Tierpflege:Wie sich Tiger Jegor freiwillig ins Maul schauen lässt

Tierpflege: Annette Zimolong, 28, ist Tiger-Expertin. Nach der Ausbildung zur Tierpflegerin, die drei Jahre dauert, kam sie zu den Raubkatzen und trainiert sie seither täglich.

Annette Zimolong, 28, ist Tiger-Expertin. Nach der Ausbildung zur Tierpflegerin, die drei Jahre dauert, kam sie zu den Raubkatzen und trainiert sie seither täglich.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Früher musste man Zootiere sogar für die Fußpflege betäuben. Heute gibt es im Tierpark Hellabrunn ein systematisches Training, um schonendere Untersuchungen zu ermöglichen.

Von Philipp Crone

Elefanten können Multitasking. Panang schnappt sich mit ihrem Rüssel eine halbe Kartoffel, die vor ihr liegt, und steht gleichzeitig auf, während von dem schlanken Mann mit den kurzen dunklen Haaren hinter dem Gitter im Elefantenhaus auch noch ein "Sehr gut!" kommt.

Auf den ersten Blick sieht das Zusammenspiel des 30 Jahre alten Elefanten und des 33 Jahre alten Tierpflegers Sascha Nolde ein bisschen aus wie eine Dressurnummer. "Fuß" sagt Nolde und hält einen gartenzaunlangen Holzstab mit einem weichen Ball an der Spitze an den Rüsselansatz des Tieres. Sofort hebt der Elefant seinen rechten Fuß, stellt ihn auf eine Querstrebe des Gitters und lässt sich von einem zweiten Pfleger die Zehen putzen. 25 Kommandos beherrscht der Elefant, bei "Salut" öffnet er das Maul, bei "Ohr" klappt er ein Ohr vom Körper ab, bei "Down" legt er sich auf den Boden. Kritiker könnten jetzt sagen, warum denn in Hellabrunn Tiere wie für Zirkusnummern dressiert werden. Im Zoo würde man darauf antworten: damit man Tiere weniger oft betäuben muss.

Was aussieht wie Zirkus, ist der aktuelle Stand der Tierhaltung in vielen Zoos, bei dem Elefanten, Tiger oder Schweine durch Kommandos so trainiert werden, dass sie sich durch ein Gitter an verschiedenen Körperstellen anfassen lassen und man sie so schonend behandeln kann. Das Prinzip ist dabei immer gleich: positives Verstärken. Macht ein Tier, was man von ihm will, wird es mit Essen belohnt und bekommt akustischen Reiz dazu, ein Klicken aus einem streichholzschachtelgroßen Plastik-Klicker. Klickertraining nennt sich das.

Panang steht seitlich am Gitter, Nolde kann eine entzündete Stelle mit Salbe einreiben. Vorher hat er dem Elefanten in den Rachen geschaut und die Zähne geprüft, ob sich da Essensreste verklemmt haben. Nolde, seit eineinhalb Jahren als Tiertrainer in München, sagt: "Ein großer Unterschied zum Dressieren eines Tieres ist zunächst einmal die Freiwilligkeit." Hat der Elefant keine Lust, ist auch kein Training. Dann gibt es allerdings auch keine halben Kartoffeln. Tierparkchef Rasem Baban sagt: "Wir haben bislang nur positive Rückmeldung auf das Training bekommen." Man arbeite mit den Tieren, dressiere nicht. "Das Tier bestimmt über den Ablauf. Training gibt es ja auch schon, seit es Zoos gibt, allerdings war es zu Beginn meist von Dominanz geprägt." Mit Zwang. Wenn heute ein Tier keine Lust habe, passiere eben auch nichts, "antiautoritär quasi".

Das lässt sich auch hundert Meter weiter südlich beobachten, wo Annette Zimolong, 28, morgens mit Tiger Jegor trainiert. Auch hier sind die Pfleger zu zweit, wie bei Panang ist einer mit dem Tier beschäftigt und belohnt, in diesem Fall mit kleinen Fleischstückchen, die Zimolong durch das Gitter direkt ins Maul reicht. Der andere nimmt die Untersuchung vor. Jegor ist zunächst noch etwas abgelenkt, weil auf dem Weg vor dem Gehege ein Mann mit einem Laubbläser vorbeiläuft. Der Tiger legt sich parallel zum Gitter hin, steht dann aber wieder auf, vier Mal, bis er liegen bleibt. Zimolong klickt und belohnt, die Kollegin zieht mit einem Haken den Schwanz des Tieres zu sich, legt ein Gummiband darum und simuliert so die Blutabnahme. Seit Tiger so trainiert werden, können die Pfleger den Raubtieren Blut abnehmen, ohne sie mit einem Blasrohr vorher betäuben zu müssen. Anschließend hört die Pflegerin noch das Herz ab, indem sie dem Tier ein an einem Stab befestigtes Stethoskop unter die Brust schiebt. Zuletzt folgt der Zehen-Check, der Tiger legt eine Pranke nach der anderen raus und lässt die Pflegerin jede Zehe anfassen.

Die Tiere entspannen sich

Zimolong lobt und redet auf das Tier ein. Tierparkchef Baban sagt: "Durch das Training entsteht auch ein stärkeres gegenseitiges Vertrauen." Zudem führe das regelmäßige Üben dazu, dass die Tiere ausgelasteter sind, dadurch entspannter. "Meine Tochter würde sagen, die sind gechillter", sagt Baban. Außerdem wird nur trainiert, was das Tier auch in seiner natürlichen Umgebung macht. "Wir trainieren die Elefanten nicht, dass sie sich auf den Rüssel stellen oder auf den Hintern setzen." Das seien Zirkusnummern.

Beim Takin, das von Pfleger Niels Richter, 34, trainiert wird, gehört auch das Klettern zum normalen Verhalten. Takine sind im Himalaja beheimatet und ähneln einer Mischung aus Ziege und Kuh. Richter hat monatelang mit Takin Till trainiert, so dass der jetzt freiwillig in eine Gitterbox läuft und auf Kommando, mit Möhrenbelohnung und Klickersignalen, seinen rechten Vorderhuf auf ein schuhschachtelgroßes Podest stellt, so dass Richters Kollegin die Hufe pflegen kann. Früher musste man auch für die Fußpflege Tiere betäuben.

Für Sabine Eitel, 51, die im Mühlendorf die Schweinerasse Kunekune trainiert, geht es auch um das Vermeiden von Narkosen, wenn die Schweine medizinisch versorgt werden müssen. Da die Tiere bei den Übungen bestimmte antrainierte Bewegungen ausführen, können die Pfleger oft zudem an den Bewegungen erkennen, ob ein Tier an einer bestimmten Stelle Schmerzen hat.

Seit eineinhalb Jahren wird intensiv in Hellabrunn trainiert, um schonend behandeln zu können, um schonend pflegen zu können und um die Tiere gut zu beschäftigen und zu fordern. Und Zoo-Chef Baban sagt: "Wir wollen das auf möglichst viele Tiere ausweiten."

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