Süddeutsche Zeitung

Todesfall in München:Wenn die Polizei sieben Tage zu spät kommt

Eine Woche lang liegt Bernd H. tot in seiner Wohnung. Eine Freundin, die sich Sorgen um ihn macht, lassen Münchner Beamte abblitzen. Jetzt muss die Polizei klären, ob sie den Mann hätte retten können.

Susi Wimmer

"Man fühlt sich so unglaublich machtlos", sagt Meike Groth leise. So etwas dürfe einfach nicht noch mal passieren. Deshalb will sie, dass der Fall in der Zeitung steht: Der Fall ihres guten Bekannten, der über eine Woche tot in seiner Nymphenburger Wohnung lag. Und das Verhalten der Polizei, die trotz mehrmaligen besorgten Anrufen von Meike Groth untätig blieb. Nach einer Beschwerde von Meike Groth prüft die Polizei, ob die Beamten von der Inspektion Türkenstraße disziplinar- oder strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.

"Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen einfach nichts mehr von sich hören lassen, weil sie keine Lust mehr auf Kontakt haben." Das bekam Meike Groth zu hören, als sie bei der Inspektion ihre Sorgen schilderte. Meike Groth heißt im wirklichen Leben anders, aber sie will keinen Wirbel um ihre Person. Die 48-Jährige lebt mit ihrer Familie in Gauting und ist seit Jahrzehnten mit Bernd H. aus München bekannt. Bernd H. war alleinstehend und bei den Groths ein gern gesehener Gast. "Ich kenne ihn, seit ich fünf Jahre alt bin", sagt sie. Regelmäßig besuchte der 68-Jährige die Familie, zuletzt im Mai.

Am Mittwoch, 11. Juli, sollte er um 10.56 Uhr mit der S-Bahn in Gauting ankommen. Meike Groth steht am Bahnsteig. Bernd H. kommt nicht. Auch nicht mit der nächsten S-Bahn. Sie wählt seine Handynummer, nach fünfmal Läuten schaltet sich die Mailbox ein. Auch am nächsten Tag erfolgt kein Rückruf. Am Freitag, 13. Juli, alarmierte Groth die Polizeiinspektion 12, erzählt von ihrem Bekannten, der seit 44 Jahren regelmäßig zu Besuch kommt, sehr zuverlässig sei.

Sie nennt seinen Namen, der Beamte sagt, diesen Namen gebe es 49 Mal in Bayern. Und wie oft in München, fragt Meike Groth. Einmal, sagt der Polizist. Wo dann das Problem sei, fragt sie. Gut, jetzt willigt er ein, Rettungsdienste durchzutelefonieren, ohne Ergebnis. Schicken sie doch eine Streife zu seiner Wohnung, bittet Groth. Sie selbst kennt seine Adresse nicht. "So weit sind wir noch lang nicht", antwortet der Beamte. Und was jetzt, fragt sie. Nichts, sagt der Beamte. Und überhaupt solle sie in Gauting bei der Polizei anrufen. Aber der Mann wohne in München, sagt Groth. Egal, sagt er.

"Hätte ich ihn retten können?"

Sieben Tage vergehen. Kein Lebenszeichen von Bernd H. Meike Groth ist in Sorge. Am 18. Juli versucht sie erneut ihr Glück bei der Inspektion 12. Eine Beamtin erklärt ihr, sie solle Vermisstenanzeige erstatten, in Gauting. Weil sie sonst hier das Telefon so lange blockiere. Eine Streife vorbeischicken könne man nicht, dafür gebe es "nicht genügend Anhaltspunkte". Jetzt ruft Meike Groth in Gauting an und dort geht alles ganz schnell: Die Beamten machen die Adresse von Bernd H. ausfindig, geben den Kollegen in Moosach Bescheid, die schicken eine Streife nach Nymphenburg und wenig später erhält Meike Groth den Anruf: Bernd H. ist tot.

"Hätte ich ihn retten können?", diese Frage quält Meike Groth seitdem. Aufgrund der Verwesung der Leiche konnte die Polizei keinen Todeszeitpunkt benennen, aber vermutlich sei der Mann schon vor längerer Zeit eines natürlichen Todes gestorben, sagt Polizeisprecher Reinhold Bergmann. Er bestätigte auch, dass innerhalb der Polizei abgeklärt werde, ob sich die Beamten falsch verhalten hätten.

"Wenn Erwachsene vermisst werden, ist das immer schwierig", sagt Bergmann. Ob und wie die Polizei da reagiere, erfordere Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl. Der Dienststellenleiter der Inspektion 12 jedenfalls erklärte Meike Groth, dass seine Beamten sich korrekt verhalten hätten. Schließlich sei Bernd H. nicht über 70 gewesen oder krank. Und sie hätte ja auch eine Geliebte sein können, die nur auf die Adresse von Bernd H. aus war. Da fiel Meike Groth nichts mehr ein.

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SZ vom 28.07.2012/afis
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