Tollwood-Winterfestival:Partyvolk an der Futterkrippe

"Was suchsch'?" Vielleicht Schafwollsocken und Falafel, Gala-Show und Jagertee? Dann sind Sie auf dem Tollwood richtig. Ein Rundgang über das Winterfestival, das eine ganz eigene Romantik hat und manchmal bizarre Ausmaße annimmt.

Franz Kotteder

"Was suchsch'?", gellt ein Ruf über das Gelände, und die Antwort zeigt, dass der Schwabe für das Reelle ist und sich von grellem Budenzauber nicht leicht beeindrucken lässt: "Warme Socken!" Die Gäste aus Baden-Württemberg sind insofern nicht typisch für die Besucher des Tollwood-Winterfestivals auf der Theresienwiese, auch wenn es dort tatsächlich warme Socken zu kaufen gibt.

Tollwood-Winterfestival: Ökologisch einwandfrei durch den Advent mag anders aussehen, aber auf Tollwood darf eben auch gefeiert werden, etwa an der "Schwedenbar".

Ökologisch einwandfrei durch den Advent mag anders aussehen, aber auf Tollwood darf eben auch gefeiert werden, etwa an der "Schwedenbar".

(Foto: Stephan Rumpf)

Auffällig ist die Vielfalt der Dialekte: Offenbar reist man auch von weiter her an, aus der Oberpfalz oder aus Nordrhein-Westfalen gar, um in München auf das Tollwood zu gehen. An diesem Freitag ist nun die letzte Gelegenheit dafür, denn an Heiligabend gibt es den "Markt der Ideen", wie Tollwood sein Freiluftspektakel nennt, schon nicht mehr.

Überhaupt hat das Festival seit seiner Gründung vor gut 23 Jahren eine erhebliche Wandlung vollzogen, sommers wie winters. Anfangs waren es wohl wirklich noch alternativ angehauchte Kleinkunstfreunde, die auf das Tollwoodgelände pilgerten. Das ist längst anders, das Festival bietet beinahe jedem was. Ein Betriebswirt würde sagen: Das Unternehmen Tollwood hat seine Geschäftsfelder diversifiziert und neue Zielgruppen angesprochen.

Aus den Studenten in Latzhosen von 1988 sind mittlerweile Rechtsanwälte und Zahnärzte geworden, die gehen immer noch auf Tollwood, aber dann zur zirzensischen Gala-Show mit opulentem Vier-Gänge-Menü. Es gibt die kurzweilige Öko-Volkshochschule im "Weltsalon", heuer auch mit einer schönen Fotoausstellung und der großen Leuchtschrift "Rettet alles!" an der Wand, die ein dringendes Bedürfnis vieler Besucher adäquat auszudrücken scheint. Ja, und dann gibt es den bunten Markt für die ganze Familie und die vielen Stände, wo man etwas zu essen und vor allem auch viel zu trinken kaufen kann. Das zieht das Münchner Partyvolk an.

Auf den ersten Blick meint man, wegen des Andrangs an den Wochenenden, die beiden Marktzelte seien am schwierigsten zu bewältigen. Doch eigentlich ist alles ganz einfach: Man öffne die Tür, trete ein und suche nach dem günstigsten Moment, sich in die Menschenmasse einzuschmiegen. Sodann lasse man sich gemächlich durch das Zelt hindurchschieben.

Dabei kann eigentlich nicht viel mehr schiefgehen, als dass man mit dem Ärmel mal an Falafel im Fladenbrot mit Joghurtsoße oder an Kartoffelecken mit Bio-Ketchup hängenbleibt, welche Nachbarn oder Wahnsinnige, die gegen den Strom schwimmen müssen, etwas zu tief vor sich hertragen. Die Flecken sind aber nicht so schlimm, da die Speisen auf Tollwood bekanntlich ökologisch einwandfrei erzeugt sein müssen und vermutlich rückstandslos abbaubar sind.

