Süddeutsche Zeitung

Tocotronic in der Tonhalle:"Ironie beherrschen wir nicht"

Seit 18 Jahren schreiben Tocotronic deutsche Pop-Geschichte. Das neue Album hat die Poesie einer Schlachtplatte. Ein Gespräch vor dem Auftritt in München.

A. Krieger

"So jung kommen wir nicht mehr zusammen" oder "Pure Vernunft darf niemals siegen": Schon die Titel ihrer Songs und Alben sind längst Klassiker und immer schön T-Shirt-tauglich. Am Anfang wetterten Tocotronic noch gegen alles: Gitarrenhändler, Kleinkunst, Kleinstädte. 2004 kam Rick McPhail als Gitarrist dazu - und die Lieder wurden psychedelischer und raffinierter. Ihr neues Album "Schall & Wahn" hat die Poesie einer Schlachtplatte. Blut, Terror, Töten - ungewohnte Themen für die Darlings des Feuilletons, die damit trotzdem zum ersten Mal an der Spitze der deutschen Charts landeten. Also schnell noch ein Gespräch mit Schlagzeuger und Keyboarder Arne Zank und Frontmann Dirk von Lowtzow, bevor das Quartett am Freitagabend um 20.30 Uhr in der ausverkauften Tonhalle auftritt.

SZ: Mit Verlaub, Ihre neuen Texte klingen heftig.

Dirk von Lowtzow: Wir wollen drei Dinge unbedingt ausschließen: Pathos, Kitsch und Harmlosigkeit. Und wir wollen uns nicht langweilen. Also probieren wir bei jedem Album neue Textsorten aus. Bei diesem hat sich schnell ein drastischer Grundton eingeschlichen. Trotzdem sind die Songs so gestrickt, dass eine Band wie Slayer milde lächeln würde. Unter chemisch-biologischer Kriegsführung machen es die ja gar nicht. (lacht) Wir fanden es interessant, beschwingte Musik mit Aussagen wie "Die Folter endet nie" zu kontrastieren. Letztlich sind die Texte aber gar nicht so wichtig. Wir sind penibel in der Form und schlampig im Inhalt.

Arne Zank: Wir lieben Dramatik und Übertreibung. Die große Geste, die Tragödie. Und natürlich die Schmierenkomödie.

von Lowtzow: Und wir interessieren uns für die Kippmomente zwischen diesen Zuständen. Viele Songs von uns haben ihren Ursprung in einer Manie. Oft sind hysterische Zustände und Panik-Attacken die Auslöser für Stücke.

SZ: Wie erreichen Sie diese Zustände?

Zank: Ich muss nur versuchen, eine Stunde still zu sitzen, dann fängt es an zu rappeln. Auf jeden Fall muss vor dem Songschreiben die Wohnung aufgeräumt werden.

von Lowtzow: Dabei kommen einem Gedanken. Oder man geht einkaufen. Der Tagesablauf muss auf jeden Fall strukturiert sein.

SZ: Was ist für Sie wichtiger: Manie oder Ironie?

von Lowtzow: Ich glaube nicht, dass wir ironisch sind. Uns wurde unterstellt, dass gewisse Texte nur ironisch gemeint sein können - gerade frühe Stücke wie "Samstag ist Selbstmord". Aber Ironie beherrschen wir nicht. Das würde eine Distanz zu sich selbst voraussetzen. Die haben wir nicht.

SZ: Ihr früher Hit "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" klang schon sehr ironisch.

von Lowtzow: Es ist komplexer. Wir haben es schon so gemeint, wie wir es gesungen haben. Weil wir damals in ein Vakuum fielen: Es gab keine Jugendbewegungen mehr, von denen man ein Teil hätte sein können. Wir fingen zu einer Zeit an, in der vom Ende der Jugendkultur gesprochen wurde.

