Tierpark Hellabrunn:Der Baby-Boom

Knut, Flocke und jetzt Ludwig in München: Jungtiere bringen ihren Zoos Besucher und Geld - doch der ganze Trubel ist ein zweischneidiges Schwert.

Monika Maier-Albang

Im Frankfurter Zoo waren sie streng damals, in den Herbsttagen 2010, als das Tigerbaby Daseep vier Wochen nach seiner Geburt erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Durch eine Glasscheibe war Daseep von den Menschen getrennt, und die Besucher wurden an ihm vorbeigeschleust: 15 Sekunden Blickkontakt, dann war schon der nächste dran. Nur eine Stunde täglich wurde Daseep in seinem verglasten Container ausgestellt, dann sollte er wieder seine Ruhe haben. Am ersten Daseep-Wochenende verzeichnete der Frankfurter Zoo 11.000 Besucher, doppelt so viele wie üblich. Die Kosten für die Hormonbehandlung der Mutter dürfte das leicht eingespielt haben.

Tierpark Hellabrunn: Tierpark Hellabrunn: Der kleine Elephant Ludwig mit seiner Mutter.

Tierpark Hellabrunn: Der kleine Elephant Ludwig mit seiner Mutter.

Aber sie tun es ja nicht des Geldes wegen, sie züchten um der Arterhaltung willen - das wird einem jeder Zoo sagen, wo immer man fragt. Die Finanzspritze ist natürlich dennoch willkommen; es muss nur das richtige Tier sein, das sich fortpflanzt: Es muss groß und mächtig werden wie ein Elefant oder eine Giraffe. Oder es muss ein Raubtier sein, weil "das Wilde und Bedrohliche uns einfach fasziniert", wie Gerald Dick sagt. Der Österreicher ist Chef des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA). Und seine Erfahrung ist: Je näher verwandt ein Tierkind mit dem Menschen ist, umso anziehender wirkt es auf ihn.

Das Kindchenschema und der dadurch hervorgerufene Beschützerinstinkt sind global. Weltweit könne sich die Menschheit nicht dem Charme eines Jungtieres entziehen, das "flauschig und pelzig ist und große Augen hat", sagt Dick. Wobei es schon Kulturen gebe, die generell ruppiger mit ihren Tieren umgehen, und solche, die dazu neigen, sie zu verhätscheln. Die Europäer rechnet Dick zu Letzteren.

Kein Wunder also, dass die Münchner derzeit in Trauben vor dem Hellabrunner Elefantengehege stehen, um den am 6. Mai geborenen kleinen Bullen zu sehen, der offiziell noch namenlos ist, aber bereits Ludwig genannt wird. 14000 kamen am vergangenen Wochenende - 4000 mehr als im Schnitt der ersten Mai-Wochenenden 2010, die einerseits nass und kühl waren, an denen es andererseits mit Jamuna Toni ebenfalls ein Elefantenbaby zu sehen gab. Die Besucherzahl jetzt sei normal für ein sonniges Maiwochenende, heißt es beim Tierpark.

Der Elefant löst also nicht solch einen Trubel aus wie die Eisbärenbabys Knut in Berlin oder Flocke in Nürnberg. Bei Flocke hatten private Fernsehsender sogar zur morgendlichen Live-Übertragung in den Tierpark geschaltet, um über ihren ersten Zahn zu berichten oder über einen Grashalm, den sie ausgeschieden hatte. Doch selbst für den Nürnberger Zoo zieht dessen Vize-Chef Helmut Mägdefrau das Resümee, dass ein drolliges Jungtier "zwar immer ein Plus bringt, aber man darf es nicht überbewerten". Ein Jungtier sei eine Zusatzattraktion, "die Besucher aber kommen wegen dem Gesamterlebnis Zoo".

Das "niedliche Image" eines Eisbären- oder Elefantenbabys ist für die Zoos stets eine zweischneidige Sache. Einerseits besteht die Gefahr, dass die Besucher vergessen, dass Elefant und Eisbär bei aller Putzigkeit Wildtiere bleiben. Andererseits ermögliche so ein knuddeliges Jungtier den Tierparks, die "richtige Botschaft rüberzubringen", hofft WAZA-Chef Dick. Etwa die vom Schutz einer bedrohten Tierart und was jeder einzelne dafür tun kann.

Ernüchternde Erfahrungen

Aber wollen die Menschen das tatsächlich hören? Der Nürnberger Zoo hat hier ernüchternde Erfahrungen gemacht. Als Baby hatte Flocke eine eigene Webseite. 15,7 Millionen Zugriffe verzeichnete die, millionenfach wurden Videos und Bilder des putzigen Jungtieres angeklickt. Der Zoo aber wollte mehr, gab Informationen zur Biologie der Eisbären, die gerade noch 16.000 Menschen durchlasen, und Fakten zum Klimawandel, die nur 5000 Mal aufgerufen wurden. Für die Tipps zum Energiesparen interessierten sich gerade noch 190 Leute. "Diese Diskrepanz hätten wir nicht erwartet", sagt Mägdefrau. "Da waren wir schon enttäuscht."

Nun ist auch Ludwig bald im Film zu sehen. Das Bayerische Fernsehen dreht gerade 40 neue Folgen der täglichen Doku-Soap "Nashorn, Zebra & Co". Stundenlang verharrt derzeit der Kameramann am Elefanten-Gehege. "Der gehört schon zum Inventar", scherzen die Pfleger. Thomas Günther ist einer von ihnen. Auch er verbringt zurzeit seine Tage im Freien. Die Pfleger, die immer zu zweit im Gehege sind, lassen das wackelige Elefantenkind und seine Mutter Temi, die gerade wieder langsam in der Herde eingewöhnt werden, tagsüber nicht aus den Augen.

Um acht Uhr dürfen die Elefanten für dreieinhalb Stunden raus, am Nachmittag hat das Publikum sie noch einmal für drei Stunden - sofern das Wetter nicht zu nass und kühl ist. Ist zur Mittagszeit kein schattiger Platz mehr zu finden, werden die Elefanten ebenfalls ins Haus geholt. Man will das Baby ja nicht überfordern. Aber auch die Zuschauer sollen auf ihre Kosten kommen - zwei kollidierende Interessen.

Thomas Günther aber hat Routine mit den Jungtieren und denen, die sie beobachten. Von seinen Stammgästen kommen manche täglich für ein, zwei Stunden, seit Ludwig ins Freie darf. Andere verbringen den ganzen Tag am Zaun. Ein Phänomen, das sie auch im Nürnberger Tiergarten mit Flocke erlebt hatten, wo sich ein eigener Flocke-Fanclub etablierte. Helmut Mägdefrau findet das Ausmaß an Verehrung und "Vermenschlichung", das er bei Flocke erlebt hat, geradezu "erschreckend". Sind diese Menschen so einsam, dass sie "ihre Sehnsüchte auf ein Tier übertragen müssen?", fragt er sich. Eine Besucherin hatten sie, die bis zu ihrem Tod täglich kam, um einem Orang-Utan-Weibchen ihr Familienalbum vorzublättern. Wobei der Affe freiwillig zusah.

Nun bleiben solche intimen Beziehungen die Ausnahme. Und in der Regel schleife sich das Interesse der Besucher ab, sagt der Münchner Elefanten-Pfleger Günther: Wenn das Jungtier größer wird. Oder, wie in Berlin, wo Günther 18 Jahre mit Elefanten gearbeitet hat, wenn weitere Kälber geboren werden. "Dann setzt der Gewöhnungseffekt ein."

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