Das Angebot an den Marktständen ist bunt und vielgestaltig. Es gibt Frauen, die suchen gezielt (und finden hier) Perlenschmuck von Beduinenfrauen aus dem Sinai, andere erfreuen sich mehr an schrillfarbig-fröhlicher Keramik. Und es gibt putzigen Plunder, der sich schön als Weihnachtsgeschenk eignet, wenn einem sonst nichts Rechtes einfallen will. Da sind durchaus hübsche Sachen dabei.

Im "Mercato"-Zelt etwa gibt es, ein eigener Stand ganz für sich, den "Kerzenrestefresser". Das ist eine Keramikschüssel mit großem Docht in der Mitte, in die man alte Kerzenreste hineinwirft. So kann man sie aufbrauchen und muss sie nicht wegwerfen. Sehr sparsam, das, aber leider kostet der Kerzenrestefresser doch 29,50 Euro, wofür man eine ganze Ladung Kerzen neu kaufen könnte.

Wenn das nicht Tollwood-Romantik ist!

Aber um Effizienz geht es ja bei Geschenken nicht so sehr. Gott sei Dank! Denn sonst hätte ein Stand wie der des "Blumenpaule" aus Mittelfranken sicher wenig Überlebenschancen, und das wäre doch sehr schade. Der Blumenpaule verkauft Glücksdosen zu fünf Euro das Stück. Es gibt sie mit verschiedenen Etiketten, auf denen steht: "Liebesglück", "Rose aus der Dose", "Die letzte Zigarette" oder auch "Welt-Meister-Rasen".

Wintertollwood 2011 in München

Nicht nur güldne Sternlein prangen: Sehr bunt und vielgestaltig ist das Angebot in den Zelten und an den Buden. In jeder Hinsicht.

(Foto: dpa)

Der Blumenpaule selbst hat für jeden Interessenten einen flotten Spruch parat, und auf Anfrage ist er sogar bereit, anderswo gekaufte, kleine Geschenke einzudosen. Überhaupt ist man in den Marktzelten sehr bemüht, dem Besucher behilflich zu sein, was sich etwa am Bernstein-Stand auf einem Schild in der Mahnung niederschlägt: "Steckverschluss zum Stecken, bitte nicht drehen!" Gut zu wissen.

Liebevoll umsorgt fühlt man sich auch, was das leibliche Wohl angeht. Schließlich hat das Festival in diesem Jahr das Motto "Aufgetischt", und die Veranstalter haben zwei Orte zum Speisen geschaffen, mit den schönen Namen "Futterkrippe" und "Food-Plaza", vom Publikum allerdings meist banal "Fresszelte" benannt. Die Küchen hier sind thailändisch, griechisch, türkisch, burmesisch, polnisch und auch mal ganz bodenständig alpenländisch, die Preise tollwoodtypisch.

Das Pendant zum "Fresszelt" wäre dann die "Saufmeile". In der Tat haben ein paar Buden zu späterer Stunde nicht mehr nur einen Hauch von Malle und Ballermann mit Sprühregen oder Schneeflocken, sondern ganz handfeste Proll-Partystimmung. Im "Almrausch" etwa geht die Skihüttensause mit Glühwein und Jagertee ab. Letzterer kostet 4,20 Euro ohne Pfand, was ein stolzer Preis für ein Lackerl Tee mit Rum ist, wenn man es genau bedenkt. Geht aber weg wie nix. Das Publikum ist jung, robust und lässt sich selbst durch reichlich unkorrekte Musik zwischen DJ Ötzi und Hansi Hinterseer nicht vom Verharren abhalten.

Die "Feuerzangenbowle" am Ende des Geländes bevorzugen die eher Gereifteren. Spätabends reicht der Unterstand lange nicht mehr aus, in großen Trauben steht man im Kies um Pfützen herum und trinkt warmen Alkohol. Wenn das nicht Tollwood-Romantik ist!

Gegen 23 Uhr trifft man dort auch die beiden Schwaben wieder, stolze Besitzer von niegelgnagelneuen Schafwollsocken. Die Frage: "Was suchsch'?", beantwortet sich nun fast von selbst. Unter anderem, weil der eine Sockenbesitzer die fesche Blondine am Stehtisch bereits auf die zweite Feuerzangenbowle eingeladen hat. Der "Markt der Ideen", er bietet eben viele Möglichkeiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: