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Tournee des Rundfunkorchesters:Glück erfordert Arbeit

Erstmals seit 2003 geht das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Tournee durch die Metropolen der amerikanischen Ostküste. Eine Reise, die von Klassikfans in USA und Kanada mit Spannung erwartet wird. SZ-Kulturredakteur Egbert Tholl begleitet die Tour und schildert in einem "Symphonischen Tagebuch" hier täglich seine Eindrücke von den Auftritten der Münchner Musiker und der Kultur- und Klassikszene zwischen Montreal und Washington.

Von Egbert Tholl, Montreal/Ann Arbor

Mitunter ist so eine Reise eine rechte Plackerei. In Washington spielten die Musiker gegen den Jetlag an, sieben von ihnen hatten zudem mit einem Magen-Darm-Virus zu kämpfen. Dem Konzert in Chapel Hill ging eine Anreise von knapp fünf Stunden Dauer mit Bus und Flugzeug voraus, in Ann Arbor, der Station nach Montreal, wird's noch härter werden.

In Montreal selbst war ein Abend Pause, aber dann wird stundenlang die Zukunft geplant. Diese dreht sich im Kern stets um den neuen Saal, was der können muss, außer gut klingen - auch Mariss Jansons denkt in die Richtung, will etwa einen Musikkindergarten. Was macht ein Orchester der Zukunft aus und wo spielt es?

Kein Foto von Jansons, sondern von Nagano

So ist diese Tournee auch eine Erkundungstour zu Sälen, in denen das BRSO noch nie oder lange nicht mehr gespielt hat. Da kann man der US-Einreisebehörde und dem Schneckengang ihres Tuns am Flughafen fast dankbar sein: Sie schafft wunderbar Möglichkeiten, die jüngste Nachricht aus München zu diskutieren, nämlich den Vorschlag grüner Stadträte, die Philharmonie in die Paketposthalle zu verlegen, was hier mit einem Sicherheitsabstand von ein paar tausend Meilen größte, fassungslose Verwunderung auslöst.

Doch erst ist man in der Stadt, in der Kent Nagano das Orchestre Symphonique de Montreal (OSM) leitet und Yannick Nézet-Seguin, einer der begehrtesten Dirigenten seiner Generation, das Orchestre Métropolitain. Das OSM hat vor ein paar Jahren einen neuen Saal bekommen, und dass man hier im "Home of the OSM" spielt, sieht man schon an den Abendprogrammheften, auf denen nicht etwa ein Foto von Jansons prangt, sondern eines von Nagano, grüblerisch, geheimnisvoll, genialisch - als Coverboy war der schon immer super.

Der Saal umfängt einen mit Charme, Licht, warmen Holz. Die Anspielprobe verspricht Allergrößtes. Alles klingt, selbst das feinste Pianissimo scheint in den letzten Winkel zu kriechen. Die Musiker hören sich gegenseitig sehr gut, sagen sie, was man im Konzert unmittelbar spürt. Extremer Einklang, herrliches Atmen der Bläser mit den Streichern.

So wird Schostakowitschs siebte Symphonie zum glitzernden Ereignis, mit irrsinniger Spannung im Übergang von dritten zum vierten Satz - von da an ist es fabelhaft, scheint auch im Balkon endlich die Entfernung zum Podium überwunden. Weil Jansons im Spiel den Klang justiert, dem nun vollen Saal die Brillanz, Wärme und Plastizität erneut abringt, die er leer mühelos hat. Man muss hier richtig arbeiten, aber: Man kann es. Glück erfordert Arbeit.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2016/ebri
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