Traditionslokal:Erinnerungen an das wilde Schwabing

Das Drugstore am Wedekindplatz gibt es seit 1967. In der Flower-Power-Zeit waren hier Mick Jagger und Romy Schneider zu Gast. Nach dem Tod des Wirts will dessen Sohn Nader Saffari das Lokal retten

Von Gerhard Fischer

Nader Saffari hat fulminante Koteletten, die unter einer Schiebermütze hervorschauen. An die wuchtigen Koteletten des Mungo-Jerry-Sängers Ray Dorset kommen sie nicht heran, aber sie verlaufen schon sehr breit von den Ohren bis fast zu den Mundwinkeln. Das Zweite, was an Nader Saffari auffällt, ist seine dominante Leutseligkeit. Er wuselt durch sein Lokal, gibt Anweisungen und hat freundliche Worte für jeden, der seinen Weg kreuzt. Er bewegt sich wie ein Fisch im Wasser. Obwohl er quasi neu ist.

Am 4. Oktober ist sein Vater Jahangir Saffari, der Wirt des Drugstore in Schwabing, mit 78 Jahren an Krebs gestorben. Jonny Saffari, wie er genannt wurde, hatte das Lokal mehr als 40 Jahre lang geleitet. Mick Jagger und Romy Schneider waren zu Gast im Drugstore, früher, in der Flower-Power-Zeit im wilden Schwabing. Das wilde Schwabing ging, das Drugstore blieb. Und soll bleiben. "Dieses alte Stück Schwabing darf nicht sterben", sagt Nader Saffari, 48. Er will das Lokal, das der Brauerei Maierbräu gehört, weiterführen. Die Chancen stehen gut.

Saffari hat sich an einen Tisch im Nebenzimmer gesetzt. Hinter ihm hängen Gemälde. Das ist schon mal neu: eine Galerie im Drugstore. "Ich will im Nebenzimmer Kultur anbieten: Lesungen, Kleinkunst, Konzerte", sagt er. Den Raum will er dann vielleicht "Jonnys Oase" nennen - als Reminiszenz an seinen Vater.

Nader Saffari schaut vom Nebenraum ins Restaurant hinüber, zuerst geht sein Blick an die Decke, wo ein paar alte Leuchten angebracht sind, dann auf den Boden. "Ich will ein neues Lichtkonzept. Und der Teppichboden muss raus", sagt er. Dann lacht er. Der Vater, sagt Nader Saffari, habe unbedingt einen Teppichboden haben wollen und es so begründet: "Im Bayerischen Hof ist auch ein Teppichboden."

Traditionslokal: Nader Saffari will das Lokal, das der Brauerei Maierbräu gehört, weiterführen. Die Chancen stehen gut.

Nader Saffari will das Lokal, das der Brauerei Maierbräu gehört, weiterführen. Die Chancen stehen gut.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Auch am Speiseplan will Saffari etwas ändern. "Ich habe keine Lust auf Industriefleisch", sagt er, "ich will regionales, biologisches Fleisch anbieten." Er wünsche sich generell "etwas mehr Kreativität" beim Essen. "Ich will hier zwar mit dem harten Besen durchgehen, aber es wird kein piekfeines Lokal werden - ich will die Seele und das Antlitz des Lokals erhalten, mit seiner gutbürgerlichen, einfachen, internationalen Küche." Es müsse das "Wohnzimmer-Feeling" erhalten bleiben.

Nader Saffari hält inne. Das, wovon er redet, wird nicht sofort umgesetzt werden. "Es wird erst mal keine großen Investitionen geben", sagt er, "erst muss die Zukunft geklärt sein, bis Ende April gibt es hier nur Kosmetik." Saffari hat mit Maierbräu gesprochen und der Pachtvertrag, der ursprünglich bis Februar lief, ist erst mal bis Ende April verlängert.

Er geht kurz weg, ein Mitarbeiter will etwas von ihm. Die Buchhalterin setzt sich stattdessen an den Tisch. Nader Saffari sei mit großer Leidenschaft dabei, sagt sie, er hänge sich voll rein. Sie sei zuversichtlich, was die Zukunft des Drugstore angehe. Dabei war zunächst nicht mal klar, ob Nader Saffari das Lokal überhaupt übernehmen will, er ist eigentlich selbständiger Kameramann und Fotograf. Als die Buchhalterin wieder gegangen und Saffari an den Tisch zurückgekehrt ist, erzählt er, dass er zur Jahrtausendwende mal beim Vater im Drugstore ausgeholfen habe; ein halbes Jahr lang. "Es gab Reibungen", sagt Saffari. "Vater-Sohn-Clash." Nader Saffari zog sich wieder zurück.

