Touristen im Wiesn-Hotel:Die "Wilden Pudel" kommen

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Einige Gäste torkeln schon um halb fünf zurück, andere wollen gar nicht aufs Oktoberfest. Die Hotels rund um die Theresienwiese sind ausgebucht. Doch wer schläft hier eigentlich? Eine Typologie.

Von Sabine Cygan

Zur Wiesn kostet das Doppelzimmer im Hotel Andra nicht 99 Euro, sondern bis zu 265 Euro. Wer hier übernachtet, hat es nicht weit bis zur Theresienwiese, gerade mal zehn Minuten braucht man vom Familienhotel an der Goethestraße. 38 Zimmer gibt es es in dem Familienhotel, Platz für 80 Leute. "Wir sind zu 120 Prozent belegt", sagt Mitarbeiter Dennis Söllner. Zu den ausgebuchten Betten kommen noch Beistellbetten und bloße Matratzen hinzu. "Die Gäste wollen einfach nur einen Schlafplatz für ein paar Nächte. Da ist es ihnen egal, wenn es nur eine Matratze ist."

Doch wer übernachtet hier eigentlich? Der Versuch einer Typologie.

Die Wiesn-Neulinge aus Übersee

8.30 Uhr, Hochbetrieb am Frühstücksbuffet: Der Kanadier Sean Payne lädt Rührei, Weißwürste und Speck auf seinen Teller. "Wir sind uns nicht sicher, ob wir später im Zelt auch essen können", sagt seine Ehefrau Camille. Auch sie sitzt hinter einem voll beladenem Teller. Die beiden verbringen die letzten Tage ihrer Flitterwochen auf der Wiesn, zuvor waren sie für zweieinhalb Wochen in Barcelona und auf Mallorca. Eine genaue Vorstellung haben sie nicht vom Oktoberfest, eine Reservierung im Zelt schon. "Ich denke es wird so ähnlich sein wie das 'Stampede' in unserer Heimatstadt Calgary", sagt er, also eine Mischung aus Landwirtschaftsaustellung, Rodeo und Volksfest. In München würden die beiden mit Cowboyhüten zwar nicht auffallen, trotzdem haben sie auf Ebay Lederhose und Dirndl bestellt.

Flitterwochen in München: Camille Gauthier-Payne und ihr frisch vermählter Ehemann Sean. (Foto: Sabine Cygan)

Die Bierleichen

Für die Bierleichen ist schon um halb fünf Uhr Zapfenstreich, denn sie fliegen noch heute zurück in ihre Heimat - nach England, Malaysia und in die Schweiz. Zuvor haben Warnick McDonald, Jeremy Gottlieb und Andrew Yong es noch einmal richtig krachen lassen. Sie stolpern die Stufen zur Rezeption hinauf. Warnicks grauer Filzhut sitzt schief auf seinem Kopf, seine Augen sind rot unterlaufen. Der Hut ist eine Bestrafung dafür, weil er als Einziger keine Lederhose besitzt. Nach dem Frühstück meinte er noch: "Wir wollen uns einfach betrinken." Sie holen schnell ihre Reisetaschen aus dem Gepäckraum, nuscheln noch ein "Bye" in Richtung Rezeption und torkeln die Treppen wieder hinab. Guten Flug.

Um halb fünf schon blau: Jeremy Gottlieb, Warnick McDonald und Andrew Yong (v.l.n.r.). (Foto: Sabine Cygan)

Die Wiesn-Streberinnen

Schon das fünfte Mal besucht die Dänin Vicki Kaiser Jensen mit ihren drei Freundinnen das Oktoberfest, entsprechend sind sie gut vorbereitet: Um die eigenen Krüge zu markieren, haben sie sich bunte Perlenbänder gebastelt, die sie um die Krüge binden. Auch einen kleinen Koffer mit einer Luftpumpe haben die jungen Frauen dabei, sie wollen Luftballons auf der Wiesn verschenken und so mit anderen Besuchern ins Gespräch kommen. Das hat auch schon mal ohne Ballons geklappt: Vor zwei Jahren hat Vicki ihren jetzigen Ehemann, einen Engländer, auf dem Festgelände kennengelernt. "Wir haben Nummern ausgetauscht und er hat mich zu sich nach England eingeladen", sagt sie. Heute leben die beiden zusammen in Kopenhagen. Auf das Oktoberfest geht sie aber lieber nur mit ihren Freundinnen.

