Tibor Bozi fotografiert Musiker:Diven, Freunde, Stinkstiefel

David Pirner, Alice Cooper, Goldie: Tausende Musiker hat der Münchner Fotograf Tibor Bozi abgelichtet. Jetzt sind seine Porträts im Muffatwerk zu sehen. Mit der SZ sprach er über die Freundschaft mit Rockstars und den größten Stinkstiefel, den er je fotografiert hat.

Von Franz Kotteder

Sein Münchner Leben begann 1977 recht abenteuerlich: im Kofferraum eines Autos, das von Budapest in den Westen fuhr. Nur mit einem Rucksack kam er hier an. Tibor Bozi war in Ungarn geboren und aufgewachsen, und in Budapest hatte er auch Ingenieurwesen und Fotografie studiert. Im Westen arbeitete er zuerst als Ingenieur, aber das dauerte nicht lang. Schon bald wurde die Fotografie immer wichtiger für ihn. Bozi lichtete vor allem Rockmusiker ab und ist heute einer der wichtigsten Fotografen auf diesem Gebiet in Deutschland. Von Anfang an hat er mit dem Muffatwerk zusammengearbeitet, deshalb ist dort nun zum 20-jährigen Bestehen eine Retrospektive von Bozis Fotografien gemeinsam mit Arbeiten seines Kollegen Martin Fengel zu sehen.

SZ: Wie kommt man denn als Fotograf dazu, Popmusiker zu porträtieren?

Tibor Bozi: Ich habe zuvor hauptsächlich Theater und Tanztheater fotografiert, auch die berühmte "Mahabharata"-Produktion von Peter Brooks und das Festival in Avignon. Damals habe ich Dietmar Lupfer kennengelernt, der war da noch Konzertveranstalter, die Muffathalle kam erst später. Der hat mich dem Musikmagazin Spex empfohlen, das suchte damals einen Fotografen. Ich war damals noch total unbeleckt von der Musikbranche.

Was war dann der erste Auftrag?

David Pirner, der Sänger von Soul Asylum.

Wir machten erst die üblichen Rockstarposen. Als wir fertig waren, schrieb er mir noch seine Telefonnummer auf, und dann drückte ich noch ein paar Mal ab. Das wurde dann das Bild. Kam recht gut an, das war gleich so ungewöhnlich. Und der zweite Auftrag war Alice Cooper. Der Redakteur von Spex, Diedrich Diederichsen, wollte Cooper unbedingt ganz ungeschminkt haben und in Schwarz-Weiß. Also setzte ich mich zum Interview dazu und machte dabei schon Fotos. Als dann die Leute von der Plattenfirma kamen und sagten, Alice Cooper würde jetzt für die Fotos geschminkt, sagte ich bloß: "Danke, ich habe schon alles." Die waren vielleicht entsetzt!

Alice Cooper ohne Maske ging gar nicht?

Nein. Die waren entsetzt. Aber als die Fotos dann entwickelt waren, haben sie ihnen doch gefallen. Das Witzige ist: 23 Jahre später habe ich Alice Cooper noch einmal fotografiert, für "Sagen Sie jetzt nichts" im SZ-Magazin. Da kam der gleiche dicke Manager rein und wollte nur wissen: "Ist das jetzt in Schwarz-Weiß oder in Farbe?"

Anfang der Neunziger waren noch mehr Musiker zu Gast in München, oder?

Kann man wohl sagen. Da hatten noch viele Plattenfirmen ihren Sitz in München. Wenn du bei Virgin Records in der Herzogstraße reingekommen bist, dann saß da in einem Raum beispielsweise Peter Gabriel und redete gerade über seine Deutschland-Aktivitäten. Im nächsten schminkte sich Boy George gerade für Fotos, und im dritten war irgendein sagenhafter Singer/Songwriter. Die machten damals alle noch nicht so auf Star, es war noch recht familiär.

Das Familiäre macht die Arbeit leichter.

Ja. Als ich zum Beispiel 1994 Townes van Zandt in Austin fotografierte, flog ich anschließend weiter nach Memphis zu Lorette Velvette, wo ich ein paar Wochen wohnen konnte. Lorette hat mich dann gleich der ganzen Memphis-Szene vorgestellt. Ich habe damals für Harper's Bazaar, das Rolling-Stone-Magazin und für Spin gearbeitet. Ich konnte dann nach und nach die ganzen Leute der Memphis-Szene fotografieren und habe dann noch eine Reportage fürs damalige WOM-Magazin gemacht. So etwas ist heutzutage gar nicht mehr möglich.

Bands verlangen astronomische Festgagen

Ihre Fotos werden jetzt in der Muffathalle ausgestellt, weil sie dort auch viel fotografiert haben?

Ja, das kam eben auch wieder über Dietmar Lupfer. Der hat in den ersten 15 Jahren einfach gnadenlos gut gebucht, aus meiner Sicht. Das ist inzwischen unmöglich. Was er damals gebracht hat, könnte er heute gar nicht mehr zahlen, die Bands verlangen inzwischen ja teilweise astronomische Festgagen.

Die Fotos in der Ausstellung sind dann auch alle in der Muffathalle entstanden?

