Süddeutsche Zeitung

Tierversuche in München:Leiden für die Menschheit

Im Jahr 2012 wurden in München mehr als 90 000 Tiere zu Versuchszwecken eingesetzt. Mit dem Bau neuer Forschungszentren wird ihre Zahl voraussichtlich noch zunehmen. Das ruft Gegner auf den Plan - und stellt die Verwaltung vor ein Problem.

Von Karoline Meta Beisel

Auch wenn sie bald genervt hat - die meisten Menschen hielten die Icebucket-Challenge für eine gute Sache. Die Aufgabe lautete, entweder 100 Dollar zu spenden oder dir einen Eimer Eiswasser über den Kopf zu schütten. Innerhalb eines Monats kamen so mehr als 100 Millionen US-Dollar Spenden zusammen. Das Geld wird jetzt dafür eingesetzt, die Nervenkrankheit ALS zu erforschen, das ist die Abkürzung für Amyotrophe Lateralsklerose. ALS ist die Krankheit, an der auch der Astrophysiker Stephen Hawking leidet. Die Millionen werden der Forschung einen ordentlichen Schubs geben.

Für die Vereinigung "Ärzte gegen Tierversuche" ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Denn das Geld wurde an die ALS-Gesellschaft gespendet, die auf Tierversuche setzt. Konkret sind auf der Homepage der Gesellschaft Fadenwürmer, Fruchtfliegen, Zebrafische, Mäuse und Ratten genannt, die alle bestimmte Vorteile haben: Der Fadenwurm hat einen transparenten Körper und ein kurzes Leben, so dass man in kurzer Zeit untersuchen kann, wie sich Dinge im Körper verändern. Der Zebrafisch vermehrt sich schnell, man kann ihm ALS-Gene einsetzen. Und Ratten sind wegen ihrer Größe immer dann gefragt, wenn ein chirurgischer Eingriff nötig ist.

Auch in München sterben Tiere, damit es Menschen besser geht. Im Jahr 2012 fanden nach einem Bericht des Kreisverwaltungsreferats (KVR) in München knapp 100 000 Tiere in Versuchen Verwendung - bundesweit waren es mehr als drei Millionen Tiere. Dem KVR zufolge gibt es in München etwa hundert Einrichtungen, die mit Versuchstieren arbeiten: Universitäten und Forschungsgesellschaften, nach Berichten von Tierschützern wohl auch Pharmakonzerne. Künftig könnten Tierversuche in München sogar noch wichtiger werden: Sowohl das Deutsche Herzzentrum als auch die beiden großen Universitäten bauen gerade neue Zentren.

Mehr als 12 000 Käfige für Mäuse

Im März 2015 soll das Biomedical Center der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) fertig sein. Bisher sind die Einrichtungen, die mit und an Tieren forschen, über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Lehrstühle der Humanmedizin und des Klinikums sollen im Biomedical Center zusammenziehen und dort künftig mit etwa 500 Mitarbeitern lehren und forschen. Auf 8400 Quadratmeter Laborfläche sollen dort bis zu 7500 Käfige für Mäuse, einige Ratten- und Kaninchen-Boxen sowie bis zu 75 Aquarien für Krallenfrösche Platz finden. Thematisch soll es dabei zum Beispiel um Fragen der Neuroimmunologie gehen, also um Erkrankungen des Nervensystems, aber auch um die Erforschung der Zellentwicklung.

Auch die Technische Universität (TU) soll ein neues Zentrum bekommen. Aber bereits jetzt forscht sie an mehreren Standorten mit Tieren. So gibt es allein in der Innenstadt mehr als 12 000 Käfige für Mäuse. Drei bis vier Tiere passen in einen Käfig - auch wenn die nach Angaben der TU nur selten voll ausgeschöpft würden. Auch mit größeren Säugetieren wird an der TU geforscht, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß: Jeweils 36 Schweine und Schafe haben in den Innenstadt-Einrichtungen der Universität Platz. Im "Translatum", das nach jüngstem Stand im Jahr 2017 eröffnet werden soll, will die TU die Krebsforschung vorantreiben und herausfinden, welche Therapien bei welchem Tumor helfen können - wiederum mit Hilfe von Tieren. So soll dort unter anderem Platz für 300 bis 390 Ratten geschaffen werden. Das sind ungefähr noch einmal so viele, wie bisher schon allein in den TU-Laboren in der Innenstadt Platz hatten.

Auch wenn beide Universitäten darauf verweisen, dass die neuen Zentren einige alte Anlagen ersetzen sollen und dass auch daran gearbeitet wird, die Anzahl der notwendigen Tierversuche zu reduzieren - insgesamt dürften die Neubauten dazu führen, dass es in München künftig noch mehr Tierversuche geben wird als bisher. Und dass mehr Tiere im Namen der Forschung leiden müssen oder sogar sterben.

Gegner von Tierversuchen werden Neubauten nicht mehr verhindern

Klar, dass sich dagegen Proteste regen: Tierversuche sollen generell verboten werden, finden viele. Im Bündnis "München exzellent - ohne Tierversuche" haben sich mehrere Organisationen zusammengeschlossen, so zum Beispiel die Münchner Sektion von Ärzte gegen Tierversuche, aber auch der Deutsche Tierschutzbund und der Münchner Tierschutzverein. Wenn die Münchener Universitäten wirklich als modern und exzellent gelten wollen, dann sollten sie sich mehr darum bemühen, Alternativen zu Tierversuchen zu erforschen, finden die Mitglieder - denn das mache moderne Universitäten aus. Regelmäßig finden Demonstrationen oder Info-Veranstaltungen statt. Die Neubauten werden diese allerdings nicht mehr verhindern können.

Für die Stadt wird das Thema Tierversuche künftig nicht nur wegen der zusätzlichen Versuche in den Neubauten wichtiger werden. Auch die Rechtslage hat sich verändert, die Vorgaben für Tierversuche sind genauer geworden.

Für die grundsätzlichen Genehmigungen ist zwar die Regierung von Oberbayern zuständig. Aber die Stadt muss sich um die Kontrollen kümmern. Und die im vergangenen Jahr erlassene "Tierschutzversuchstierverordnung" macht sehr detaillierte Vorschriften, was alles kontrolliert werden soll. Da steht zum Beispiel drin, wie die Tiere gehalten werden dürfen, in was für Räumen die Versuche stattfinden dürfen und wie die Tierpfleger oder die Menschen, die die Tiere töten, ausgebildet sein müssen. Auch die Tierversuche selbst sollen zum Schutz der Tiere jetzt überwacht werden - das war vorher anders.

Die Stadt hat eingeräumt, dass das vorhandene Personal nicht ausreiche, bei jeder Vorschrift zu kontrollieren, ob sich die Einrichtungen auch wirklich daran halten. Das soll besser werden, der Kreisverwaltungsausschuss hat kürzlich zusätzliche Stellen für Amtstierärzte und Verwaltungskräfte genehmigt. Für die Kritiker ist das aber nicht genug - so werde nur der Tod der Tiere, aber nicht ihr Leben verbessert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2128866
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.09.2014/bica
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.