Als Timur Vermes 2012 seinen Roman „Er ist wieder da“ veröffentlichte, gabt es die AfD noch nicht, und Barack Obama machte im Weißen Haus Witze über Donald Trump. Vermes’ Satire sah die Welle dennoch kommen. Er erzählt in seinem Bestseller von Adolf Hitler. Der wacht 2011 plötzlich in Berlin wieder auf. Schnell wird er von einer Talkshow zur nächsten weitergereicht. Sofort findet er Leute, die ihn vermarkten und immer neue Scharen von Anhängern. Die Verfilmung (mit Oliver Masucci in der Titelrolle) legt noch eine Schippe drauf – dank unfassbar echt wirkender Straßen-Interview-Szenen, in denen Passanten ungeniert ihre Begeisterung für den neuen alten Ver-Führer kundtun.
Es hat also eine gewisse Härte, ausgerechnet Timur „Kassandra“ Vermes im Herbst 2025 zu fragen, was ihm Hoffnung macht. Jetzt, da ein Viertel der Deutschen auf die Sonntagsfrage antwortet, sie würden besagte rechtsextremistische Partei in die Regierung wählen.
Ein Schauspieler, der das Zeug dazu hatte, ihm den Vater zu ersetzen.
„Eine knifflige Frage“, sagt der Autor. Nach „Er ist wieder da“ hat er 2018 noch die „Hungrigen und die Satten“ geschrieben, eine Groteske über die Flüchtlingslage, und 2024 einen mahnenden Brief an Friedrich Merz, in dem er unter ihm als Kanzler das Fallen der Brandmauer kommen sieht. Die flammende, bittere Streitschrift ist später auch in ein Buch eingeflossen: „Briefe von morgen, die wir gern gestern schon gelesen hätten“.
Knifflig, und doch hat Vermes eine Antwort: „Das Gesicht von Lino Ventura“, sagt er, „das gibt mir Hoffnung.“ Er meint damit nicht die menschlichen Züge des immer leicht melancholisch wirkenden italienisch-französischen Schauspielers im Allgemeinen. Er beziehe vielmehr Trost aus einem ganz bestimmten Ausdruck des großen Charakterdarstellers: „Die wortlose Haltung eines Menschen, dem eine Menge aufgetischt wird. Und uns allen werde derzeit eine Menge aufgetischt.“ Etwa die alternativen Fakten des Donald Trump oder die Einlassungen des „Alternative für Deutschland“-Sprechers Tino Chrupalla.

Halte man neben deren Konterfei „einfach nur eine Fotografie des zuhörenden Lino Ventura“ als der lebenskluge, aufrechte Kommissare gespielte, dann wisse man schnell, was man von den anderen zu halten habe. „Ventura fällt den Leuten nicht ins Wort, er schreit niemanden nieder, er ist kein Haudrauf wie ein Bud Spencer, er verteilt auch keine Ohrfeigen. Er erkennt einfach nur: Was ihm da erzählt wird, kann vieles sein, aber die Wahrheit ist es nicht“, sagt Vermes.
Wie es kommt, dass Timur Vermes, der 1967 in Nürnberg geboren wurde – im selben Jahr wie Markus Söder übrigens – ausgerechnet einen Charakterschädel aus Frankreichs Film-Noir-Tagen bewundert? Und nicht etwa Captain Kirk alias William Shatner oder einen anderen bunten Helden der amerikanisch geprägten Populärkultur? „Man muss dazu wissen, dass mein Vater gestorben ist. 1975, da war ich acht Jahre alt“, erzählt Timur Vermes, „seither ist diese Vaterrolle natürlich ein bisschen leer“.
Doch irgendwann sei dieser Lino Ventura im Fernsehen aufgetaucht. „Ich glaube, das erste Mal habe ich ihn gesehen in dem Thriller ‚Der Schrecken der Medusa‘“, sagt Vermes. Ältere kennen Ventura, den ehemaligen Ringer, der übrigens selbst ohne Vater aufgewachsen ist, seit den Sechzigern, als er noch glatte Ganoven spielte. „Aber ich kannte ihn erst mit den Falten im Gesicht. Ein südländischer Typ, er hat schon diesen Bauchansatz, er ist eigentlich eher klein und doch der Große am Set. Das erinnert mich sofort an meinen Vater. Der starb mit Ende 40.“
Vermes’ Vater ist 1956 aus Ungarn nach Deutschland geflohen, nachdem die Russen den Aufstand gegen die Kommunisten niedergeschlagen haben. Nach dem Auffanglager bleibt er in Franken, wird Diplomkaufmann. „Sein Beruf führte ihn bis ins damals noch sehr mondäne Beirut. Er war Verkäufer, kein Kommissar, kein superpolitischer Mensch. Und für mich als kleiner Junge, der viele mehr Zeit mit der Mutter verbrachte, immer ein bisschen unberechenbar“, erzählt der Sohn. „Mein Vater wollte sein Leben einfach in einer Gesellschaft verbringen, in der man verschiedene Dinge sagen konnte. Und in der man für seine Arbeit richtiges Geld bekam und nicht diese komische Blechwährung.“
Der Vater liebt „das gute Leben“. Er isst „wie so viele Ungarn nicht gerade gesund“, erzählt Vermes und meint ein bisschen auch sich selbst. Der Vater stirbt an einem Herzinfarkt. In das Leben der Mutter treten noch andere Männer. „Aber mit einem Lino Ventura muss man sich nie über Alltäglichkeiten und das Zusammenleben herumstreiten“, sagt Vermes, und der kleine Timur lernt, „dass Jungs sowieso im Grunde alle einsame Kämpfer sind“.
Lino Ventura kämpft da noch eine ganze Weile den Kampf der Gerechten. Auch wenn seinen Charakteren das am Ende meist keiner dankt. Als Lino Ventura, der Schauspieler, 1987 im Alter von 68 Jahren stirbt – ebenfalls an einem Herzinfarkt – weint Timur Vermes „bitter“, wie er sagt. „Aber die moralische Richtschnur, die bleibt. Und sein Gesicht.“
In der SZ-Serie „Ein Stück Hoffnung“ empfehlen Künstler aus München und Bayern Werke, die sie optimistisch stimmen.

