Die Gedanken sind frei. Im Wald und auf der Heide. Sah ein Knab ein Röslein stehn. Deutsches Liedgut, zusammengetragen in einem kleinen weißen Büchlein. Auf dem Cover des Buchs: eine Eule, die über die Bavaria wacht, daneben ein Doktorhut, unten mittig zwei Hände, die einander schütteln. Es ist das Wappen der akademischen Damenverbindung Bavaria Aurea. Eine von nur zwei rein weiblichen Studentenverbindungen in München. Das Büchlein mit den Volksliedern gehört Katja, 22, eine der Gründerinnen der Verbindung.
Im Buch, irgendwo mittig: Das Lied der Deutschen. "Deutschland, Deutschland über alles", mit Noten unterlegt. "Wir singen nur die dritte Strophe", sagt Katja, "wenn wir es überhaupt mal singen". Ihr Tonfall klingt entschuldigend, wie so oft an diesem Abend. Rechtsradikal, elitär, immer nur besoffen, eine Enklave des Machotums. Oft hat sie diese Klischees gehört. Oft hat sie sich verteidigt. Hat erklärt, dass sie nicht bei Pegida mitmarschiert oder die AfD wählt. Dass ihre Verbindung soziale Projekte unterstützt, indem sie einen Jugendraum renoviert oder Geld für eine Palliativstation gesammelt hat.
"Das hätte ich nicht von dir gedacht", hat eine Bekannte gesagt, als sie von Katjas Mitgliedschaft in der Verbindung erfuhr - und fortan kein Wort mehr mit ihr gesprochen. "Am schlimmsten sind aber die Blicke." Die junge Frau mit dem langen, braunen Haar und dem auffälligen, blauen Lidstrich zieht die Augenbraue hoch, ahmt nach, wie die Leute gucken, wenn sie erklärt, dass sie in einer Verbindung ist. Vor ihren Dozenten und Arbeitgebern hält sie das deswegen geheim. Zu groß die Sorge, verurteilt zu werden.
Trinkzwang und Konservatismus:Sind Männerbünde überhaupt noch zeitgemäß?
In fünf der elf Studentenverbindungen in Freising spielt das Geschlecht bei der Aufnahme neuer Mitglieder mittlerweile keine Rolle mehr: Männerdominanz ade! Doch im Vergleich zu anderen Städten ist das schon viel.
Katja studiert Theaterwissenschaft und Philosophie, hat Praktika am Theater und in einem Verlag gemacht. Zumindest nach außen hin ein eher linksintellektuelles Umfeld. Burschenschafter findet man dort normalerweise nicht. Verbindungen kommen allenfalls dann aufs Tapet, wenn man sich wissenschaftlich mit Begriffen wie Ritual oder Theatralität auseinandersetzt.
Für Katja geht es um andere Dinge. Freundschaft, Spaß, Engagement. Es sei ein Hobby, so wie Fußball spielen. 13 junge Frauen, die das Biermuseum besuchen oder gemeinsam ins Theater gehen. Auch eine Mannschaft, nur trägt die Studentenmütze und Couleurband statt Trikot und Stulpen. Katja mag die Fußballmetapher. Sie soll zeigen: Ist halt wie jeder andere Verein auch.
Nur, wenn sie von Kneipe und Kommers redet, von Füxen und hohen Damen, klingt das wie eine eigene Welt. Eine, in der es bieder zugeht. "Ich kann schon verstehen, dass das für viele ein Kulturschock ist", sagt sie und lacht. Aber: Die Traditionen haben sich die Verbindungsmitglieder selbst ausgesucht, auf Mensur und Wichs verzichtet man zum Beispiel. Soziales Engagement hat man sich auferlegt, ebenso wie das Interesse an der eigenen Stadt.
Ein gemeinsames Haus in München hat die Verbindung nicht
"Bavaria Aurea", zu deutsch "Goldenes Bayern". Das soll zeigen, dass man sich für den Ort, an dem man lebt, begeistert, erklärt Katja. Sie als Wahlbayerin schwärmt vom Kulturangebot der Stadt, den vielen Grünflächen, will München bewusst erleben. Konkret bedeutet das: Besuch im Valentin-Karlstadt-Musäum, Führung über den Südfriedhof, Ausflug zum Kloster Andechs. Ein gemeinsames Haus in München hat die Verbindung nicht.
Doch warum dann dieses starre Korsett aus Bräuchen? Für gemeinsame Unternehmungen braucht es keine Verbindung. Katja kennt es so. Ihr Vater, ein Jurist, war bereits in einer Verbindung, mit den anderen Burschenschaftern hatte er danach regelmäßig Kontakt. "Erst als ich älter wurde, habe ich verstanden: Nicht jeder ist in einer Verbindung." Als sie vor einigen Jahren von Freiburg zum Studium nach München zog, hat Katja sich gefragt: Passt das zu mir? Immerhin hat sie daheim erlebt, wie herzlich man die Freundschaften aus der Verbindung über Jahrzehnte pflegt. Doch eine Gruppe zu finden, die zu ihr passte, war nicht leicht.
Reine Frauenverbindungen gibt es in Deutschland kaum. Unter den Nationalsozialisten verboten, wurden viele der Gruppen nach dem Krieg nicht neu gegründet. Es fehlte die Lust an der Tradition, besonders zur Zeit der 68er. Da wirkten Revolution und sexuelle Befreiung aufregender als der Muff aus Mensur, lateinischen Sprüchen und deutschen Liedern. Die älteste bestehende Damenverbindung gibt es seit den Siebzigerjahren, von Anfang der Neunzigerjahre an kam es dann zu einer Welle von Neugründungen.
"Das ist kein Familienersatz oder so." Wenn Katja ihre Beweggründe erzählt, wird klar, wie lange sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Die Freundschaft war ihr am Ende wichtiger als jedes Vorurteil.