Manchmal vergisst man, wie ernst es dem Clown ist. Dann umspielt ein schelmisches Lächeln Michael Heiduks Gesicht, das wegen eines energischen Kinns an das von Hollywood-Star Christoph Waltz erinnert. Heiduk versteht sich auch auf Schauspiel, das hat er in Regensburg studiert, immer mit dem Ziel, Artist, Akrobat, Clown zu sein. Nun macht er auch Politik. Und dann ist schnell klar, dass er ein ernstes Anliegen hat, dass ihn die Lage des zeitgenössischen Zirkus hier in München betroffen macht, wenn er sagt: "Die meisten jungen Talente ziehen wegen mangelnder Produktionsmöglichkeiten und einer Perspektivlosigkeit weg."
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Immerhin, im städtischen Kulturreferat hat er Gehör gefunden. München hat 2020 als erste Stadt in Deutschland eine jährliche kleine Förderung von 30 000 Euro speziell für den freien Neuen Zirkus eingeführt. Berlin hat München aber längst überflügelt (140 000 Euro), und überhaupt wisse eigentlich kaum jemand, wie man hier Geld für seine Zirkusprojekte aus den Jury-bewachten Töpfen für Tanz oder Theater beantrage, sagt Heiduk. Und lächelt. Er selbst und einige wenige Kollegen wie Kolja Huneck und Johannes Böhringer haben das irgendwie geschafft. Heiduk ist allerdings als Sprecher der örtlichen Szene und des Bundesverbands BUZZ auch ständig im Kontakt mit der zuständigen Fachbearbeiterin.
Ratlos, fast fassungslos ist er aber, wenn er auf den Freistaat Bayern zu sprechen kommt. Er hatte das Kunstministerium gebeten, in die Freie-Theater-Förderung den zeitgenössischen Zirkus aufzunehmen - als interkulturelle, -disziplinäre, -generationale und inklusive Szene, die sich professionalisiert hat. Aus dem Büro des freundlich grüßen lassenden Kunstministers Markus Blume erhielt er eine Abfuhr: Das Kunstministerium fördere nur Theater und darstellende Kunst, für Zirkusunternehmen (selbst solche mit künstlerischem Anspruch) sei das Wirtschaftsministerium zuständig. Mit anderen Worten: Für den Freistaat ist Zirkus keine Kunst, sondern Kassieren.
So kann Heiduk das nicht stehen lassen. "Wir brauchen jemanden im bayerischen Landtag, der sagt: Den Zirkus muss man differenziert betrachten, kommerziell und kulturell." Man habe als Profi nur die Wahl: zwischen Kommerz im durchaus großen Markt der Varietés wie der GOP-Kette oder der "wahren", der forschenden, aber eben hungerleidenden Kunst. "Oder Auswandern." Und das meint Heiduk ernst, viele Münchner Künstler wie der Zirkus Morsa oder Julian Bellini seien als "Wirtschaftsflüchtlinge" nach Belgien oder besonders nach Frankreich übersiedelt, wo es bessere Ausbildungs- und Auftrittsmöglichkeiten und sogar ein Grundeinkommen für Artisten gebe.
Jetzt kommen einige zurück zu einem "zeitgenössischen Zirkusexperiment in drei Teilen" im Theater HochX. Unter dem Titel "Balance in between" zeigen sie an drei Abenden von Freitag bis Sonntag, 10. bis 12. Februar, die Vielfalt des Genres: Die Partnerakrobaten Rosa und Moritz vom Zirkus Morsa bringen sich mit zum Teil auf der Straße gefundenen Gegenständen in Balance und in Kontakt; der Tausendsassa Julian Bellini stellt mit Tisch, Stuhl und Toaster Raubtiere dar und lässt sie in einem "komisch-akrobatischen Vortrag mit Musikschleife" singen; und das von Heiduk 2006 gegründete Kollektiv Pepe Arts lotet in einem Wechselspiel mit dem Publikum und den Objekten des bildenden Künstlers Philipp Messner die "eigene Beziehung zur materialistischen Welt" aus.
