Totschlag oder Mord?:Die Katastrophe einer Nacht

Der Prozess um den Tod von Rudolph Moshammer: Ein Verbrechen, dessen Ablauf nicht ganz klar wird, ein Angeklagter, dessen Haltung zur Tat vage bleibt, und Zeugen, die ein trauriges Bild abgeben.

Alexander Krug und Wolfgang Görl

Es gibt Momente im Prozess um den gewaltsamen Tod des Münchner Modehändlers Rudolph Moshammer, da wünscht man sich, es ginge hier nur um eine Lappalie. Um etwas in der Art wie vor drei Jahren, als ein westfälischer Wurstbudenbesitzer wegen eines schadhaften Sakkos vor Gericht zog, das er bei Moshammer erstanden hatte.

Dann wäre es angemessen, sich ganz auf die Nebenfiguren des Schauspiels zu konzentrieren, das seit zwei Wochen vor und im Verhandlungssaal des Schwurgerichts MünchenI gegeben wird. Auf die Selbstdarsteller und Wichtigtuer, die teils als Zeugen, teils als Zuschauer Auftritte zelebrieren, die in leichteren Fällen zur Posse geraten, in schwereren mit einer Festnahme im Gerichtssaal enden.

Man würde sich näher mit der Moral eines privaten TV-Senders befassen, der es für eine gute Idee hält, eine wichtige Zeugin für 1000 Euro zu veranlassen, mit Perücke und Sonnenbrille getarnt den Prozess verbotenerweise auf der Zuschauertribüne zu beobachten - inklusive Exklusivinterview.

Aus all dem ließe sich ein Sittengemälde eines Mikrokosmos von Menschen anfertigen, die ihrer unscheinbaren Existenz um den Preis der Lächerlichkeit ein wenig Glanz zu verleihen versuchen. Und sei es nur der Abglanz der schillernden Person Moshammer, diesem Virtuosen der Selbstinszenierung.

Sehnsüchte anderer

Doch leider, der Fall ist ernst. Ein Mensch ist ums Leben gekommen, und einem anderen, dem Iraker Herisch Ali Abdullah, 25, wirft der Staatsanwalt Mord vor. In der Nacht zum 14.Januar 2005, so die Anklage, habe er Rudolph Moshammer mit einem Stromkabel von hinten erdrosselt und anschließend aus dessen Sakkotasche mehrere hundert Euro geraubt. An der Täterschaft Abdullahs besteht kein Zweifel.

Was aber genau in jener Nacht passiert ist, ließ sich im Prozess bisher nicht restlos klären. Bei der Frage, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt, spielen die Details jedoch eine entscheidende Rolle. Darauf kommen Anklage und Verteidigung zurück, wenn sie an diesem Mittwoch ihre Plädoyers vortragen.

Moshammer hatte Ali Abdullah abends nahe des Münchner Hauptbahnhofs angesprochen, um ihn für sexuelle Dienste zu kaufen. Für den so genannten Modezaren, der als Kitschimitat des bayerischen Königs Ludwig II. Sehnsüchte anderer nach Glanz und Gloria bedient hatte, war das der übliche Weg, seiner Vorliebe für junge Männer nachzugehen. Es lief, wie Zeugen aussagten, meist nach diesem Muster ab: Moshammer sprach die Männer unter einem Vorwand an, rückte bald mit seinen Wünschen heraus und chauffierte, so man handelseins geworden war, den angeheuerten Liebhaber im Rolls Royce zu seinem Reihenhaus nach Grünwald.

Die Katastrophe einer Nacht

Man machte es sich im Wohnzimmer bequem, während im Fernseher Pornovideos liefen, irgendwann kam Moshammer zur Sache. Das ist hundertmal gut gegangen, vielleicht tausendmal.

Warum aber endete die Begegnung mit Herisch Ali Abdullah tödlich? Ging es vor allem um Geld, das Moshammer seinem gekauften Gespielen vorenthalten wollte, weil er mit dessen sexuellen Leistungen nicht zufrieden war? Oder geschah es, weil sich Ali Abdullah aufs Schlimmste gedemütigt fühlte, wie er dem Gericht nahezulegen versucht? Er habe sich geschämt, sagt er, als Moshammer schon im Rolls Royce angefangen habe, ihn zu befingern. Im Haus habe er dann Analverkehr verlangt. Er, Ali Abdullah, sei dazu nicht bereit gewesen. "Er ist ein alter Mann. Solche Sachen kann man als alter Mann nicht machen."

Es ist kaum hörbar, was Herisch Ali Abdullah auf der Anklagebank spricht. Zu hören ist nur die Stimme des Dolmetschers, der die Worte des Angeklagten aus dem Kurdischen übersetzt. Ali Abdullah hat den Blick zum Boden gesenkt, oft legt er eine Hand über die Augen, manchmal weint er. Seine Freunde, die er beim Deutschkurs kennen gelernt hat oder in dem Fast-Food-Restaurant, in dem er arbeitete, schildern ihn als netten Kerl, der gerne mal ein Bier trinke und ansonsten eher still sei.

Ganz anders beschreibt ihn seine ehemalige Freundin, die 20-jährige Russin Natalia B.: Er habe sie geschlagen und gewürgt, und als sie von ihm schwanger war, habe er einem Freund 500 Euro geboten, damit er sie die Treppe hinabstoße. Die beiden haben eine zweijährige Tochter. Gekümmert habe er sich nie um das Kind. Eines Tages hat sie ihn wegen Vergewaltigung angezeigt. Sie hat die Anzeige wieder zurückgezogen. "Das war Blödsinn", sagt sie vor Gericht. "Es war keine Vergewaltigung. Ich wollte ihm wehtun, so wie er meiner Familie wehgetan hat." Wegen der Anzeige hatte Ali Abdullah eine Speichelprobe abgeben müssen. Die DNS-Spur an Moshammers Kabel, stimmte damit überein.

Es ist schwierig, sich ein Bild von Herisch Ali Abdullah zu machen. Der psychiatrische Gutachter Henning Saß beschreibt ihn als "weich", "unreif" und "sentimental", zudem sei er "leicht verführbar" - mit Alkohol und Glücksspiel. Er neige zu Selbstmitleid, auch Monate nach der Tat sehe er nur das eigene Unglück: "Er sagte, Moshammer hat jetzt seine Ruhe, und mir geht es schlecht."

Saß billigt dem Angeklagten zu, dass er die Situation als demütigend und verletzend empfunden hat. Andererseits müsse ihm klar gewesen sein, worauf er sich eingelassen hatte; schließlich sei es nicht das erste Mal gewesen, dass er für Geld mit Männern verkehrt habe. Saß bescheinigt ihm volle Schuldfähigkeit: "Es lag keine hochgradige Affekthandlung vor."

Herisch Ali Abdullah lebte in München, so Saß, das "typische Leben" eines Flüchtlings. Wie viele brachte er sich im Bahnhofsviertel mit Billigjobs und gelegentlichen Stricherdiensten durch. Ein labiler Mensch ohne feste Bindungen, der sich schwer tut in dem fremden Land, in das er vor vier Jahren geflohen war. Dem Gericht erzählt er, er sei in einem ärmlichen Bauerndorf im Nordirak aufgewachsen. Seine kurdische Familie habe unter der Verfolgung des Saddam-Regimes gelitten.

Der Vater sei vom Geheimdienst getötet worden, er selbst habe sich Rebellen angeschlossen. Die Geschichte hatte allerdings bei seinem Asylverfahren ganz anders geklungen. Damals hatte Ali Abdullah zu Protokoll geben, sein Vater sei "verstorben" und er habe als "einfacher Soldat" Militärdienst geleistet. "Und was ist die Wahrheit?", will Richter Manfred Götzl wissen. Die Antwort: "Es ist eine Erzählung, manchmal erzählt man so, manchmal so."

Ein Deal nach dem Zocken

Das war am ersten Verhandlungstag, kurz nachdem man Ali Abdullah in den Gerichtssaal geführt hatte, heraus aus der Einsamkeit der Untersuchungshaft ins grelle Licht Öffentlichkeit, in dem er, nur getrennt durch ein rot-weißes Kunststoffband, einer Front aus Kameraleuten, Fotografen und Mikrofonhaltern gegenüberstand. Es dauerte nicht lange, bis er über der Anklagebank zusammensank. Schwächeanfall oder Show - man weiß es nicht.

Nach der Erholungspause schildert er, wie er am Abend der Tat fünf Flaschen Bier getrunken und mehrere hundert Euro beim Automatenspiel verzockt hat. Der größte Teil des Geldes entstammte den Ersparnissen seiner neuen Freundin, mit der er eine Wohnung teilte. Mehrmals hat er sie angerufen, während sie in einem Nachtlokal ihrer Arbeit als Tänzerin nachging. Er hat ihr die Ohren vollgeheult wegen des Verlusts. "Ich hatte Angst, dass er sich was antut", sagt die Freundin. In dieser Situation traf Ali Abdullah auf Moshammer.

Nachdem er sich dessen Wünschen verweigert hatte, sei Moshammer lachend zur Toilette gegangen. "Sein Lachen war nicht normal", sagt Ali Abdullah. Auf einmal sei da ein "ganz anderer Mensch" gewesen. "Er hat mich beschimpft, viele Schimpfwörter, ich habe nicht alles verstanden, nur Arschloch und Penner. Und er hat mich geschlagen." Es sei zu einer Rangelei gekommen. "Dann war das Kabel in meiner Hand, und es ist passiert." Was passiert ist, vermag Ali Abdullah am ersten Verhandlungstag nicht zu sagen. Er bringt es nicht heraus, auch nicht auf Nachfragen des Richters.

Am zweiten Tag ringt er sich zu einer Art Geständnis durch: "Ich habe ihm ein Kabel um den Hals gelegt und stark zugezogen. Dann ist er zu Boden gefallen." Als der Richter Details wissen will, flüchtet sich Ali Abdullah wieder ins Ungefähre.