Vor einiger Zeit wurde der Vater krank. Schon ein paar Monate vor seinem Tod half Nader Saffari wieder im Drugstore mit, Einkäufe machen, solche Sachen. Als Jonny Saffari dann Anfang Oktober starb, hat der Sohn zunächst gedacht, man müsse das Drugstore wenigstens bis Ende Februar weiterlaufen lassen - "würdevoll, wegen der Angestellten". Aber dann sei etwas in ihm "in Gang gekommen", sagt er. Sollte er nicht richtig einsteigen? Das Drugstore ganz weiterführen? Er dachte sich: "Ich poste immer: Gentrifizierung pfui Deibel, und jetzt habe ich es selbst in der Hand, ein Traditionslokal zu bewahren." Schließlich kam er zu dem Schluss: "Ich bin es mir schuldig, das zu bewahren."

Traditionslokal: Das wilde Schwabing ging, das Drugstore blieb. Und soll bleiben. "Dieses alte Stück Schwabing darf nicht sterben", sagt Nader Saffari.

Das wilde Schwabing ging, das Drugstore blieb. Und soll bleiben. "Dieses alte Stück Schwabing darf nicht sterben", sagt Nader Saffari.

(Foto: Robert Haas)

Das Drugstore am Wedekindplatz gibt es seit 1967, es ist ein paar Monate älter als Nader Saffari selbst. Die iranischen Brüder Anusch und Temur Samy hatten es damals eröffnet - als Café, Restaurant, Bar und Disco. In der besten Zeit kamen 2000 Leute täglich: Hippies, Künstler und Prominente wie Jagger und Schneider, Uschi Obermeier und Udo Jürgens. Die Samy-Brüder hatten weitere Restaurants, Boutiquen, ein Shoppingcenter namens "Citta 2000", ein Nonstop-Kino - und den Beatschuppen "Blow Up" in der Schauburg.

Anusch Samy war erst 35, als er im März 1970 bei einem Flugzeugabsturz starb. Die Abendzeitung titelte damals: "Schwabings König ist tot." Cousin Jonny Saffari, bislang Geschäftsführer im Drugstore, stieg ein. Saffari war als Medizinstudent nach München gekommen, jetzt war er Gastronom.

Heute ist im ersten Stock des Drugstore keine Disco mehr beheimatet, sondern das Theater Heppel und Ettlich. Am Fuß der Treppe steht immer noch, wie schon seit Jahrzehnten, der Kiosk - ein Standl im Lokal, das hat Charme. Es wirkt alles bodenständig, unaufdringlich, einfach, draußen vor der Tür wird der Schweine-braten als "Echte Sauerei" angeboten. Die Preise sind für Schwabing moderat. An diesem Freitagnachmittag ist das Café passabel besucht.

Nader Saffari ist dem Gesprächspartner zugewandt, hat aber tausend Dinge im Kopf. "Momentan ist hier ein Riesen-Tohuwabohu", sagt er. "Ich mache gerade so viel, vom Glühbirnen austauschen bis dazu, die Verträge der bis zu 25 Mitarbeiter neu zu regeln." Aber das ist längst nicht alles, Saffari sagt, worum er sich noch alles kümmern muss: Krankenversicherung, Buchhaltung, Behörden, Anwälte, Konzessionsgeschichten.

"Die Konzession erlischt eigentlich nach dem Ableben des Inhabers", sagt er. Die Konzession ist nun aber teilweise auf den Sohn übertragen worden - unter der Bedingung, dass die Küche bis Frühjahr saniert wird. Damit ist der erste Schritt zum Weiterbestehen des Drugstore getan. Der zweite wären erfolgreiche Verhandlungen mit Maierbräu. "Die haben gesagt, dass es gut wäre, wenn es als Traditionslokal weitergeführt würde", sagt Saffari und verweist zugleich auf die Tradition der Zusammenarbeit zwischen den Familien Maier und Saffari. "Die Väter haben gemeinsam angefangen, jetzt machen es der Neffe, Christoph Maier, und ich." Fehlt bloß noch die schriftliche Vereinbarung über den April hinaus.

Und es darf kein anderer Bieter den Zuschlag kriegen. "Wir haben den Charles Schumann mit seinem Wagen schon vor dem Lokal gesehen", sagt Nader Saffari. Es würde ihn nicht wundern, wenn andere Bar-Betreiber Interesse hätten, schließlich sei das Drugstore "eine der begehrtesten Gastro-Locations Münchens". Das kann Nader Saffari schon mal: sich und sein Lokal gut verkaufen.

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