Therapie:Doktor auf vier Pfoten

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Frida freut sich und streckt ihre Hand aus, denn Hündin Enni bringt ihr einen kleinen Sack mit Spielzeug. Den Sack zu öffnen, schult die Beweglichkeit der Hände. (Foto: Florian Peljak)

Das Hündinnen-Trio Enni, Hope und Angel hilft im Kinderzentrum in Großhadern, dass sich Kinder mit Bewegungs- und Entwicklungsstörungen öffnen und selbstbewusster werden - Fellkraulen natürlich inbegriffen.

Von Nicole Graner

Klara hatte gerade erst Geburtstag. Sie ist sechs geworden. Jeden Fingernagel hat ihr die Mama in einer anderen Farbe lackiert. Sie versucht, ihre leicht zu einer Faust verkrampfte Hand zu öffnen, und schafft es nur mit großer Anstrengung. Und mit Hilfe ihrer Ergotherapeutin. Zum Vorschein kommt ein Hundeleckerli. Und dann passiert das, worauf sich Klara schon die ganze Zeit freut: Eine weiche Schnauze stupst ihre Hand an und mopst sich ganz vorsichtig das kleine Teilchen.

Klara hat eine infantile Cerebralparese, eine meist spastische Störung des Nerven- und Muskelsystems. Sie sitzt in einem Kinderrollstuhl - gut gestützt. Enni, eine dreijährige französische Wasserhündin, rückt ganz nah heran, damit das Mädchen gut die Hände nach dem braungelockten Fell ausstrecken kann. Die Sechsjährige beugt sich weit nach vorne und will nur eines: ihre beiden Hände in die Lockenpracht vergraben. Geschafft! Und als dann die Hündin noch ihren Kopf zu ihr dreht, lächelt sie glücklich. "Das ist schön", haucht sie ganz leise. "So weich." Dabei hatte Klara so Angst, wie ihre Mutter Erna, 37, später erzählt, dass Enni ihr den Nagellack abschleckt.

Schon 2016 hat das Kinderzentrum München in Großhadern als Teil der Kliniken des Bezirks Oberbayern (KBO) mit der tiergestützten Therapie begonnen. Damals kam Leo, der Hund der damaligen psychologischen Leiterin, zu einzelnen Stunden dazu. Das Geld für die Ausbildung zum Therapiehund spendete eine Patientenmutter. Die Resonanz war nur positiv. 2021 entschieden sich die Therapieabteilungen, damit weiterzumachen. "Wir wollten das alle", sagt Leiterin Martina Harmening. Die Genehmigung der Klinikleitung wurde eingeholt, nach guten Therapiehunden gesucht. "Innerhalb von zwei Monaten waren wir soweit", sagt die 57-Jährige und freut sich, dass das Projekt so schnell umgesetzt worden ist.

Golden-Retriever-Hündin Angel hat die Ruhe weg. Da kann ein bisschen kraulen als Belohnung nicht schaden. (Foto: Florian Peljak)

Pitt-Hopkins-Syndrom, Entwicklungsstörung der Sprache, Schlafstörung oder einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung - die Kinder, die im Kinderzentrum unter anderem mit diesen Diagnosen stationär behandelt werden, brauchen Ergotherapie. Manche können nicht gut stehen, ihre Finger kaum bewegen, die Bewegungen des Körpers nicht gut koordinieren. Anderen fällt die Konzentration sehr schwer. Die motorische Entwicklung, also die Grob- und Feinmotorik, wird bei Übungen geschult, aber auch die Sinnesaufnahme.

Da ist Enni genau die richtige Hilfe. Allein dadurch, dass die Kinder in den meisten Fällen den Hund gerne streicheln wollen, ist ihre Motivation höher, es einfach zu versuchen, beide Hände zu öffnen, wie Ergotherapeutin Theresa Oswald erklärt. Ohne Druck und ganz spielerisch. Klara hat das an diesem Tag geschafft. Und auch Jonas. Der Junge kann nicht alleine stehen, der Vater hält ihn die ganzen 30 Minuten der Ergotherapiestunde gut fest. Für Jonas war das Streicheln eine ganz neue Erfahrung. Auch, dass Enni, die ganz ruhig neben dem Jungen stehen bleibt, für ihn eine Stütze ist.

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Die Hunde sind durch nichts aus der Ruhe zu bringen

Enni ist noch in Ausbildung. Zusammen mit ihrem Frauchen, die ganz leise Kommandos gibt, macht sie das aber an diesem wirklich heißen Tag schon richtig gut. Die neunjährige Hope ist ein Goldendoodle - eine Mischung aus Golden Retriever und Pudel - und schon lange im Geschäft. Auch Angel, die dreijährige Golden-Retriever-Hündin, ist schon ein ausgebildeter Therapiehund. Beide sind durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

Wenn Hundetrainerin und Leiterin der Therapiestunden Monika Petzenhauser "Decke!" sagt, dann legen sie sich auf ihren Platz. Und bleiben da. Bis "Petzi", wie alle im Kinderzentrum die 57-Jährige nennen, den Befehl aufhebt. Daher schenken die beiden nicht einmal dem Eichhörnchen, das draußen an der geöffneten Tür vorbeihuscht, einen einzigen, müden Blick. Decke ist Decke.

