Töne angeln:Das Flüstern aus der Tiefe

Töne angeln: Tom Zweck reist mit dem Hydrophon unter die Oberfläche des Münchner Wassers. Kaum setzt er die Kopfhörer auf, ist nichts als Stille.

Tom Zweck reist mit dem Hydrophon unter die Oberfläche des Münchner Wassers. Kaum setzt er die Kopfhörer auf, ist nichts als Stille.

(Foto: Yoav Kedem)

Tom Zweck nimmt Geräusche von Brunnen, Flüssen und Kanälen auf. Er möchte eine Soundmap erstellen, auf der man sich durch Münchens Unterwasserwelt hören kann

Von Sabrina Ahm

Wie hört sich München an? Die Autoräder auf dem Asphalt. Auspuffe der Motorroller. Das Gewusel der Menge. Das Klingeln der Straßenbahn. Das alles kennt der Münchner. Aber was passiert eigentlich unter der Oberfläche? In den Brunnen, Flüssen, Kanälen? Welche Geschichten erzählt Münchens Wasserwelt? Diese Töne sind schwer zu erreichen. Tom Zweck, 44, hat sich zur Aufgabe gemacht, sie zugänglich zu machen. Am frühem Nachmittag steht Zweck am Hubertusbrunnen in Nymphenburg. Er ist ein Künstlertyp. Sportlich gekleidet mit beigen Shorts und schwarzem Shirt, ausgestattet mit Sonnenbrille und Cap, neben ihm sein Rucksack mit Equipment. Die Kopfhörer auf den Ohren. Bereit für die "Tonjagd".

Im Wasser hängt bereits sein "Köder", ein Keramikmikrofon am Ende eines meterlangen Kabels, befestigt an einem ausfahrbaren Stab. Die "Tonangel", wie Zweck die Konstruktion nennt, hat er sich selbst gebaut, das Hydrophon wurde ihm als Leihgabe überlassen. Seit fast zwei Monaten ist er damit unterwegs. Durchstreift München. Heute Nymphenburg.

Zweck möchte eine "Soundmap", eine Stadtkarte aus Tönen, machen. Dafür sammelt er so viele verschiedene Töne wie möglich, aus verschiedenen Stadtvierteln, aus verschiedenen Gewässern. Zu jedem Ton wird es auch ein Bild geben, er knipst mit seiner Handykamera, während die Aufnahme läuft. Am Ende soll es mit seiner "Soundmap" möglich sein, sich durch Münchens Unterwasserwelt zu hören.

Sein nächster Stop ist die Gerner Brücke. "Die erste Begegnung mit Karpfen", sagt Zweck. Kaum taucht das Hydrophon hinunter in den Kanal, schwimmen nicht nur die Karpfen heran. Auch der erste Passant fragt nach. Zweck erzählt, was er da macht, und gibt dem Interessierten die Kopfhörer. Der Mann hört kurz und blickt dann ein wenig enttäuscht hinunter ins Gewässer, die Geräusche unter Wasser habe er sich anders vorgestellt. Er habe kein fischähnliches Geräusch gehört. Zweck ist diese Reaktion nicht fremd. "Was ist denn ein fischähnliches Geräusch?", fragt er. Die Antwort bleibt aus. "Viele Geräusche, besonders was die Unterwasserwelt angeht, kennen wir gar nicht", sagt Zweck, "wir können raten, sind dann aber doch beeinflusst durch die Töne, die wir aus der Medienwelt kennen. Macht ein Fisch wirklich blup blup blup?" Auch er habe sich die Geräusche zuerst anders vorgestellt. "Das wird ein Audio-Buch, jeder wird da etwas anderes in die Geräusche hineininterpretieren, ob es jetzt die Heckflosse ist oder ein Krebs, der pupst." Zweck lacht. Plötzlich kommt ein Karpfen für einen kurzen Moment an die Oberfläche, taucht wieder ab. Ein kleiner Schreck. "Es war Record. Super, danke!", ruft Zweck dem Karpfen zu.

Ein nächstes Ziel ist schon in Sicht. Es geht weiter in Richtung Nymphenburger Schloss. Zweck ist fokussiert. Das Unterwasser-Aufnehmen ist für ihn noch ziemlich neu. Seit gut 20 Jahren arbeitet er in der Werbe- und Unterhaltungsbranche. Vor Corona gab er Verkaufs- und Kommunikationstrainings. "Da ist man immer unter Leuten, bekommt ständig Feedback." Als die Pandemie kam, konnten seine Trainings nicht mehr stattfinden. "Wenn das auf einmal weg ist, dann musst du dich erst einmal neu erfinden", sagt Zweck. Im vergangenen Jahr habe er zum ersten Mal erfahren, wie schmerzlich es sei, wenn das wegfällt. "Sich selbst bewusst zu machen, dass man genug ist. Dass man einfach etwas macht. Eine Wirkkraft zeigt. Ohne Bestätigung. Ohne, dass dir jemand sagt 'Mach mal!', sondern von sich aus." Das sei immer noch ein Kraftakt. Auch beim Audioprojekt muss Zweck geduldig sein. Rückmeldungen kommen dann vielleicht mit der Soundmap. "Aber erst einmal sind es Audiodateien und Fotos auf meiner Festplatte", sagt Zweck. Er genieße es, mit Passanten in Kontakt zu treten, Interesse zu wecken. "Da ist das Hydrophon sogar besser als ein Hund. Man kommt raus, lernt unglaublich viele Menschen kennen."

"Dann schauen wir mal ins Schloss", sagt Zweck, "es gab da ja mal Koi-Karpfen, ob die noch da sind." Immer auf der Suche nach dem nächsten "Flüstern", wie Zweck es nennt. Leider wird er enttäuscht. Der Parkwächter erzählt ihm, dass es hier schon lange keine Koi-Karpfen mehr gebe. "Schade, ich wollte so gern hören, ob Koi-Karpfen rülpsen", entgegnet Zweck. Der Parkwächter lacht.

Unterwegs wird die Angel noch einmal ausgeholt und das Hydrophon landet im Schlossgartenkanal, inmitten von Unmengen an Algen. "Hier haben wir jetzt eine starke Strömung und die hört man auch", sagt Zweck. Überall seien die Töne anders, er könne sich das nicht erklären. Vielleicht müsse man das aber auch nicht. "Es ist wie ein Flüstern aus der Tiefe." Man tauche in eine andere Welt ab. Genau deswegen habe er sich auch für diese Töne entschieden, "weil es schwer zu erreichen ist, eine komplett neue Welt". Über Wasser sei es oft sehr laut. Kaum setze er die Kopfhörer auf, tauche das Hydrophon unter Wasser, sei dort nichts als Stille.

Im Schwimmbad war Zweck auch schon, um Töne aufzunehmen. "Das wird einem viel leichter erlaubt, als wenn man Videoaufnahmen machen würde", sagt er. Ins Aquarium möchte er noch. Ein Band unter Wasser spielen lassen und mal sehen, wie viel zu hören ist bei so einem Unterwasser-Konzert. Außerdem wolle er Cocktails aufnehmen. "Wie hört sich ein Pina Colada an? Wie ein Gin Tonic?", fragt er sich. Es gibt also viel zu tun. Für heute ist sein letzter Stop der Brunnen vor dem Nymphenburger Schloss. Zweck hält die Angel ins Wasser. "Das gefällt mir gar nicht. Hier ist überall Spannung", sagt er. Aber man wisse eben nie, was für einen Ton man dort unten bekommt.

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