Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Wildtiere flüchten nach München

Warum Arten, die eigentlich auf dem Land leben, plötzlich auf Grünflächen in der Stadt zu finden sind - und welche Folgen das hat.

Interview von Christian Sebald

Mit seinen Parks und der Isar ist München auch anziehend für viele Tierarten. Die Artenschutzbeauftragte des Bundes Naturschutz, Christine Margraf, weiß viel über die neuen Stadtbewohner. Sie berichtet aber auch, dass andere Tiere verschwinden, weil für sie kein Platz mehr ist.

SZ: Viele nehmen die Stadt als naturfeindlich wahr. Dabei leben in München zahlreiche Wildtiere. Angeblich ziehen sogar immer wieder neue Arten in die Stadt. Stimmt das?

Christine Margraf: Ja, das stimmt. Ob es nun seltene Libellenarten, Frösche, Wildbienen und andere Insekten, aber auch Igel, Mäuse, Biber, Rehe und andere sind - in der Stadt leben mehr Wildtiere, als Laien für gewöhnlich annehmen. In der Regel handelt es sich freilich um Ubiquisten.

Ubiquisten?

Das sind Tier- oder Pflanzenarten, die anspruchslos sind, eine weite Verbreitung haben, die sich gut anpassen können und wenig empfindlich sind gegenüber Störungen wie Lärm. Die klassischen Kulturfolger eben. Der Wanderfalke zum Beispiel. Er ist eigentlich ein Felsbrüter und war vor 40 Jahren durch Umweltgifte in Bayern fast ausgerottet. Inzwischen wächst der Bestand wieder und er lebt auch in Städten und brütet auf Kirchtürmen. Aber die Ubiquisten sind nicht der einzige Grund für die Artenvielfalt in der Stadt.

Welcher ist der andere?

München ist eine grüne Stadt. Das liegt als allererstes an der Isar, die sich als grüne Achse durch die Stadt zieht. Über diese grüne Achse gelangen viele Arten in das Stadtgebiet, die sonst nicht hier vorkommen würden. Das gilt aber auch für die weitläufigen Parks wie den Englischen Garten und den Nymphenburger Schlosspark. In den Randbezirken gibt es zahlreiche Siedlungen mit meist großen Gärten. Außerdem liegen im Münchner Norden drei Naturschutzgebiete: die Panzerwiese nahe dem Hasenbergl, das Schwarzhölzl und auch die Allacher Lohe. Drei Naturschutzgebiete in einer Großstadt, das ist nicht selbstverständlich. Sie sind Reste ehemals großflächiger und sehr artenreicher Lebensräume, die durch die Bebauung und intensive Nutzung schon viel Fläche verloren haben.

Die grünen, naturnahen Inseln sind es also, warum sich so viele Wildtiere in der Stadt wohlfühlen.

Nehmen wir zum Beispiel Spechte. Die brauchen für ihre Nisthöhlen alte, oft schon ein wenig absterbende Bäume, in die sie leicht ihre Nisthöhlen hämmern können. Solche Spechtbäume gibt es in den Nutzwäldern rund um München mit ihren Fichtenmonokulturen kaum noch. Deshalb kommen die Spechte entlang der Isar nach München. In den Isaranlagen, im Englischen Garten, aber auch im Nymphenburger Schlosspark finden sie noch genau die Bäume, die sie für ihre Höhlen brauchen.

Welche Rolle spielt die Zerstörung vieler Naturlandschaften durch die intensive Landwirtschaft?

Das spielt eine sehr große Rolle. Denn auf den Maiswüsten rund um München ist die Artenvielfalt natürlich dramatisch zurückgegangen. Das gleiche gilt auch für die Moorlandschaften im Münchner Norden. Sie sind zum großen Teil längst für die Landwirtschaft drainiert und entwässert worden und allenfalls noch in kleinen Resten erhalten geblieben. Aber auch weite Teile der Münchner Heiden sind schon vor langer Zeit verloren gegangen. Diese Trockenstandorte waren einst der Lebensraum für alle möglichen Heuschrecken. Einige anpassungsfähige Arten haben inzwischen die Schotterbetten von Zuggleisen als neuen Lebensraum entdeckt. Und von denen gibt es ja nicht eben wenige in München.

Welchen Einfluss hat die Klimaerwärmung?