Gruppenleiterin und Ausbilderin von Therapiehunden: Monika Petzenhauser mit ihren Hündinnen Hope und Angel erklärt den Kindern, wie die nächste Übung geht. (Foto: Florian Peljak)

"Viel Arbeit steckt dahinter, die Hunde so auszubilden", sagt Petzenhauser. Ruhig zu bleiben, ist das Wichtigste. Und sich anfassen lassen. "Nicht jeder Hund lässt sich das von einem Fremden." Die Ausbilderin für Therapiehunde und Fachkraft für Gesundheits- und Sozialdienstleistungen sucht daher genau die passenden Hunde aus, die für die zwölfmonatige Ausbildung zum Therapiehund in Frage kommen. Sie lernen neben den gängigen Kommandos wie "Komm!", "Steh!" und "Platz!" auch ganz nah an Jemanden heranzukommen.

Angel zum Beispiel drückt sich bei dem Wort "Ran!" richtig an den Körper der Menschen oder legt auf Befehl den Kopf auf die Beine der Patienten. Die Hunde apportieren, laufen durch die Beine der Patienten und legen sich auch mal auf ausdrücklichen Wunsch ins Bett eines Kranken. Und etwas ganz Wichtiges müssen die Tiere lernen: nichts vom Boden zu fressen. "Oft liegen in Krankenhäusern heruntergefallene Tabletten am Boden", sagt Petzenhauser. Gefährlich sei das. Derzeit werden bei ihr acht Hunde ausgebildet.

Die Kinder fragen, bevor sie die Hunde streicheln

Nicht nur die Hunde lernen. Auch die Therapeuten lernen, wie die Hunde arbeiten. Und vor allem die Kinder lernen: achtsam zu sein und gut mit dem Hund umzugehen. Es gibt klare Regeln. Kein Kind darf ungefragt auf den Hund zugehen, es wird ruhig und leise gesprochen, dem Hund wird nicht weh getan.

"Darf ich deinen Hund streicheln?", fragt Moritz ein bisschen nuschelig in der Logopädie-Stunde. Enni schnuffelt an seiner Hand und signalisiert, dass das in Ordnung für sie ist. Erst dann darf er den Hund streicheln. Die Kinder lernen anhand von Bildern, die "Petzi" hochhält, welche Körperteile der Hund hat. Sie müssen es aussprechen und dann darauf zeigen. "R-ü-c-k-e-n", sagt Moritz. Die Logopädinnen Katja Ebel-Becker, 29, und Julia Bojack, 35, sprechen deutlich mit. Pascal, der sehr schüchtern ist und dem Enni noch nicht so ganz geheuer ist, zeigt lieber aus der Entfernung auf ihre Ohren.

Freuen sich, dass die Arbeit mit den Hunden so gut ankommt (v. li.): Logopädin Katja Ebel-Becker, Martina Harmening, Leiterin der Therapieabteilungen, und Logopädin Julia Bojack. (Foto: Florian Peljak)

Auch Johannes hat Angst. Immer wieder schiebt er seinen Rollstuhl unruhig nach hinten. Weg vom braunen Wuscheltier. Er will den Hund nicht streicheln. Enni ist ihm einfach zu groß. "Nicht allein", sagt er kaum verständlich. Julia Bojack hilft ihm. Später angelt Frida in ihrem rosa Tüllkleid mit einer riesigen Holzzange Leckerlis aus einer Dose, legt es in einen ebenso riesigen, lila Löffel und belohnt Hope. Das will Johannes auch machen. Aber nur mit Hope. Sehr langsam fischt er mit der Zange ein Leckerli heraus und reicht der Hündin den Löffel. Er ist stolz. Auch wenn er es nicht so zeigen kann: Seine Augen sind ganz groß.

Johannes (re.) traut sich, zusammen mit Logopädin Julia Bojack, Hope mit einem lila Löffel ein Leckerli zu geben. Frida (li.) und Logopädin Katja Ebel-Becker schauen gespannt zu. (Foto: Florian Peljak)

Diese Logopädie-Stunden mit Hunden helfen, davon ist Katja Ebel-Becker überzeugt, dass die Kinder selbstbewusster werden. Dass sie sich in der Gruppe viel eher trauten und die Motivation viel größer sei, etwas zu tun, was sie nicht gerne tun: sprechen zum Beispiel. Autistische Kinder, Hörgeschädigte, körperlich und geistig eingeschränkte Kinder machten nicht nur schneller sprachliche Fortschritte, sondern öffneten sich auch leichter durch die Hunde.

Das sagt auch Klaras Mutter, die mit ihrer Tochter gerade für zwei Wochen stationär im KBO-Kinderzentrum ist. "Sie liebt diese Stunden mit den Hunden." Plötzlich traue sie sich viel mehr, weil es eben Spaß mache. Sie überlege nicht mehr so viel, mache es einfach. "Das ist einfach sehr schön zu sehen." Und Klara? Sie strahlt. Und schaut auf ihre bunt lackierten Fingernägel.

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