinem Geist liegt als am Wandel der Zeit: Früher gab's Franz Josef Strauß, der mal im Lokal wartete, bis er mit Gisela alleine war, während die sich schon über die Toilette davon gemacht hatte. Heute gibt's das Internet, das jedes Geheimnis, jede Exotik und Erotik, jede Verruchtheit in Echtzeit hinwegtwittert.

Dennoch: Eine "Erfrischung in muffigen Zeiten" sei sie gewesen die Gisela, sagte Ude, eine "Legende und Institution unserer Stadtteils". Das wiederum wendete noch einmal Rainer Schießler in Theologische: Er, sagte der Pfarrer, habe den lieben Gott in manchen Kneipen besser kennengelernt als in manchem Bibelkreis, was sich jeder gut vorstellen kann, der den Priester ein bisschen kennt. Am Ende erzählte Schießler übrigens noch einen kirchenfeindlichen Witz.

Jenny Evans sang "Amazing Grace" und "Bye bye, Blackbird", dann erklang aus den Lautsprechern Giselas Stimme: "Schwabinger Laterne - Großstadtillusion", und nun wurden doch noch ein paar Tränen verdrückt. Nun ging's hinaus zur Urnenbestattung, wo ein Chor das Feierabend-Lied sang, wie zur Bestätigung, dass es nun endgültig vorbei ist, mit der Verruchtheit und mit dem Leben der Gisela Dialer-Jonas.

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