Bestens vorbereitet: Vicki Kaiser Jensen (2.v.r.) und ihre Freundinnen aus Dänemark. (Foto: Sabine Cygan)

Der Kegelverein in Wiesn-Uniform

Der Kegelclub "Wilde Pudel" aus Morsbach bei Siegen trägt nicht nur beim Kegeln, sondern auch auf der Wiesn eine eigene Vereins-Uniform: weiß-blau karierte Hemden mit Kegelclub-Logo und einer dunkelbraunen Lederhose. "Das ist praktisch, so verlieren wir uns auf dem Oktoberfest nicht", sagt Manuel Puhl. Die Gruppe ist am vergangenen Tag angereist und am Abend gleich auf der Wiesn versumpft. Als Vereinsmitglied ist Peter Weiß das Anfeuern eigentlich gewohnt. Trotzdem ist er heiser vom Mitgrölen im Zelt. Zu viel Helene Fischer? "Man kann sich ja nicht dagegen wehren", krächzt er. "Lieber würde ich das Helenchen aber sehen als hören."

Von der Bahn auf die Wiesn: Der Kegelclub "Wilder Pudel" aus Morsbach. (Foto: Sabine Cygan)

Die All-Inclusive-Gäste

Ein bäuchiger Österreicher hat ein Problem: Ein Knopf an seiner Lederhose ist locker. "Der Knopf muss gut sitzen für die Wiesn heute", sagt er, etwas großspurig. Und drückt Hotel-Geschäftsführer Tobias Koeppen 10 Euro in die Hand, die Lederhose überreicht er Mitarbeiterin Angela Negulesco. Sie kocht sonst Kaffee und Tee für die Frühstücksgäste. Jetzt müht sie sich mit einer dünnen Nadel ab, die so gar nicht geeignet ist, Leder zu durchbohren. "Das ist eben das Oktoberfest", sagt sie.

Die Ehemänner auf Freigang

Sie sind Stammgäste aus dem Rheinland: eine achtköpfige Männertruppe, die sich teilweise schon seit ihrer Jugend kennen - und sich Jahr für Jahr auf dem Oktoberfest treffen. Während sie noch auf einen Nachzügler aus Magdeburg warten, trinken sie schon mal ein paar "Bierchen" im Innenhof. Auf die Wiesn geht es dann erst morgen. Ihre Frauen haben die Männer zuhause gelassen. "Die besuchen heute auch das Oktoberfest. Aber das in Baesweiler", sagt Achim Wagner. "Wir fragen sie aber immer anstandshalber, aber sie wollen nie mit."

Schon das achte Mal sind die Rheinländer zu Gast im Hotel Andra. (Foto: Sabine Cygan)

Die Oktoberfest-Verweigerer

Kurz nach 18 Uhr öffnet sich der Fahrstuhl. Eine Frau in Burka tritt heraus. Ob es denn ein freies Zimmer für zwei Nächte noch gebe, will sie wissen. Reem Alenizi hat Glück: Im Dachgeschoss ist noch was frei. Kein großer Komfort, aber immerhin. Sie verlangt nach dem Schlüssel, um das Zimmer vorab zu begutachten. Ganz zufrieden ist sie damit nicht, aber "sehr sauber", sagt sie und entscheidet sich dafür. Sie ist mit ihrem Mann da, das junge Ehepaar aus Kuwait musste einen Zwischenstopp in München einlegen, fliegt in zwei Tagen wieder in die Heimat. Die beiden kennen das Oktoberfest nicht, haben nur die Menschen und Pferdewägen mit Bierfässern gesehen. "Das wäre nichts für mich. Da bekäme ich Kopfschmerzen", sagt Alenizi. "Wir gehen bestimmt nicht dorthin." Zwangsläufig werden sie aber etwas vom Trubel mitbekommen. Denn die Wiesn ist zurzeit auch im Hotel Andra zuhause.

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