Trachten 2003:Dirndl mit Sexappeal

"Heidi goes to Hollywood": Lola Paltinger entwirft den etwas anderen Wiesn-Look — Münchens Society-Damen sind hin und weg.

Von Eva Reik

(SZ-Artikel vom 23.9.2003)— Wenn sogar einem oberbayerischen Trachtler Worte der Anerkennung über die Lippen kommen, wenn er nicht gleich rumgrantelt, sondern angesichts so viel glitzernder Anmut zu lächeln beginnt, dann ist Lola Paltinger glücklich. Die Designerin der etwas anderen Dirndl wird aber vor allem von Society-Damen geschätzt.

Dass die Diplomandin der Esmod-Modeschule ausgerechnet Dirndl entwirft, verwundert doch etwas - eine bayerische Kinderstube hat sie keineswegs genossen. Lola Paltinger, 31, kommt aus Mannheim, wo zwischen Schwerindustrie und Arbeiterviertel die Tracht so viel Anerkennung findet wie ein Clownskostüm beim Wiener Opernball.

"Wenn meine Sachen aber nicht nur bei Trachtenmuffeln und Flachlandtirolern ankommen, sondern auch Einheimischen gefallen, ist das ein tolles Kompliment." Schließlich, so sagt die Designerin, liege ihr "nichts ferner als Verschandelung".

Lollipop & Alpenrock

Mit ihrer glamourösen Interpretation der alpenländischen Kluft schafft Paltinger eine Gratwanderung, die Landadel und Münchner Gesellschaftsdamen gleichermaßen gefällt. Kurz: "Lollipop & Alpenrock". So heißt ihr Label, und das Motto dazu lautet "Heidi goes to Hollywood". Wären Liz Hurley oder Gwyneth Paltrow die diesjährigen Überraschungsgäste bei der Wiesn, würden sie bestimmt im Tal 27 fündig: Dirndl mit Sexappeal.

Voraussetzung ist allerdings, dass die Kundschaft das versteckte Atelier ohne Schaufenster und wehende Fahnen an der Hauswand findet. Ein diskretes Schild verweist in den sechsten Stock, wo Lola Paltinger wohnt, näht, bei ihren Kundinnen Maß nimmt und zwischen bunt bemalten Bauernschränken und viel Kitsch ihre Kollektion aufgebügelt zeigt.

Die Stücke sind maßgeschneidert, aus chinesischer Seide oder aus französischem handbemalten Organza gefertigt, mit Glitzer oder Pailletten verziert. Zarte Blüten schmücken die Blusen, schillernde Puffärmel sorgen für Extravaganz, und die Schürzen sind mal schlicht, mal Barbie-Style - je nachdem, wie üppig der Rest ausfällt.

Vielleicht hat der Aufenthalt in London bei Vivienne Westwood oder das Intermezzo bei H&M in Stockholm zum flippigen Stil beigetragen, vielleicht ist es auch nur ihr eigener Kopf, den sie gerne mit Rougebäckchen und Ohrenschnecken verziert und damit ihr gut gelauntes Wesen unterstreicht. Die gute Laune verliert Paltinger auch dann, wenn sie durch die Massen auf der Wiesn streift. "Zum Beispiel wenn ich im Hippodrom-Zelt gucke, wie sich meine eigenen Kreationen im Gewimmel von den handelsüblichen Dirndl abheben."

Und weil mit Gwyneth und ihren Filmfreundinnen auch diesmal nicht zu rechnen ist, hofft Paltinger auf die Stammkundschaft. Nina Ruge trägt auf der Wiesn ausschließlich Angefertigtes aus ihrer Hand. "Genauso wie Giulia Siegel, Sarah Kern, Jutta Speidel oder Claudia Jung", verrät die 31-Jährige.

Röhrende Hirsche

Aber wie kommt man als gebürtige Mannheimerin, wenn auch mit Osttiroler Einschlag, ausgerechnet aufs Dirndl? Paltinger hätte doch auch die Jeans revolutionieren können. "Schon, aber ich habe beinah verzweifelt nach der zündenden Idee für meine Abschlusskollektion für die Münchner Modeschule gesucht. Schließlich war Oktoberfest, und plötzlich wusste ich: Dirndl, das ist es."

Das war vor vier Jahren, seither ist Paltinger selbständig, entgegen den Erwartungen ihres Lehrers auf der Modeschule hat sie die Jury bei der finalen Modenschau begeistert. Sie bekam Preise und Auszeichnungen, eine Paltinger-Tracht hängt im Kunstmuseum im japanischen Kobe.

Der Erfolg bei ihrer Abschlussschau gab ihr so viel Mut, dass sie sich von der Schule weg selbstständig machte. Mit ihren Lederhosen, die die Models bei der Diplom-Modenschau mit halterlosen Netzstrümpfen, Strapsen, Federboa samt Blumenhut auf dem Catwalk präsentierten, sorgt sie auch heute noch für Aufsehen. Doch begehrter sind mittlerweile die Dirndl, oder die T-Shirts mit ihrem Logo: Ein röhrender Hirsch, mit viel Strass und Glitzer versteht sich. Kostenpunkt: 200 Euro. Die Dirndl-Unikate variieren zwischen 1350 und 2500 Euro.

In diesen Wochen herrscht natürlich Hochbetrieb im Tal. Wäre ihre Mutter nicht zur Stelle, die die Couture bereits lernte, als die Ateliers noch Salons hießen, wäre Lola Paltinger aufgeschmissen. "Eine so wertvolle Kraft könnte ich mir gar nicht leisten", sagt sie und streift an den vollgehängten Ständern vorbei. Jetzt noch neue Dirndl anzufertigen, könnte sie trotz höchsten Einsatzes ihrer Mutter und der zusätzlich beauftragten Münchner Nähstube nicht schaffen. Wem die glitzernde Alternative zum traditionellen Gewand noch fehlt, der muss sich mit fertigen Modellen begnügen. "Nur Änderungsarbeiten sind noch machbar."

Während Paltinger ein paar letzte Handgriffe an der fertigen Ware macht, Samtschleifen zurecht zupft und Mieder schnürt, fegt Foxterrier Heidi mit Kater Ursli um die Kleiderständer. Sie befestigt Schmuck an den Dirndl oder den bestickten Lederhosen, den sie in nächtelanger Arbeit aus tausend alten wie neuen Teilchen nach ihrem Gusto zusammengepuzzelt hat. Und was aus der Ferne so originalgetreu wie alpenländischer Klimperschmuck aussieht, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als Anhänger mit Pin-Up-Druck. Dirndl mit Sex eben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: