Transplantationen am Klinikum rechts der Isar:Eine schwierige Operation

Wurde am Klinikum rechts der Isar bei Transplantationen getrickst? An dem Münchner Krankenhaus hat man diesen Verdacht anfangs empört zurückgewiesen - doch nun gerät auch der Ärztliche Direktor unter Druck. Eine Chronik der Ereignisse.

Christina Berndt

Germany Debates Organ Transplant System

Das Vertrauen ist erschüttert: Nur scheibchenweise gelangen Informationen über die Ausmaße des Organspende-Skandals vom Klinik rechts der Isar an die Öffentlichkeit. 

(Foto: Getty Images)

Am Anfang stand das Dementi. Es gebe, versicherten die Verantwortlichen am Klinikum rechts der Isar, keinerlei Hinweise auf Manipulationen. Gewiss, es gebe ein paar Auffälligkeiten, räumte der Ärztliche Direktor Reiner Gradinger ein. Aber man habe nicht bewusst Patienten bevorzugt. So wie in Regensburg oder Göttingen sei es nicht zugegangen.

Gut zwei Wochen später erscheinen die Dementis wie Nachrichten aus einer anderen Zeit. Denn nach und nach kam in den vergangenen 16 Tagen heraus, dass auch am Rechts der Isar offenbar Patientendaten manipuliert wurden und Patienten operiert wurden, obwohl sie laut Warteliste noch gar nicht an der Reihe waren. Und nun gerät - dies ist die neueste Entwicklung - auch Klinikdirektor Gradinger in Erklärungsnot.

Am späten Donnerstagabend überraschte das Klinikum mit dem Eingeständnis, Gradinger sei anders als bislang bekannt doch bereits im Januar 2010 auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen worden. Informiert habe ihn der Direktor der II. Medizinischen Klinik. Dieser habe auch den Leiter des Transplantationszentrums und den Direktor der Chirurgischen Klinik auf Manipulationen bei einer Lebertransplantation hingewiesen, die mehrere Ärzte beobachtet haben wollen und in Gedächtnisprotokollen festgehalten hatten. Es ist die vorerst letzte Wendung in einer Geschichte, bei der nur scheibchenweise die ganze Wahrheit herauskommt.

Ein Verdacht und seine Leugnung

Alles beginnt am 26. September. Da meldet die Bundesärztekammer (BÄK), am Rechts der Isar seien Unregelmäßigkeiten bei Lebertransplantation aufgefallen. Eine Sonderprüfung sei nötig. Während BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery Parallelen zu den Vorfällen in Göttingen und Regensburg zieht, wo Ärzte in mehr als 60 Fällen Patienten durch Datenmanipulation zu einer Spenderleber verholfen haben sollen, verneint das Klinikum jeglichen Verdacht auf vorsätzliche Manipulationen. Auch der bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) hält eine aktive Manipulation für unwahrscheinlich, ebenso die Staatsanwaltschaft München I.

Der Verdacht wächst

Zwei Tage nach dem ersten Manipulationsverdacht berichtet die Süddeutsche Zeitung am 28. September von sechs besonders zweifelhaften Fällen: zweien mit manipulierten Laborwerten, zweien mit fälschlicherweise vorgegebener Dialyse und zweien bei Krebspatienten, die aufgrund ihrer Metastasen womöglich gar nicht auf die Warteliste hätten gesetzt werden dürfen.

Erste Fehler werden eingeräumt

Am 29. September räumt der Leiter des Transplantationszentrums, Uwe Heemann, ein: "Wir haben Fehler gemacht." Einzelne Patienten seien zu Unrecht bevorzugt behandelt worden. Aus den Fehlern habe man gelernt. Vorsätzliche Manipulation schließt er weiter aus.

Das nächste Eingeständnis der Klinik folgt am 3. Oktober: "Wir müssen davon ausgehen, dass in einem Fall manipulierte Laborwerte zu einer Transplantation geführt haben könnten", teilt Gradinger mit. Es geht um einen Fall vom Januar 2010. Auf den Vorsatz sei man erst nach der Rückkehr eines Mitarbeiters aus einem Urlaub gestoßen. Dieser habe auf Gedächtnisprotokolle hingewiesen, von denen die Klinikleitung nichts gewusst habe. Wenig später wird bekannt: Um die Transplantationszahlen zu steigern, sollen am Rechts der Isar zum Teil Patienten operiert worden sein, die die Kriterien für die Aufnahme auf die Warteliste nicht erfüllten. Dazu gehörten Alkoholkranke, die zuvor in Großhadern für eine Transplantation abgelehnt wurden.

