Tödlicher Unfall:Haftbefehl wegen Mordes nach Raserfahrt

Auf der Flucht vor der Polizei missachtet ein 34-Jähriger mehrere rote Ampeln und fährt mit dem Auto mit hohem Tempo in eine Gruppe von vier Jugendlichen. Ein 14-Jähriger stirbt, eine 16-Jährige wird schwer verletzt

Von Tom Soyer

Ein 34-jähriger Geisterfahrer, der in der Nacht zum Samstag im Münchner Stadtteil Laim in eine Gruppe von vier Jugendlichen gerast ist und dabei einen 14-Jährigen tödlich und eine 16-Jährige schwer verletzt hat, wird sich wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes verantworten müssen. Am Samstagabend erging deshalb Haftbefehl gegen den Mann, der aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen stammt. Nach Angaben der Polizei sei er vor einer Polizeikontrolle davongerast und habe auf der Fürstenrieder Straße mit mehr als Tempo 100 mehrere rote Ampeln auf der Gegenspur ignoriert, bis es zum tödlichen Frontalunfall kam. Kurz darauf sei er trotz eigener Verletzungen zu Fuß geflüchtet, wurde bei einer Großfahndung aber rasch festgenommen.

Die Münchner Staatsanwaltschaft stand am Samstag vor der Frage, ob sie diese Todesfahrt - neben anderen Delikten wie Unfallflucht, die dabei wohl auch begangen wurden - als fahrlässige Tötung oder als Mord im Sinne der jüngsten Raser-Rechtsprechung anklagen soll. Der Tathergang, wie ihn das Polizeipräsidium München erst nach längeren Ermittlungen und intensiver Abklärung mit der Staatsanwaltschaft am Samstagnachmittag bekannt machte, zeigt zumindest einige Merkmale auf, welche in Richtung Raser/Mord weisen: Beispielsweise das rücksichtslos hohe Tempo von "mehr als 100 Stundenkilometern", wie ein Polizeisprecher am Sonntag sagte, ebenso die Wehr- und Arglosigkeit der Opfer, die nach bisherigem Ermittlungsstand bei grüner Ampel die Straße überquerten und nicht damit rechnen konnten, dass sie ein Raser aus der falschen Richtung frontal anfährt. Der richterliche Haftbefehl vom Samstagabend erging aus solchen Erwägungen dann auch wegen Mordes.

Auslöser für die tödliche Geisterfahrt war ein verbotswidriges Manöver des 34-Jährigen, eine Ordnungswidrigkeit: Gegen 23.10 Uhr habe er auf der Landsberger Straße stadteinwärts nicht weit hinter dem Abzweig der Fürstenrieder Straße seinen BMW gewendet. Das fiel einer Streifenwagenbesatzung der Polizeiinspektion 41 (Laim) auf, die den Pkw anhalten wollte. Das misslang jedoch, weil sich der auffällige Fahrer mit seinem Pkw so schnell entfernte, "dass die Streife in kürzester Zeit den Sichtkontakt zu dem Fahrzeug verlor", wie es im Polizeibericht heißt. Sie forderte daraufhin Unterstützungskräfte an.

Zwei Jugendliche von Auto angefahren

Das Unfallfahrzeug auf der Fürstenrieder Straße. Der Fahrer flüchtete, nachdem er das Auto stehengelassen hatte, zu Fuß. Die Polizei konnte ihn jedoch kurze Zeit später festnehmen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Auf erste Reaktionen in sozialen Medien am Wochenende, die Polizei habe den Fahrer "gehetzt", reagierte Sven Müller als Sprecher des Polizeipräsidiums verärgert. "Wir haben den nicht gehetzt - der war weg", und weil er mit mehr als Tempo 100 auf der Fürstenrieder Straße mehrere rote Ampeln überfuhr, sei es gar nicht möglich gewesen für jene Streife, dranzubleiben. Unklar sei noch, ob der Flüchtende die Fürstenrieder Straße zunächst auf der korrekten Seite oder von Anfang an als Geisterfahrer befuhr.