Richter Manfred Götzl pflegt einen unerbittlichen Stil der Befragung. Wenn er mit drohendem Unterton die Wahrheit verlangt, braucht ihm keiner mit Ausflüchten zu kommen. Den als "Mosi" kostümierten Zeugen Manfred Z., der angab, seinem Idol gelegentlich junge Burschen zugeführt zu haben, entlarvte Götzl schnell als Aufschneider. Z. wurde im Gericht festgenommen, gegen ihn wird wegen Falschaussage ermittelt.

Auch Natalia B., die Ex-Freundin des Angeklagten, hatte nicht den Hauch einer Chance zu verbergen, dass sie im Dienste eines Privatsenders verkleidet im Zuschauerraum saß. Und doch scheint die robuste Art der Befragung ihrem Zweck mitunter im Weg zu stehen. Einige Male, als Ali Abdullah fortfahren will, sichtbar um Worte ringt, die womöglich ausdrücken würden, was er nicht wahrhaben möchte, schlägt ihm die nächste Frage entgegen. Vertan die Chance, sofern es sie gab.

Ali Abdullah bestreitet, Geld vom Tatort mitgenommen zu haben. Dagegen hat Staatsanwalt Martin Kronester seine Anklage auf das Mordmerkmal der Habgier und der "Ermöglichung einer Straftat" aufgebaut. Das hieße, dass Moshammer sterben musste, weil Abdullah es auf seine Reichtümer abgesehen hatte. Ein Kripobeamter, der ihn vernommen hat, berichtet: "Das Thema Geld hat ihn sehr bewegt. Er sagte, Geld ist für arme Leute wertvoll. Er brauche es für seine Freundin." Doch ist die Indizienkette in diesem Punkt dünn.

Die Katastrophe einer Nacht

In Moshammers Haus wurde offenbar nichts gestohlen, ein Kuvert mit 16000 Euro fand die Polizei unangetastet in einer Kommode. Moshammers goldene Geldklammer entdeckten Ermittler nebst EC- und Kreditkarten in der Toilette. Einzig ein 200-Euro-Schein, den Ali Abdullah später seiner Freundin gab, könnte ihn überführen. Ob die Banknote aus Moshammers Besitz stammt, ist mit letzter Sicherheit nicht zu belegen.

Hier hätten die Verteidiger Adam Ahmed und Jürgen Langer, die eigentümlich passiv bleiben, eine Chance, die Linie der Anklage zu attackieren. Für sie wird es allein darum gehen, den Mordvorwurf zu entkräften, um eine Verurteilung wegen Totschlags zu erreichen. Als Höchststrafe sind dafür 15 Jahre vorgesehen - immerhin kürzer als lebenslang, wie es der Staatsanwalt wohl fordern wird. Das Urteil fällt am kommenden Montag.

Das Idol, völlig entzaubert

Was Rudolph Moshammer betrifft, so ist er, bildlich gesprochen, während der Verhandlung eines zweiten Todes gestorben. Ausgerechnet jene, die in seiner Operettenwelt die Hofschranzen mimten, überboten sich darin, ihr einstiges Idol als geizigen, cholerischen, egomanischen Tyrannen darzustellen. Die Zeugin Veronique H., die zu Moshammers pompöser Beerdigung als schwarz verschleierte Schmerzensdame hervorgestochen war, sprach von einer mehrfach gespaltenen Persönlichkeit, der jedes Mitgefühl gefehlt habe.

Der einstige Leiter des Mosi-Fanclubs berichtete von Wutanfällen und Schimpftiraden, die dazu führten, dass der Club aufgelöst wurde. Hinter den Kulissen seiner Boutique "Carnaval de Venise" herrschte einer Angestellten zufolge blanke Despotie: "Er schrie herum, beschimpfte Mitarbeiter und machte rassistische Äußerungen."

All das ist nicht völlig überraschend, derlei Geschichten kursierten in München seit langem, ohne Moshammers Ansehen als spinnertem, aber irgendwie erstaunlichem Paradiesvogel zu schaden. Seine Verehrer nahmen das, falls überhaupt, zur Kenntnis als eine die Figur Moshammer komplettierende Nebensache. Welche Menschen es waren, derer Moshammer sich bediente, wollte man lieber nicht so genau wissen. Im Prozess traten sie aus der Anonymität heraus: Flüchtlinge, Asylbewerber, Einwanderer aus armen oder politisch unsicheren Ländern, die buchstäblich ihre Haut zu Markte tragen. Einer gab an, als 14-Jähriger mit Moshammer Sex gehabt zu haben.

In diesem Milieu sondierte Moshammer das Angebot zur Erfüllung seiner erotischen Sehnsüchte. Wer in seinen Rolls Royce stieg, blieb dem Zufall überlassen. Dass es in jener Nacht Herisch Ali Abdullah war, wurde zur Katastrophe für beide.

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