Erste Hinweise gab es schon 2010

Am 6. Oktober wird deutlich, dass die Hinweise auf kriminelle Machenschaften am Klinikum rechts der Isar bereits seit Januar 2010 bekannt waren. Zunächst heißt es, davon habe nur der Direktor der II. Medizinischen Klinik gewusst. Er habe entsprechende Gesprächsprotokolle verwahrt. Noch am gleichen Tag entzieht Wissenschaftsminister Heubisch das Transplantationszentrum des Rechts der Isar den drei bis dahin verantwortlichen Ärzten: Es werde ab sofort aus den bisherigen Strukturen herausgelöst und kommissarisch geleitet.

Was wusste der Ärztliche Direktor?

Bis diese Woche hatte es geheißen, der Internist, der die Gedächtnisprotokolle verwahrt habe, habe von dem Manipulationsverdacht gewusst, diesen aber für sich behalten. Dass dem nicht so war und der Arzt sich um Aufklärung bemüht hat, belegt nun ein Antwortschreiben Gradingers vom 5. Februar 2010 an alle drei involvierten leitenden Ärzte. Darin teilt Gradinger mit, er sei dem gemeldeten Verdacht nachgegangen. In dem Schreiben, über das der Bayerische Rundfunk (BR) am Donnerstag berichtete, heißt es: "Die Überprüfung des Ablaufs der Lebertransplantation ergibt, dass kein Fehlverhalten vorliegt." In seiner Pressemitteilung ergänzt das Klinikum, man sei damals zu dem Ergebnis gekommen, "dass eine Verwechslung von Laborröhrchen vorgelegen habe".

In ihren Gedächtnisprotokollen weisen die Ärzte darauf hin, dass zwei Patienten wegen eines ungesund hohen Blutwertes auf die Warteliste für eine Lebertransplantation kamen. Doch die Blutproben mit den hohen Werten stammten von einer dritten, bislang unbekannten Person.

Staatsanwaltschaft hat bislang keine Hinweise auf Organspende-Skandal

Überraschendes Eingeständnis: Anders als anfangs behauptet, hat Reiner Gradinger, ärztlicher Direktor des Klinikums rechts der Isar, doch schon 2010 von Unregelmäßigkeiten erfahren.

(Foto: dapd)

Weil die Unregelmäßigkeiten aufgefallen waren, soll einer der zwei Patienten nach SZ-Informationen wieder von der Warteliste genommen worden sein; bei der zweiten Person, einer Frau, war dies nicht mehr möglich: Sie bekam schon am folgenden Tag eine Spenderleber, obwohl sie laut BR auf der Warteliste "relativ weit unten" gestanden habe, bevor sich ihre Blutwerte dann - durch Verwechslung oder Manipulation - überraschend verschlechterten. Die falschen Laborwerte wurden klinikintern gelöscht, sollen aber unverändert an die Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant übermittelt worden sein.

Ein Abgleich der klinikinternen Werte mit den Meldedaten bei Eurotransplant hätte somit wohl schon im Januar 2010 den Verdacht auf Manipulation erhärten können. Ob das Klinikum bei Eurotransplant angefragt hatte, um den Verdacht zu prüfen, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären. Offen ist auch, wie intensiv die weiteren Nachforschungen waren. Während Gradinger sagt, er habe alle Beteiligten gefragt, bestreiten Klinikmitarbeiter im Gespräch mit der SZ, dass Gradinger sie befragt habe.

Der Ärztliche Direktor äußerte sich auf Anfrage am Freitag nicht weiter zu dem Fall. Der Klinikleiter, der die Gedächtnisprotokolle verwahrte, teilte mit, er könne sich nicht äußern, da er der Verschwiegenheitspflicht unterliege. Minister Heubisch betont, er nehme "das Ganze sehr ernst" und behalte sich weitere Schritte vor.

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