Thomas Ruff im Haus der Kunst:Kunst für echte Kerle

Alberner Nervenkitzel oder banale Kraftmeierei: Die Werkschau von Thomas Ruff im Haus der Kunst erzählt die lange Geschichte einer künstlerischen Selbstfindung. Für Minderjährige sind nicht alle Räume geeignet.

Andrian Kreye

Es gibt nur wenige Künstler, die sich in den letzten Jahren so offensichtlich von den Kräften des Kunstmarktes treiben ließen, wie den Fotokünstler Thomas Ruff. Steht man im Haus der Kunst vor den zwei bis drei Meter hohen Vergrößerungen beliebiger Internetbilder aus seiner Serie "jpegs", wird die zentrale Botschaft des Kunstmarktes auch gleich deutlich. Ruff macht Kunst für echte Kerle - kraftvoll im Motiv, üppig im Format. Das erinnert ein wenig an den breitbeinigen Gestus der abstrakten Impressionisten, auch wenn die Gemeinsamkeiten da auch schon wieder aufhören. Subtile Analysen oder bürgerliche Raumhöhen haben bei Ruff jedenfalls nichts zu suchen.

Man kann einen überhitzten Kunstmarkt allerdings auch als willkommenes Korrektiv der Tendenz betrachten, zeitgenössische Kunst durch intellektuelle und spirituelle Überhöhungen in Nischen abzudrängen. Sieht man die Sache so, erzählt die Ausstellung eine Art künstlerischen Entwicklungsroman, der einiges über den Künstler und viel über seine Zeit erzählt.

Thomas Ruff und der Kurator Thomas Weski haben im Haus der Kunst ausdrücklich keine Retrospektive zusammengestellt, sondern eine Übersicht. Das war eine vernünftige Entscheidung, denn so kann die Ausstellung zunächst mal einen Bilderrausch entfesseln, den chronologische Zwänge nur gebremst hätten. Zwischen den kühlen Bildern im Geist der Düsseldorfer Fotoschule, den Medienexperimenten und Abstraktionen ist Ruffs fotokünstlerisches Gesamtwerk zwar nicht eindeutig einzuordnen. Ruffs Arbeiten kommen allerdings weitgehend ohne allzu großen intellektuellen Ballast aus, und so findet man auch ohne strenge Führung die roten Fäden, die ihn immer wieder in Sackgassen hinein- und auch wieder herausführten.

Epigonale Gehversuche

Das beginnt gleich rechts neben der Eingangsgalerie mit den "Interieurs" aus seinem Frühwerk. Da fokussierte Ruff seinen Blick mit Farbaufnahmen im noch traditionellen Kleinformat auf Details und Nischen, die er zwischen 1979 und 1983 in deutschen Wohnungen und Häusern aufnahm. Die "Interieurs" stehen allerdings so deutlich unter dem Einfluss des amerikanischen Pioniers farbiger Kunstfotografie William Eggleston, dass sie nicht viel mehr sind, als epigonale Gehversuche.

Ruff studierte in diesen Jahren bei Bernd und Hilla Becher, den Begründern der Düsseldorfer Fotoschule, zu der auch Andreas Gursky, Thomas Struth und Candida Höfer zählen. Mag sein, dass er sich mit den farbigen Studien von der schwarzweißen Strenge seiner Lehrer absetzen wollte.

Dass der impulsive Eggleston-Blick ohne das warme Pathos des amerikanischen Südens nicht funktionierte, hat jedoch nicht nur Ruff erfahren müssen. Im Zentraleuropa des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts entdecken Fotografen in den Mikrowelten der halbabstrakten Detailfotografie meist nur Beklemmung und Depression.

Bei Thomas Ruff zeigt sich der Weg der Düsseldorfer Fotoschule aus dem Bannkreis der übermächtigen amerikanischen Vorbilder in den zwei Serien, mit denen er bekannt wurde. "Porträts" und "Häuser" sind Musterbeispiele für den Kraftakt der Becher-Schüler, das hochemotionale, impulsive Medium der Fotografie weitgehend von Emotionen und Impulsen zu befreien. Heute kann man die provokative Kraft der Porträts aus den späten Achtzigern nur noch erahnen. Die Kälte, die die Kopfbilder scheinbar beliebiger junger Menschen auf monumentalen zwei mal eineinhalb Meter erzeugen, indem sie beharrlich auf der Oberfläche der Gesichter bleiben, gehört heute, wie so viele wegweisende Stilmittel der Fotografie, längst zum Standardrepertoire der kommerziellen Bildwelten.

Ähnlich funktioniert Ruffs Serie "Häuser" aus derselben Zeit. Die Gebäude, die er da in strenge Symmetrien setzte, waren ausnahmslos jene Selbstkasteiungen deutscher Architekten, die in der freudlosen Askese der Zweckmäßigkeit einen Reinigungsprozess vom mörderischen Inszenierungswahn der beiden Weltkriege suchten.