SZ: Auf Ihren ersten Alben waren Sie gegen alles und jeden.

von Lowtzow: Es war ein Dagegensein gegen das Dagegensein. Daher wirkte es so grotesk. Es war aber auch ein simpler literarischer Trick - der spätpubertären Lektüre von zu vielen Thomas-Bernhard-Büchern geschuldet (lacht). Wir haben uns permanent erregt über vollkommen belanglose Dinge. Das produziert in der Drastik eine ungewöhnliche Komik.

Zank: Das Pubertäre von Figuren wie Waldorf und Statler aus der "Muppet Show" mögen wir sehr gerne.

von Lowtzow: Der Grantler an sich ist uns ganz nah.

Zank: Dafür wurden wir von den Journalisten als altklug abgetan.

von Lowtzow: Aber die Wahrheit war: Wir waren frühvergreist. (lacht)

SZ: In Ihren ersten Videos haben Sie einen Kleidungsstil kreiert, den bald viele Jugendliche nachahmten: Cordhosen und Trainingsjacken vom Flohmarkt.

von Lowtzow: Das war das einzig Ironische. Unsere Klamotten waren extradämlich.

Zank: Das hatte etwas stark Anti-Machistisches und Unrockiges.

von Lowtzow: Punk und Hardcore waren damals sehr martialisch. Man denke nur an Henry Rollins mit seinen vielen Tattoos. Alle trugen T-Shirts von Jack Daniel's oder Guns'n'Roses. Und wir kamen plötzlich mit dem Vita-Malz-T-Shirt daher. Das war das Unmännlichste und Spießigste, was man sich denken konnte.

SZ: Am Anfang war Ihnen die Außenwirkung genauso wichtig wie die Musik?

Zank: Wir haben uns zunächst nicht um unsere instrumentalen Fähigkeiten gekümmert. Lieber diskutiert, was eine Band ausmacht, was es für Ausdrucksmöglichkeiten gibt. Bis heute haben wir uns eine Abscheu vorm Üben erhalten.

von Lowtzow: Unsere musikalischen Unzulänglichkeiten haben uns geradezu in die Metaebene gezwungen. (lacht) Als wir anfingen, waren alle großen Erzählungen im Rock-Genre zu einem Ende gekommen - auch Grunge, was uns unmittelbar beeinflusst hat, weil es die letzte abgewickelte Rock-Erzählung war. Gegen was sollten wir da noch rebellieren? So haben wir unseren Hass auf nebensächliche Dinge wie Fahrradfahrer oder Backgammon-Spieler gerichtet.

SZ: Sie sind nun seit 18 Jahren zusammen - machen aber immer noch einen sehr kameradschaftlichen Eindruck.

von Lowtzow: In Wahrheit sind wir wie die Ramones. Wir reisen in verschiedenen Bussen. (lacht)

SZ: Kann zuviel Harmonie schädlich sein für eine Band?

von Lowtzow: Sagen wir mal so: Wir sind wie eine ganz gut funktionierende Homo-Ehe mit grundanarchischem Unterton. Und wir sabotieren uns gegenseitig. Da sägt immer jeder an dem Stuhl des Anderen.

SZ: Sind Sie eher Romantiker oder Melancholiker?

von Lowtzow: Ich bin Hysteriker. Zum Leidwesen aller. Und wir haben große Angst vor Zuschreibungen. Das ist neurotisch bei uns. Wir müssen uns sofort abgrenzen, wenn wir einsortiert werden.

SZ: Neben den vielen düsteren Texten des neuen Albums gibt es auch die sehr fröhliche Single "Macht es nicht selbst" gegen den Do-it-Yourself-Wahn.

von Lowtzow: Wir wollten einen Blödelknüller schreiben. Ein wunderbares deutsches Genre. In den Siebzigern gab es diese typisch deutschen Alben von den Gebrüdern Blattschuss, Mike Krüger oder Frank Zander, dem König aller Blödelknüller. Das Genre finden wir toll!

Zank: "Sie müssen erst den Nippel durch die Lasche zieh'n". Solche Lieder haben eine große Schönheit. Im Text blitzt der Moment des Scheiterns durch. Und wir lieben einfache Songstrukturen.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2010/sonn
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