An der Kreuzung zur Aindorferstraße wollten vier Jugendliche aus München die Fahrbahn nach Erkenntnissen der Polizei bei Grünlicht an der dortigen Fußgängerampel überqueren, die Gruppe befand sich auf der Fußgängerfurt. In diesem Moment näherte sich der flüchtende Pkw als Falschfahrer auf der Fürstenrieder Straße mit extremem Tempo und kollidierte dabei mit einem 14-Jährigen und einer 16-Jährigen, eine 15-Jährige und ein 16-Jähriger blieben unverletzt. Der Aufprall wird als so heftig beschrieben, dass Kennzeichen, Außenspiegel und andere Fahrzeugteile davonflogen und im Unfallwagen die Seitenairbags auslösten. Der 14-Jährige wurde frontal erfasst und meterweit durch die Luft geschleudert, die 16-Jährige erlitt schwere, aber nicht lebensgefährliche Verletzungen an Armen und Beinen.

Während die beiden Jugendlichen schwer verletzt liegen blieben, setzte der 34-Jährige seine Fahrt fort. Eine weitere Streifenbesatzung, die im Zuge der Funkfahndung alarmiert worden war, sah die Verletzten auf der Fahrbahn und kümmerte sich sofort um intensive Erste-Hilfe-Maßnahmen. Bei dem 14-Jährigen stellten die Beamten keine Vitalfunktionen mehr fest und begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die vom Rettungsdienst fortgesetzt wurden. Der Jugendliche starb trotz dieser Bemühungen gegen 0.40 Uhr in einer Münchner Klinik. Auch die 16-jährige Jugendliche musste in einem Krankenhaus behandelt werden, das Kriseninterventionsteam kümmerte sich um Unfallopfer und Angehörige.

Tödlicher Unfall: Am Unfallort haben Menschen am Wochenende Kerzen aufgestellt als Zeichen der Anteilnahme und Trauer.

Am Unfallort haben Menschen am Wochenende Kerzen aufgestellt als Zeichen der Anteilnahme und Trauer.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf der weiteren Flucht verursachte der Unfallfahrer noch einen Verkehrsunfall, als ihm ein 29-jähriger Münchner mit seinem Kleinwagen im letzten Moment auswich, indem er sein Fahrzeug gegen eine Litfaßsäule lenkte. Der Fahrer verletzte sich dabei leicht und erlitt Stauchungen. Eine Streifenwagenbesatzung entdeckte das Fahrzeug des Flüchtenden dann wenige hundert Meter vom Ort des tödlichen Unfalls entfernt an der Kreuzung Fürstenrieder/Inderstorfer Straße, wo es langsam ohne Fahrer ausrollte. Die Polizisten setzten ihr Auto vor den rollenden Pkw und stoppten ihn. Mehr als 15 Streifenwagen beteiligten sich dann an der Sofortfahndung nach dem Raser und konnten ihn, humpelnd und blutend, rund zwei Kilometer von seinem Wagen entfernt, gegen 0.30 Uhr im Bereich des Westparks festnehmen. Er habe Widerstand geleistet, berichtet die Polizei, und sei wegen seiner durch den Frontalunfall erlittenen Verletzungen ebenfalls in ein Krankenhaus gebracht worden. Dort sei er auch am Sonntag noch immer behandelt worden.

Während der umfangreichen Ermittlungen war der gesamte Unfallbereich der Fürstenrieder Straße in beide Fahrtrichtungen bis etwa vier Uhr morgens gesperrt. Die Münchner Verkehrspolizei hat die Ermittlungen zur Klärung des Unfallhergangs zunächst übernommen, dann aber an das für Tötungsdelikte zuständige Dezernat der Kriminalpolizei übergeben. Die Ermittlungsarbeit konzentriert sich auf die Rekonstruktion des Tatgeschehens. Ob der 34-Jährige, der bisher nur durch weniger gravierende Verkehrsdelikte aufgefallen sei, unter Alkohol oder Drogen stand, wurde noch nicht bekanntgegeben. Die Staatsanwaltschaft München hat für Montag weitere Auskünfte zu dem Fall angekündigt.

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