Interview mit einem Feuerkünstler:"Machen Sie das nicht zu Hause"

Andrea Salustri

Andrea Salustri experimentiert mit brennbaren Substanzen und tanzt mit den Flammen.

(Foto: Andrea Salustri)

Tollwood fällt aus, und damit viele Performances zum Thema Feuer. Der Tänzer, Philosoph und Flammenbeschwörer Andrea Salustri erzählt von der zerstörerischen und beruhigenden Macht der Verbrennung.

Von Michael Zirnstein, München

Über das verlassene Tollwood-Gelände wacht ein 18 Meter großer Phoenix. Das Festival hätte an diesem Mittwoch starten sollen mit einem Schwerpunkt auf Feuer-Shows unter freiem Himmel. Wegen der Corona-Notlage wurde nun doch alles abgesagt, auch die drei Eröffnungs-Performances des Berliner Flammenbeschwörers und Brandbeschleunigers Andrea Salustri.

SZ: Haben Sie als Feuerkünstler ein besonderes Verhältnis zu dem Flammenvogel?

Andreas Salustri: Nicht persönlich. Aber als Bild passt der Phoenix zur Lage. Flammen können zerstörerisch sein. Wie in diesem Jahr. Aber unter der Asche kann alles neugeboren werden.

Wir sehnen uns nach Wärme und Licht in kalten, dunklen Tagen. Würden Sie uns, als Ersatz für Ihre Feuershow, einen Flammen-Trick für zu Hause verraten?

Lieber nicht, das ist kein Spaß. Da verbrennt man sich schnell, machen Sie das nicht zu Hause. Wer sich jetzt nach einem wärmenden, beruhigenden Feuer sehnt, dem kann ich nur empfehlen, sich mit anderen an einem sicheren Platz gemeinsam um ein Lagerfeuer zu versammeln. Aber wer selber Feuermanipulation lernen will, findet überall Leute mit Erfahrung, die sie in die Kunst einweihen. Unsere weltweite Gemeinschaft empfängt andere mit offenen Armen.

Können Sie erklären, warum wir hypnotisiert werden von lodernder Glut? Ist das eine archaische Angst - oder das erhebende Gefühl, die Flammen zu beherrschen?

Ich habe keine bessere Erklärungen als Sie. Ich selbst fühle mich angezogen und eingeschüchtert von Feuer, wunderschön und gefährlich zugleich, darum habe ich meine Experimente begonnen.

Haben Sie als Kind schon gezündelt?

Nein. Aber ich erinnere mich noch genau, wie ich als Kind fasziniert eine Feuershow in Rom erlebt habe, auf einem Festival wie Tollwood. Ein sehr starker Moment. Jahre später begegnete mir etwas Ähnliches, als ich mit dem Kontakt-Jonglieren in der Zirkus-Community anfing. Und es machte gleich wieder bumm.

Was haben Sie in Ihrem Philosophiestudium auf der Sapienza-Uni in Rom über die Macht, auch die religiöse, des Feuers gelernt?

Ich habe mich dabei mehr mit der Ästhetik der Künste beschäftigt, noch nicht speziell mit dem Feuer. Ich wollte zu der Zeit den Sinn von allem Sein verstehen, also studierte ich analytische Philosophie. Das war eine gute Basis für meine Künste: analysieren, dekonstruieren und sehen, was dabei herauskommt.

Welchen Sinn sehen Sie im Spiel mit dem Feuer?

Keinen. Mich faszinieren die Arbeit mit den verschiedenen Materialien, die zu verschiedenen Verbrennungen führen, und die körperlichen und die emotionalen Zustände, die man dabei erlebt.

Was verbrennen Sie?

Verschiedene Dinge. Die Rezepturen zu finden, hat sehr lange gedauert und war der Kern meiner Forschung. Ich mache viele Verbrennungsexperimente.

Können Sie ein Beispiel nennen? Die einen Feuerspucker benutzen ja Petroleum, andere Bärlappsporen.

In meiner Show breitet sich das Feuer viel auf dem Boden aus. Ja, da gibt es Pulver, da gibt es Flüssigkeiten, es gibt Metallspäne für Funken und Mittel für Farben. Ich möchte nicht ins Detail gehen.

Um kein Betriebsgeheimnis auszuplaudern?

Nicht in Art eines Zauberers. Aber es gab eine Initiation für Feuerkünstler, die mir mein Freund Gianmaria Lenti gab. Das gebe ich auch gerne weiter, nur nicht im Rahmen eines Interviews.

Es gibt nicht viele Künstler, die derart viele Flammen auf der Bühne haben. Sie stehen mitten in einem Inferno.

Ja, der Star der Show bin nicht ich, sondern das ist das Feuer selbst. Also muss es auch größer und stärker sein als ich.

Haben Sie sich verbrannt?

Natürlich. Und ich kenne Freunde, die sich schlimm verletzt haben. Darum zögere ich so, Ihnen die Mittel zu nennen.

Benutzen Sie Hitzeschutz wie Stuntmen?

Ich trage einen Kevlar-Schild, der Rest ist natürliches Gewebe. Künstliches Gewebe schmilzt oft in einer Sekunde, Baumwolle hält länger, Gewebe, das auf tierischem Eiweiß basiert, schützt am besten. Aber meine Kleindung brennt manchmal, und das ist Teil des Spiels. Ein tiefes Wissen darüber, was passiert, ist nötig, um echte Gefahr zu erkennen.

Haben Sie eine Art feuerfesten Probenraum?

Ja, in einer verlassenen Fabrik in Berlin, ohne Risiko für andere.

Warum werden Pyro-Effekte viel in Rock-Shows eingesetzt, weniger im Theater?

Zuerst einmal: Es gibt da eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von Feuer und Theaterhäusern. Aber ich verstehe die Frage: Es gibt eine sehr direkte Reaktion auf Feuer, es ist einfach, die Menschen mit Feuer zu unterhalten. Man findet selten Feuershows, die nicht nur unterhalten wollen, sondern die Poesie des Feuers oder das Feuer in sich selbst untersuchen. Die direkte Zugänglichkeit des Effekts ist da näher am Rock'n'Roll.

Die Welt brennt gerade. Ist das Feuer in Verruf gekommen?

Ich habe da sehr gemischte Gefühle. Es gab große Brände diesen Sommer auf der ganzen Welt und speziell in der Türkei, ich habe Freunde, die schwer betroffen waren von der Verwüstung. Aber es gibt auch eine weltweite Feuergemeinde, es gibt viel Liebe für dieses Element. Denken Sie daran, wie es uns wärmt. Wie wir damit gesellig kochen. Feuer geht von Zerstörung zu Ruhe. Es zu betrachten, ist ein kathartischer Moment. Es gemeinsam zu wecken und zu betrachten, hilft uns, wieder in den Zustand des Wartens und Aufnehmens zu kommen.

Dabei fühlt man sich längst schon schuldig, wenn man am Lagerfeuer sitzt und Kohlendioxid ausstößt. Geht Ihnen das auch so?

Ja. Aber schon allein, dass ich auf der Erde lebe, ist eine Verschwendung von Ressourcen. Es ist eine Frage des Abwägens. Ich weiß, dass meine Feuer-Manipulation nicht das Beste ist für den Planeten, aber ich versuche sonst umweltbewusst zu leben.

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