Trachten:Die Tradition der Veränderung

Alexander Wandinger setzt sich als Leiter des Trachteninformationszentrums dafür ein, dass Dirndl, Wams und Lederhose jung bleiben. Seinen Beruf hat er gewissermaßen selbst erfunden.

Von Alexandra Vecchiato, Benediktbeuern

Wenn Alexander Wandinger über Tracht spricht, geht es ihm vor allem um eines: Er möchte das Märchen von der heilen Trachtenwelt entzaubern. So kann es passieren, dass sich sein Exkurs nicht allein um Mieder und Haferlschuh dreht, sondern philosophisch wird. Das Dirndlgwand, sagt der Leiter des Trachteninformationszentrums des Bezirks Oberbayern (TIZ), sei einerseits eine Wildsau, wenn es sich frei entwickeln dürfe: bunt, vielfältig, jung. Andererseits, unter institutionalisierten und kontrollierten Bedingungen, ein Stallschwein: "Dann kann etwas gehörig schieflaufen."

1977, als die Landkreis-Ausgaben der Süddeutschen Zeitung zum ersten Mal erschienen, war Wandinger zehn Jahre alt. Damals habe er sich nicht für Tracht interessiert, sagt er. Aber für Traditionen, Baukultur und Volksmusik. Vielleicht, weil er nach dem frühen Tod seiner Mutter auf der Suche nach einem "Heimatgefühl" gewesen sei. Interviews oder, wie Wandinger es nennt, "Feldforschung" machte er mit seiner Großmutter. "Wahrheit" wollte er finden, Diskrepanzen aufklären. Mit 16 Jahren begann er Tracht zu erforschen. So habe er seinen Beruf als Leiter des TIZ irgendwie selbst erfunden, sagt er.

Die Siebzigerjahre - hohe Zeit der Mini-Dirndl. Wandinger hat ein Original aus dem Depot geholt. Kurz, mit lilafarbenem Samtoberteil. "Ein Paradestück", sagt er. Es gehörte seiner Mutter. In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Tracht und der Umgang mit ihr, stark gewandelt. Die Röcke sind länger geworden. Für Männer ist es Usus, in der Lederhose auf die Wiesn zu gehen. In den Siebzigern bot sich den Oktoberfest-Besuchern ein völlig anderes Bild: Die modische Frau trug selbstverständlich ihr gutes Kostüm, der Mann seinen schwarzen Anzug. Wer heutzutage ohne Trachtengewand auf die Wiesn geht, ist out. Dieser Dresscode treibt Blüten: etwa das Binden der Schleife. Rechts gebunden bedeute: "Ich bin in festen Händen." Links gebunden, dass die Trägerin noch frei sei. Witwen seien an der Schleife hinten im Rücken zu erkennen, Jungfrauen an einer Schleife mittig vorne. Völliger Schwachsinn und historisch durch nichts zu belegen, sagt Wandinger. Vielmehr werde dadurch einer heutigen Partytracht ein Reglement gegeben. Denn einheitliche Regeln stärkten das Gemeinschaftsgefühl. "Und es ist eine gute Geschichte. Mich amüsiert das."

Undenkbar wäre es in der Siebzigern gewesen, fürs Abitur-Foto ein Dirndl anzuziehen. "Jetzt ist das gang und gäbe." Lederhose und kariertes Bergsteigerhemd trug seinerzeit nur der Tölzer Knabenchor. Das Must-have Haferlschuh ist erst in den Achtzigern richtig in Mode gekommen. Und welcher Mann hätte sich getraut, in den Siebzigern mit Ohrring herumzulaufen, fragt Wandinger.

Dieser Hype um die Tracht sei von Herstellern und Medien ins Rollen gebracht worden. Trachtenexperten erklärten vor laufenden Kameras die aktuellen Trends, die sich die Modeindustrie ausgedacht habe. Aus dem Bedürfnis eines Mia-san-mia-Gefühls heraus, mutmaßt Wandinger. "Das kann gut sein, muss aber nicht." Dass Tracht medial plötzlich in aller Munde ist, dem kann der TIZ-Leiter durchaus auch Gutes abgewinnen. In Trachtenerhaltungsvereinen dürfen Schürzen nun bunter werden. Starre Reglementierungen, etwa dass nur bestimmte Blumen im Ausschnitt getragen werden dürfen, verabscheut er. Gut sei ferner, dass sich junge Menschen nun für Tracht interessierten. Aber auch hier warnt Wandinger vor der Institutionalisierung: Aufmärsche von Kindern in Dirndl und Kurzer seien zwar eine Erfindung der Propagandamaschinerie der Nazis. Doch auch heutzutage gebe es eine auffallende Häufung von Plakaten mit Politikern und Kindern in Tracht vor Wahlen. "Diese Vereinnahmung geht gar nicht", betont Wandinger.

Vielmehr freut es ihn, wenn die Mitglieder von LaBrassBanda in kurzer Lederhose und T-Shirt auf die Bühne gehen. Das sei der bessere, unmittelbare Zugang für junge Menschen zur Tracht. "Da sage ich nur: Danke, lieber Gott." Tracht sei immer schon Mode gewesen. Was früher der Adel schick fand, gelangte über die bürgerliche Mode aufs Land. "Mode hat sich immer schon zeitversetzt in der Tracht widergespiegelt." Beispielhaft sei um 1800 die extrem hoch angesetzte Taille. Sie war im Empire zunächst in Frankreich und England prägend, um innerhalb von wenigen Jahren "auch das versteckteste Dorf in Oberbayern" zu erreichen. Dieses Phänomen sei auch heute zu beobachten. Was in München und anschließend im Süden der Landeshauptstadt modern sei, finde sich zehn Jahre später im Bayerischen Wald. "Während man vielleicht hinter Ingolstadt immer noch Landhausmode trägt, ist sie bei uns längst verschwunden", sagt Wandinger.

Ein bisserl mehr vom Zeitgeist der Siebzigerjahre täte der Tracht und ihren Trägern gut, meint Wandinger. Dieses Phantastische wischen Hippie und Trachtenverein - Koteletten und Schlaghosen neben Mini-Dirndl: "Das war offener als heute." So sollte es sein.

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