Süddeutsche Zeitung

MVHS-Schwerpunkt "Schicksalsgenossen - von Menschen und Tieren":Genosse Grauhörnchen

Der diesjährige Schwerpunkt der Offenen Akademie der Volkshochschule widmet sich den komplexen Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Das Programm eröffnet künstlerische, literarische und spirituelle Perspektiven auf Tiere - und bietet Tipps, wie man seine Spinnenphobie in den Griff bekommt.

Von Anna Nowaczyk

Ahab ist wahnsinnig, das wird auch dem letzten Matrosen irgendwann klar. Besessen von dem Plan, Moby Dick zu töten, schifft er quer über den Ozean und riskiert nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben der Besatzung für seinen persönlichen Rachefeldzug gegen einen Wal. "Es gibt keine Torheit der Tiere auf Erden, welche der Irrsinn der Menschen nicht unendlich weit übertrifft", fasst es "Moby Dick"-Autor Herman Melville zusammen - aber wieso jagt Ahab Moby Dick? Und wie viel seines Wahnsinns steckt in uns, wenn wir heute Tiere jagen?

Tiere aus jeder Perspektive

Der Philosoph Christian Schüle und der Autor Thomas Lang gehen der Frage am 24. Mai im Münchner Gasteig nach. In der Podiumsdiskussion "Was wir jagen, wenn wir den Wal jagen" sprechen sie über den Ursprung menschlicher Überlegenheitsgefühle, diskutieren tierethische Perspektiven auf Nutztiere und werfen einen kritischen Blick auf die Machtbeziehungen zwischen Mensch und Tier. Das Gespräch reiht sich ein in die Veranstaltungsserie "Schicksalsgenossen - von Menschen und Tieren", die den diesjährigen Programmschwerpunkt der Offenen Akademie bildet. Die Akademie ist Teil der Münchner Volkshochschule und organisiert regelmäßig Gesprächs- und Austauschformate zu wechselnden Themen.

Von März bis September finden an verschiedenen Standorten der Hochschule Vorträge, Diskussionen und Führungen rund um das Thema Tier statt, die Akademie plant außerdem einen Science Slam, interaktive Formate sowie Kunstausstellungen und eine Filmvorführung. Die rund 220 Veranstaltungen nehmen nicht nur anthrozoologische Beziehungen unter die Lupe, sondern setzen sich auch mit der Arbeit von und mit Tieren auseinander und thematisieren tierische Diversität genauso wie das fortschreitende Artensterben.

Liebenswürdig oder lästig

Jeder Programmpunkt nähert sich den Tieren auf seine eigene Weise, von kreativ bis radikal objektiv - oder auch komödiantisch, wie die Kunstausstellung "Zoon". Von Ende Mai bis Juli präsentieren sechs Künstler in der Aspekte Galerie des Gasteigs gemalte, gezeichnete und performative Werke, die Tiermythen aufgreifen und menschenerdachte Tierattribute humorvoll dekonstruieren sollen. Eröffnet wird die Ausstellung am 21. Mai von der Künstlerin Valentina Pino Reyes, die für ihr Performancestück "The Situation" die Gestalt eines Grauhörnchens annimmt und das sonst stark sprunghafte Tier im Wartebereich Platz nehmen lässt. Wie viel Geduld kann ein Fluchttier aufbringen? Fühlt es sich unwohl, vergessen oder fremd?

Denn eigentlich stammt das Nagetier aus Nordamerika. In den vergangenen Jahren besiedelte es aber immer mehr europäische Wälder und verdrängte damit zunehmend die einheimischen Gattungsgenossen. Seit sieben Jahren steht es deshalb auf der EU-Liste der unerwünschten Spezies. In Reyes Performancestück hingegen zeigt sich das eingewanderte Fluchttier zurückhaltend. "Das ist in sich schon eine ganz irre Brechung", sagt Petra Gerschner.

Als Kuratorin ist sie nicht nur für das Konzept der Ausstellung verantwortlich, sondern auch für ihren Namen: "Zoon" ist altgriechisch und bedeutet Lebewesen. "Das Wort drückt eine Gleichwertigkeit aus, keine Hierarchisierung", sagt sie. Gleichzeitig erinnere der Begriff unweigerlich an Zoos, dessen Käfige jegliche interspezifische Begegnung auf Augenhöhe verhindern - ein Widerspruch, der intendiert ist. Denn die Ausstellung soll auch dazu dienen, den eigenen Blick auf tierische Lebewesen zu hinterfragen. Dafür widmen sich die Künstler unter anderem dem Stellenwert von Tieren in kapitalistischen Wirtschaftssystemen, ihrer Vermenschlichung sowie tradierten Denkmustern, mit denen der Mensch andere Lebewesen in liebenswürdig oder lästig unterteilt. "Eine Tierart stirbt ganz unbemerkt aus, andere werden heroisiert", sagt Gerschner. "Zoon" setzt diesen Widerspruch nicht nur kunstvoll in Szene, sondern bietet nicht zuletzt auch jenen Tieren eine Bühne, die ansonsten wenig menschliche Zuneigung erfahren.

Tierisches Jenseits

Eine, die das zu Genüge kennt, ist die Spinne: Oft genug muss sie in Kunst und Literatur für Grusel- und Ekelmetaphern herhalten. Die Therapeutin Ursula Riedinger nimmt sich den Verunglimpfungen der Achtbeiner nun proaktiv an und klärt am 24. April darüber auf, wie man seine Angst vor Spinnen bekämpft. Tatsächlich gruselig hingegen könnte es werden, wenn der Naturfotograf Andreas Hartl am 24. Mai nicht nur Tierporträts präsentiert, sondern dazu vom Aussterben seiner Protagonisten im oberbayerischen Isental berichtet - und ungewohnt fromm, wenn am 20. April diverse Religionsvertreter zum tierischen Leben nach dem Tod befragt werden.

Aus jedem Blickwinkel versuchen die Organisatoren sich Tieren und ihrem Verhältnis zu Menschen zu nähern und dabei möglichst viele Perspektiven einzufangen. Dafür hoffen sie auch auf die Unterstützung ihrer Besucher: Mit einem Barcamp am 25. März möchten sie dazu ermutigen, gemeinschaftlich über Ernährung, Nutz- und Massentierhaltung nachzudenken. Fragen sind bei dem kollektiven Brainstorming ebenso erwünscht wie schon ausgefeilte Projekt- und Workshopvorschläge.

Wenn der Kuckuck ruft

Eröffnet wird die Programmreihe am Mittwochabend von dem Evolutionsbiologen Matthias Glaubrecht, an dessen Vortrag sich eine interaktive Musikinszenierung anschließt: Karl Liebfried erzeugt mit Vogelwasserpfeifen einen Publikumschor, der von Rozenn le Trionnaire an der Klarinette begleitet wird. Mit Vogelgezwitscher und Klarinettenklang, der spätestens seit Camille Saint-Saëns' "Karneval der Tiere" unwillkürlich an den Ruf des Kuckucks erinnert, begrüßt die Akademie an diesem Abend nicht nur den Frühling, sondern lädt auch dazu ein, die nun endgültig aus dem Winterschlaf erwachte Tierwelt ausgiebig zu erkunden.

"Schicksalsgenossen - von Menschen & Tieren", Programmschwerpunkt der Offenen Akademie der MVHS, 22. März - 29. September an wechselnden Standorten der MVHS

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