Die ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Nehmen Sie den Halsbandsittich. Der Papageienvogel ist in Zentralafrika und in Asien daheim und hierzulande als Käfigvogel beliebt. Die ersten wild lebenden Halsbandsittiche in Deutschland wurden 1967 in Köln nachgewiesen, wahrscheinlich waren es Tiere, die aus Käfigen freigelassen worden waren. Seither haben sich die Halsbandsittiche überall in den Städten am Rhein ausgebreitet. Beim Bundesamt für Naturschutz gehen sie davon aus, dass dort schon im Jahr 2012 mehr als 8000 Halsbandsittiche gelebt haben.

Und was hat der Halsbandsittich mit dem Klimawandel zu tun?

Halsbandsittiche brauchen es vergleichsweise warm, auf keinen Fall vertragen sie Winterfrost. Dass sie sich in Deutschland ausbreiten, hat etwas mit dem immer milderen Klima hier zu tun. Und dass sie Städte als Lebensraum bevorzugen, liegt daran, dass es in den Städten für gewöhnlich noch einmal einige Grade wärmer ist als auf dem Land. Außerdem ist harter Winterfrost in Städten eher selten.

Kann man sagen, welche und wie viele Wildtiere in München leben?

Das ist sehr schwierig, es gibt da keine Spezialstudien. Es gibt nur bayernweite Untersuchungen für einzelne Artengruppen, den bayerischen Vogelatlas zum Beispiel oder den Heuschreckenatlas. Aus diesen Gesamtschauen müsste man sich die Daten für München zusammenklauben. Für einzelne Artengruppen gibt es Untersuchungen von Spezialisten. Beispielsweise sind in München 311 Wildbienenarten nachgewiesen worden, davon allerdings 94 nur vor dem Jahr 1950. So eine Zusammenschau ist immer nur bedingt aktuell. Denn solche Erfassungen sind aufwendig und werden nur in großen Zeitabständen aktualisiert. Außerdem ist da die Artenfluktuation.

Wie meinen Sie das?

Nun, so wie Arten in die Stadt zuziehen, so wandern welche ab oder sterben sogar aus - weil kein Platz mehr für sie vorhanden ist. Die Schwalben und die Mauersegler, die beide typische Stadtarten sind, da sie ihre Nester an Häusern bauen, werden in München und auch anderen Städten immer weniger. Denn viele Hausbesitzer wollen die Nester nicht mehr an ihren Häusern haben und hindern die Vögel mit allerlei technischen Methoden daran, welche zu bauen. Auch der Hausspatz wird seltener, weil er in der Stadt immer weniger Nistplätze und auch Insekten als Nahrung findet.

Und wie ist das mit der Bauwut?

Auch die spielt den Tieren schlimm mit, vor allem dort, wo sich die Bebauung in die sehr artenreichen Randbereiche der Stadt ausdehnt. Im Münchner Norden, in den Heidelandschaften dort gibt es zum Beispiel noch viele Feldlerchen. Wenn sich nun die Stadt immer weiter hinaus aufs Land frisst und man diese Flächen Schritt für Schritt in Bauland umwandelt, werden die Lerchen verschwinden, ganz einfach weil dort kein Platz mehr für sie ist. Und in der Stadt können Feldlerchen nicht leben.

Was kann der Münchner tun, damit es den Wildtieren in der Stadt gut geht?

Für Gartenbesitzer ist es ganz einfach. Sie sollten darauf achten, dass ihr Garten so naturnah wie nur möglich ist. Also auf keinen Fall Herbizide oder Pestizide ausbringen. Und natürlich sollte in dem Garten möglichst viel blühen, das ist gut für alle Arten von Insekten. Wenn man dann noch in einer Ecke Laub und Äste liegen lässt, hat der Igel einen Unterschlupf. Und ein Obstbaum bietet Nahrung für Siebenschläfer.

Was ist mit Büschen und Wasserstellen?

Die sind auch sehr wichtig. Büsche bieten allen möglichen Tieren Unterschlupf, Mäusen genauso wie dem Fuchs. Und ein kleiner Teich zieht Vögel und sogar Libellen an. Und natürlich Frösche und alle möglichen anderen Amphibien. Wenn man die Natur nur ein wenig machen lässt, dann wird man staunen, was da alles an Tieren in den eigenen Garten kommt.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2015/vewo
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