Am Samstag, 16 Uhr, gibt es ein offenes Netzwerktreffen mit Diskussionsrunde. Es wird um den gesellschaftlichen Wert des Zirkus an sich gehen, dem immer noch ein Schmuddel-Image anhaftet: Die Nationalsozialisten sprachen den Artisten die künstlerische Bedeutung ab, da das reisende Volk nicht in deren Idealbild passte. "In manchen Bundesländern wie in Bayern hält dies immer noch an", heißt es in der Einladung.
Dagegen hat Nordrhein-Westfalen den Neuen Zirkus vor drei Monaten zu seinem immateriellen Kulturerbes erklärt. Vertreter des sehr diversen lokalen Artisten-Netzes - von Nachwuchs-Schulen wie Lilalu oder Leopoldini bis zu den Profi-Veranstaltern vom Tollwood-Festival - wollen sich dann aber nicht nur beklagen, sondern auch fragen: "Was kann die Szene selbst tun?"
Heiduk hat viele Antworten. Artisten wie er sind anders als ihr Ruf nicht chaotisch, sondern zielstrebig, bauen Schritt für Schritt auf. Heiduk jongliert mit Positionspapieren, Studien, Kooperationskonzepten, Projektplanungen (etwa für sein "Freeman-Festival" über Pfingsten im Werksviertel) und kulturpolitischen Forderungen so sicher wie mit Bällen. Um den zeitgenössischen Zirkus in München zu retten, fordert er seit gut zehn Jahren immer das Gleiche: professionelle Ausbildung, finanzielle Förderung und Trainings- und Spielstätten.
Da fängt es an: Heiduk erzählt dies im Circus Hub, das ist ein ehemaliges Reifenlager im Souterrain neben dem Werksviertel. Das improvisierte Hauptquartier des Vereins Zirkus-Akademie und der Kulturraum Gbr ist zu niedrig. Akrobaten, die einem anderen auf die Schultern steigen wollen, müssten den Kopf einziehen, sie weichen zum Trainieren auf Umwegen in Sportstätten aus. Heiduk wünscht sich von der Stadt eine acht Meter hohe Halle auf Dauer zum Recherchieren, Proben, Produzieren. Auch an Spielstätten mit Hänge- und Ankerpunkten für Geräte wie den Chinese Pole und mit Technikern, "die wissen, was wir brauchen", mangele es in den städtischen Theater. Das Kulturreferat habe den Zirkusleuten immerhin einen Platz im irgendwann einmal bespielbaren Produktionshaus für die Freie Szene in der Jutier- und Tonnenhalle in Aussicht gestellt.
Noch übt man auf 200 Quadratmetern im Circus Hub, das Gewerbe-Gebäude könnte aber jederzeit abgerissen werden. Jeden Abend gibt es offene Kurse für Handstand, Luftreifen oder Acroyoga, Zielgruppe: zahlendes Jedermann-Publikum, das die Miete für die klammen Profis finanziert, die hier tagsüber trainieren. Einige Flüchtlinge aus der Ukraine sind da, hoch professionell, zielstrebig. "Wir Münchner hinterfragen uns immer mehr", sagt Heiduk, das brauche Zeit. Aber das sei für ihn die Basis des zeitgenössischen Zirkus: "Wir wollen Geschichten erzählen; die Basis ist die Thematik, nicht der Trick."
Eine eigene Sprache finde man vor allem im Miteinander einer Gemeinschaft mit anderen Disziplinen wie Tanz, Kunst oder Theater. "Dann schreib' halt Performance-Kunst in deine Förderanträge und verzichte auf das Wort Zirkus", hat ihm neulich jemand geraten. "Klar, man könnte sich schon so durchmogeln", sagt Heiduk, "aber ich will loyal sein, wir haben uns das mit dem Zirkus aufgebaut."