Seifenkiste. Allein der Name. Er klingt nach Sommer, kurzen Hosen, dem Surren kleiner Räder, dem Juchzen der Fahrer und ganz viel Spaß. Und nach schwarz-weißen Nachkriegsfotos. Den Spaß und das Juchzen gibt es ganz sicher am Dienstag in der Au, wenn die Seifenkistenfahrer den Gebsattelberg hinunterdüsen. Und die schwarzweißen Fotos gibt es auch: Das Rennen hat Tradition.
Die Amerikaner brachten die "Soapbox Races" nach Kriegsende nach München. Die Holzkisten waren damals mehr als nur ein Freizeitspaß: Sie waren Teil des großen Plans, den nationalsozialistischen Unrat aus den Gehirnen der deutschen Jugend zu entsorgen.
Die "German Youth Activities" (GYA), die von der amerikanischen Militärverwaltung ins Leben gerufene Jugendorganisation, ließ sich einiges einfallen, den Kindern freiheitliche und demokratische Verhaltensweisen beizubringen.
Die in den Dreißigerjahren in den USA entstandene Idee einer Seifenkistenfirma, aus den Transportboxen kleine Renngefährte zu bauen, kam da gerade recht.
Seifenkistenrennen statt Fahnenschwenken
Seifenkistenrennen statt Fahnenschwenken - ein guter Tausch. Und nötig: Denn die deutschen Kriegskinder hatten das Spielen verlernt. Der US-Sergeant Ted Rohr, der Mann, der die Seifenkistenrennen nach München importierte, ist in der SZ vom 14. Juli 1949 mit einer traurigen Aussage zitiert: "Die Kinder hier wissen überhaupt nicht, was Spiel eigentlich ist. Wir hatten ein Sommerlager, glauben Sie, dieser ganzen Gesellschaft wäre eingefallen, was sie spielen könnten? Nichts, sage ich Ihnen! Die Kinder rennen auf den Straßen herum (...), sie lärmen (...) und wissen nichts mit sich anzufangen. Warum zeigt man ihnen nicht, wie man spielt?"
Ted Rohr zeigte den Münchner Kindern, was eine Soapbox ist, und am 2. Oktober 1948 ratterten die ersten Seifenkisten den Gebsattelberg hinunter, über die die SZ am 5. Oktober 1948 schrieb: "Neben unverkennbaren Abkömmlingen von Kinderwagen und wirklichen Selbstkonstruktionen aus Pappdeckeln, Kistenbrettern, Sofakissen und Matratzenfedern fanden sich, buntscheckig bemalt, fachgerechte Bauprodukte von Vätern." Aus verständlichen Gründen war es dem Reporter damals berichtenswert, dass jeder der mehr als 150 Teilnehmer eine "Cellophantüte mit Pfannkuchen, belegten Broten und Äpfeln" bekam.
Unterschieden wurde damals fairerweise zwischen Kisten mit Luftreifen und Holz- oder Gummirädern. Die Preise konnten sich sehen lassen: Der Sieger bekam neben einem riesigen Lorbeerkranz ein Fahrrad, außerdem gab es Fußbälle, Skistiefel und Spiele. Überreicht übrigens vom damaligen Oberbürgermeister Thomas Wimmer, dem Direktor der GYA und dem Münchner Polizeipräsidenten.
Die Seifenkisten verbreiteten sich im ganzen Land schneller, als die Kisten rollen konnten: 1949 nahmen in ganz Deutschland 15 000 Kinder an mehr als 500 Wettkämpfen teil. Die Deutsche Meisterschaft wurde in München ausgetragen, auf einer eigens gebauten, riesigen Holzrampe auf der Theresienwiese. Bis zu 15 000 Zuschauer kamen damals zu den Rennen. Der Gewinner bekam eine 14-tägige Reise nach Amerika, zusammen mit seinem Vater - weil doch einiger Schweiß der Väter in den Kisten steckte. In Akron in Ohio konnte der Rennfahrer dann am "All American Soap Box Derby" teilnehmen.
In Amerika sponserte General Motors die Rennen, in Deutschland die Adam Opel AG, die eigene Bausätze herstellte und vertrieb. 1957 stieg Opel aus dem Sponsoring aus - und damit war Münchens Seifenkistenrennen-Ära beendet.
Oberbürgermeister als Rennfahrer
Bis 2004. Zur 150-Jahr-Feier der Eingemeindung Haidhausens und der Au nach München erinnerte sich Herbert Liebhart, Mitglied im Bezirksausschuss, an die Seifenkisten-Rennen, bei denen er als Kind mit seinem Vater zugesehen hatte. Und stellte ein neues Rennen auf die Beine. "Ich bin damals nicht mitgefahren", sagt er. "Aber ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn die Kinder an den Schulen Seifenkisten bauen und dann mitmachen." Beim ersten Rennen zählte sogar Schirmherr Christian Ude unfreiwillig zu den Rennfahrern: Für ein Foto kletterte er in eine Seifenkiste, Liebhart aber gab ihm einen Schubs, und schon war er auf der Piste.
2005 war mit der wiederbelebten Tradition wieder Schluss: Organisator Liebhart blieb auf etwa 3000 Euro Restkosten sitzen. "Für so ein Rennen braucht man etwa 8000 Euro und eine Menge Zeit", sagt Liebhart. Absperrungen, Genehmigungen, Begehungen mit der Feuerwehr, der Auf- und Abbau, Anmeldungen und Ausweise für die Einweiser - zwei dicke Ordner liegen vor Liebhart. "Die viele Arbeit und dann noch Kosten - das wollte ich mir nicht mehr antun", sagt er. 2006 fiel das Rennen deshalb aus.
Fans am Berg
Der Gebsattelberg hatte aber schon Fans gefunden: "Die Münchner Strecke gehört zu den schönsten in Bayern", sagt Bernhard Kiefer, einer der beiden jetzigen Organisatoren. "Sie hat ein schönes Gefälle und eine ganz leichte S-Kombination - super". Als er 2004 mit seinem Sohn Leonard Vogt bei dem Rennen zusah, schenkte er ihm spontan eine Woche Seifenkistenbauen in den Ferien und konstruierte zusammen mit ihm den "Schwarzen Adler". Leonard zählt mittlerweile zu den besten Fahrern Bayerns, aus München ist er aber der einzige Profifahrer.
Dass es in München so wenig Konkurrenz für seinen Sohn gibt, liege an den Eltern, sagt Kiefer. "Wenn man ein Ferienprogramm 'Seifenkistenbauen' veranstaltet, dann liefern die Eltern die Kinder ab und gehen wieder. Die begreifen gar nicht, dass man das ja zusammen macht", schildert er seine Erfahrungen. Deshalb will er lieber Schulen und Kindertagesstätten dazu animieren, gemeinsam Seifenkisten zu bauen - was besser funktioniere. Schulen aus ganz München gehen am Dienstag an den Start.
Jeder Teilnehmer fährt zweimal, einmal auf der linken, einmal auf der rechten Fahrbahn. Die Ergebnisse werden zusammengezählt. In der freien Klasse konnte man in den vergangenen Jahren römische Streitwagen und rollende Eisschollen beobachten. Gebaut von etwas größeren Kindern. Die immer noch spielen wollen.
Das Rennen beginnt am Dienstag, 12.30 Uhr am Gebsattelberg in der Au und dauert bis 17 Uhr.