Nein, nein! Aber so um die 80 Prozent. Ich hätte ja gerne etwas mehr Hip-Hopper in der Ausstellung gehabt, die Muffathalle hat ja Hip-Hop in München erst so richtig groß gemacht. Aber das wollte Dietmar nicht. Blumentopf schon, klar. Der Sebastian von Blumentopf legt ja auch heute noch regelmäßig in der Muffathalle auf. Ansonsten haben wir Julie Delpy, die hat ja auch mal eine Weile Musik gemacht, Blixa Bargeld, Vic Chesnutt, Townes van Zandt und so weiter. Von mir sind 28 Fotos ausgewählt, die hängen in der Halle von der Decke, sodass die Besucher dazwischen durchgehen können.

Entstehen denn auch Freundschaften, wenn man so viele Musiker fotografiert?

Heute nicht mehr. In den Neunzigern war das noch gang und gäbe. Beck zum Beispiel, den habe ich in Memphis kennengelernt. Den hatte ich schon fotografiert, als die Plattenfirma hier noch gar nicht wusste, dass er bei ihr unterschrieben hat. Als er dann groß rauskam, wurde er richtig abgeschirmt, wie alle Stars. Ich habe ihn dann irgendwann mal gefragt, als ich ihn wiedertraf, ob er meine E-Mails bekommen hat, weil er nie antwortete. Nein, hat er nicht. Die haben die gar nicht weitergegeben.

Sicher versteht man sich nicht mit jedem gut. Wer war denn am Schlimmsten?

Mit weitem Abstand Lou Reed. Das ist der größte Stinkstiefel der Welt. Ich will diesen Menschen nie wieder sehen und hören. Das war in New York, ein absoluter Kampf. Nichts dagegen, wenn es um ein gutes Ergebnis geht. Aber Lou Reed will dich zerstören, er ist immer erniedrigend. Er wollte auf keinen Fall seine Sonnenbrille abnehmen. Er hatte ja auch einen Vertrag mit dieser Designerbrillenfirma und war andauernd bekifft, das sieht man ja an den Pupillen. Ich kann aber kein Titelfoto mit Sonnenbrille machen. Er weigerte sich trotzdem beharrlich, sie abzunehmen.

Aber es hat dann doch noch geklappt?

Mit einem Trick. Für solche Fälle hatte ich immer eine dritte Kamera mit einem unbelichteten Film dabei. Das habe ich von Fryderyk Gabowicz, dem alten Bravo-Fotografen, gelernt. Du wirst dann wütend, nimmst die Kamera und reißt den Film heraus und schreist: "So! Und das war jetzt unser Shooting!" Dann werden sie handsam und lenken ein, nach dieser Konfrontation. Lou Reed auch. Ich sagte dann: "Können wir wenigstens mal zwei Fotos ohne Sonnenbrille machen?" Dann hat er sie immerhin ein paar Zentimeter von der Nase geschoben, bis man was von den Augen sah.

Zehn Minuten Zeit statt tagelanger Fotosessions

Meistens bleibt ja heute nicht mehr sehr viel Zeit für solche Fotos?

Ja, heute hat man nur noch fünf bis zehn Minuten Zeit. Früher waren das noch tagelange Fotosessions. Heute erwarten sie, dass du in zehn Minuten genau die gleiche Qualität lieferst wie damals, als du für Townes van Zandt drei Tage Zeit hattest. Oder wie mit Spike Lee: Da hast du als Fotograf tageweise mit denen gelebt! Die hatten auch Vertrauen zu dir, aber diese Normalität kriegt man heute nicht mehr mit. Mit John Cale bin ich zum Beispiel mal in Schwabing Schuhe kaufen gegangen und habe dabei fotografiert. Der steht unheimlich auf Schuhe und wollte wissen, wo es gute Geschäfte gibt. Aber das ist jetzt auch schon wieder zehn oder zwölf Jahre her.

Aus Ihren Musikerporträts soll demnächst auch ein Buch werden?

In der Verlagsbranche dauert das alles ja ein bisschen länger . . . Ich bin gerade dabei, mit dem Münchner Kreativdirektor Mirko Borsche auszuwählen. Es werden wohl so um die 150 Musiker werden, die ich seit 1987 fotografiert habe.

Das ist nur eine kleine Auswahl.

Ja, insgesamt habe ich doch etliche Tausend Porträts gemacht. Ich dachte mal, das ist vielleicht auch ne Altersvorsorge. Aber von wegen. Es gibt kaum mehr Archivfotos, du kannst froh sein, wenn du mal eines für irgendein Buch verkaufst. Der Drang zum Neuen hat unheimlich zugenommen. Nach ein, zwei Hits heißt es doch heute schon: "Gibt's denn nicht was Neueres?" Es gibt keinen David Bowie mehr und keinen Brian Eno. Ein Lebenswerk ist nicht gefragt. Die Major Companys bauen keine Band mehr langfristig auf, sondern nehmen eine unheimliche Masse von Künstlern unter Vertrag und hoffen dabei auf den schnellen Profit. Die melken sie dann maximal zweieinhalb Jahre, dann muss ein neuer Star her. So ist das inzwischen.

Die Eröffnung der Ausstellung im Muffatwerk ist am Montag, 1. Juli, um 19 Uhr. Die Bilder sind bis zum 9. Juli täglich von 18 bis 23 Uhr ausgestellt.

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