Künstlerische Selbstfindung

Mit dem Erfolg entfernte sich Ruff schon bald von der sachlichen Strenge der Düsseldorfer Schule. Er experimentierte mit Sehgewohnheiten, taucht Straßenszenen ins grünweiße Licht der Nachtsichtgeräte aus dem letzten Golfkrieg, bearbeitete für die Serie "Sterne" die Himmelskarten einer Sternwarte in Chile. Dann entdeckte er die Auflösung der Bildwelten im Digitalen und begann, Bilddateien aus dem Internet in C-Prints von zwei bis drei Meter Bildhöhe zu verwandeln. Die Serie "jpegs" bediente sich bei Massenmedien und Agenturen. Ab 1999 verarbeitet Ruff Fundstücke aus der Internetpornografie. Je erfolgreicher er wird, desto eifriger scheint er nun den Markt zu bedienen.

Mit dem Aufstieg ins Hochpreissegment der großen Kunstmessen kristallisiert sich nun bei Ruff das Erfolgsmuster heraus, das fast alle internationalen deutschen Popphänomene der Nachkriegsjahre bedient haben, egal ob Regisseure wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder, Popgruppen wie Kraftwerk und Rammstein, oder auch Künstler wie Gerhard Richter und Anselm Kiefer. Vier Grundelemente hat dieser deutsche Nachkriegspop - Wissenschaft, Technik, die Kälte der Menschen und Städte, sowie die Last der Geschichte. Ruff ergänzt das Muster noch um die Facette des "Dirty Porn", die im Ausland das Klischee vom versauten Deutschen mit seinen Fetisch- und Swingerparties füttert.

Die Serien "nudes" und "jpegs" sind wahrscheinlich das beste Beispiel für einen Irrtum, der durch den Erfolg zum Selbstläufer wird. Offiziell sind die Serien nicht abgeschlossen. Zu groß sind die Umsätze. Beide Serien aber orientieren sich an einem Boom, der nicht mehr vom Kunstverständnis der alten, westlich geprägten Kulturwelt getrieben wird, sondern vom neuen Geld aus den Bric-Staaten. So konnte Damien Hirst mit Effekthascherei zum Ed Hardy der bildenden Kunst werden, Takashi Murakami zum Pop-Art-Markenzeichen. Und so funktionieren auch Ruffs Werke aus den letzten 15 Jahren. "nudes" und "jpegs" sind optisch laut genug, um auch im Bildgewitter einer Kunstmesse noch Aufmerksamkeit zu erregen.

Am besten ohne Minderjährige

Der Zeitgeist dieser Werke ist dabei so aufdringlich und plump, dass er keinen Konsens, sondern nur noch dekorative Zeitgenossenschaft herstellt. Die technisch vorgegebene Verpixelung muss als Abstraktionsmittel reichen. Die Motive sind banale Kraftmeiereien. Neben Powershots eines Atompilzes und einer startenden Raumfähre korrespondiert da der Zusammenbruch des World Trade Center mit dem nächtlichen Empire State Building und dem Shanghaier Oriental Pearl Tower auf der Ebene einer sehnsüchtigen Fototapete. Die Pornografie der "nudes" bleibt alberner Nervenkitzel (besucht man die Ausstellung übrigens mit Minderjährigen, sollte man den Raum ruhig meiden, es sei denn, man will sich Fragen aussetzen, was sich diese Leute denn da wo hineinstecken und warum).

Mit dem Boom schien sich auch Thomas Ruff zu beruhigen. Für die Serie "Substrat" manipulierte er japanische Manga-Comics so weiter, bis nur noch psychedelische Farbnebel blieben. In seinen beiden jüngsten Serien kehrt er nun zu einem Kindheitstraum zurück. Astronomie habe er studieren wollen, erzählt er in letzter Zeit öfters. So sind nun zwei seiner schönsten Serien entstanden. Für "Cassini" verwendete er die prachtvollen, außerirdischen Aufnahmen der gleichnamigen Raumsonde vom Planeten Saturn und seinen Monden.

Für "ma.r.s" benutzt Ruff Aufnahmen der Marssonde, die er einfärbt und so manipuliert, dass aus dem 90- ein 45-Grad-Winkel wird. So entsteht der Eindruck, als blicke man aus einem Flugzeugfenster auf die Landschaft des Planeten, der in Ruffs Bildern in zarten Gesteins- und Lichtfarben vor sich hindämmert. War die Serie "Sterne" mit ihren gestochen scharfen Bildern des Firmaments noch eine vorsichtige Annäherung, so hat Ruff mit seinen beiden jüngsten Serien das Medium seiner Arbeit endlich einer relevanten Abstraktion unterzogen. Die Werkschau im Haus der Kunst schafft nun den Kontext und erzählt so die lange Geschichte einer künstlerischen Selbstfindung.

"Thomas Ruff", bis zum 20. Mai im Haus der Kunst, München. Infos unter www.hausderkunst.de. Der Katalog mit Texten von Okwui Enwezor und Thomas Weski ist bei Schirmer/Mosel erschienen und kostet 39 Euro.

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