Martin Schmolingas Arbeitstag beginnt um sechs Uhr, lange bevor die ersten Besucher in den Tierpark Hellabrunn strömen. Dann setzt sich der Chef-Futterbeauftragte erst einmal an den Rechner. Sein Büro befindet sich im Erdgeschoss des großen Futterhauses, das sich über 600 Quadratmeter erstreckt, unweit vom Flamingo-Eingang im Nordosten des Parks. Schmolinga kontrolliert den Warenbestand und bestellt Futter bei verschiedenen Händlern. Die Bestellungen variieren von Tag zu Tag, wie die Bedürfnisse der Tiere. Sogar das Wetter nimmt da Einfluss, heiße Temperaturen zügeln den Appetit.
Der Futterplan ist so vielseitig wie die 758 Tierarten im Zoo. Gleich neben Schmolingas Büro sind die Kühlzellen, wo sich Berge von Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch, Reis, Kartoffeln, Eier und Joghurt türmen, die hier täglich in Kisten gepackt und dann zu den verschiedenen Häusern und Gehegen gebracht werden. "Wir versuchen saisonal einzukaufen, regional ist natürlich schon schwieriger. Aber Exotisches wie Ananas oder Mango findet man hier wenig."
Bilanz:Fast 2,3 Millionen Besucher im Tierpark Hellabrunn
Zwar ging der Gewinn zurück, doch Zoo-Chef Baban ist zufrieden mit dem vergangenen Jahr. Und bald eröffnet auch noch eine neue Attraktion.
Natürlich hat Schmolinga die Zahlen, mit denen er täglich jongliert, nicht alle im Kopf. Aber er kann die benötigten Futterquantitäten mit einem Beispiel veranschaulichen: Pro Tag werden hier beachtliche sechs Tonnen Süßwasserfisch verfüttert. Geliefert wird von verschiedenen Händlern. Blätter und Gras kommen von den Stadtgärtnern oder aus dem Tierpark selbst. Für die Affen werden Blätter im Winter sogar tiefgefroren.
Martin Schmolingas Büro ist nüchtern, ja funktionell gehalten. Ein großer Schreibtisch, ein Wandschrank voller Aktenordner, seitenlange Telefonlisten an der Wand. Keine Bilder, keine Pflanzen. Es könnte irgendein Chefbüro sein. Nur Details, wie etwa der Alarmplan für Tierausbrüche an der Wand, weisen auf die Besonderheiten dieses Unternehmens hin. Sein Büro passt zu Martin Schmolinga, irgendwie spiegelt es seine Persönlichkeit wider. Auch er wirkt nüchtern, praktisch denkend, wie ein Macher. Fragen beantwortet er präzise.
Der gebürtige Berliner wusste schon als Kind, dass er mit Tieren arbeiten wollte. Die Ausbildung zum Tierpfleger absolvierte er in seiner Heimatstadt, sie dauerte drei Jahre. Im Münchner Tierpark arbeitet er seit 1999, seit acht Jahren in der dortigen Futterwirtschaft. Das war nicht gerade sein Traum. Wie die meisten Tierpfleger wollte er nah an den Tieren bleiben. "Aber ich muss zugeben, dass mir die Tiere noch nicht so arg fehlen", sagt er und lacht. Seine jetzige Position sei abwechslungsreich und voller Herausforderungen.
In der Futterwirtschaft laufen die verschiedenen Fäden zusammen. Die Tierpfleger bringen Vorschläge für die Futterpläne ein, die von den Tierärzten abgesegnet werden. Der Chef-Futterbeauftragte beachtet diese Ergebnisse, vergleicht sie mit dem neuesten Stand der Forschung und muss sehen, wie die Wünsche und Notwendigkeiten mit dem Budget und logistischen Voraussetzungen vereinbar sind. "Ich habe hier mehr Möglichkeiten, den Betrieb mitzugestalten wie zu meiner Zeit als Tierpfleger, das ist schon erfüllend."
Natürlich bringt das auch viel Büroarbeit mit sich. "Und das wird nicht weniger", sagt Schmolinga. Ein Grund dafür sei, dass ein moderner Zoo seine Tiere nicht nur satt machen will, sondern auf konstante Erneuerung und Nachhaltigkeit in der Futterwirtschaft setzt. Der allgemeine Trend gehe eindeutig in Richtung naturbelassener Kost, am besten mit biologischem Ursprung, und weg von Fertigfutter und Gentechnik. Den Druck, immer auf dem neuesten Stand zu sein, spürt heute auch ein Zoo. Im vergangenen Jahr wurde der komplette Hellabrunner Futterplan generalüberholt. "Das wollen wir jetzt alle paar Jahre machen, um zu verhindern, dass sich zu viel Arbeit ansammelt", sagt Schmolinga.
Neuerdings bemüht sich der Tierpark, Biofutter in die Gehege zu liefern. "Da gibt es natürlich noch viel Luft nach oben, aber ein Anfang ist gemacht", sagt Schmolinga. Nicht alle Händler wollen Bioware an einen Zoo verkaufen. Auch einige seiner Freunde seien skeptisch und der Meinung, dass man das beste Essen nicht an Tiere verfüttern solle, solange es Menschen gibt, die sich das nicht leisten könnten.
Dieses Argument überzeugt ihn aber nicht. Er steht hinter dem Konzept der biologischen Ernährung zur Förderung von Umweltschutz und Biodiversität - auch wenn Tiere die Konsumenten sind. Vorerst aber sei es logistisch und finanziell schwer vorstellbar, auf Biofleisch umzusteigen. Allerdings soll es bald schon Bioküken geben, die an Raubtiere, Greifvögel, Raubkatzen, Fuchs, Eisbären und Störche verfüttert werden. Die Küken kommen tiefgefroren im Zoo an.
Seit ein paar Jahren wird im Hellabrunner Tierpark nichts mehr gezüchtet, um anschließend verfüttert zu werden, und normalerweise auch nichts selbst geschlachtet. Die Verfütterung von lebenden Tieren wurde mittlerweile nahezu eingestellt, berichtet Schmolinga, einzig bei der Fischkatze wird eine Ausnahme gemacht. Genervt erzählt er, wie er schon gefragt wurde, warum Greifvögel nicht mit Körnern gefüttert werden. Die einfache Antwort: Die Natur ist eben nicht vegan, "sondern oft unschön und brutal".
In der Küche zwischen Kühlzellen und Büro zeigt der Chef noch auf ein paar Kisten mit Brot und Brezen. "Davon verfüttern wir jetzt viel weniger als früher, weil es einfach keine natürliche Nahrung für die Tiere ist und den Tieren nicht gut tut. Brot ist aber praktisch als Versteck für Medikamente." Allergien sind übrigens keine exklusiven Probleme des Menschen: "Bruno zum Beispiel, der ist schon 48 Jahre alt, hat ein schwaches Herz und wahrscheinlich eine Laktoseintoleranz. Deshalb bekommt er laktosefreien Joghurt und ab und zu Sauerkraut." Schmolinga erwähnt zunächst gar nicht, dass es sich bei Bruno um den medienpräsenten Orang-Utan handelt.