Warum ist das Theatron-Festival 2024 so kurz?
Eines fällt sofort auf beim Blick auf das Programm des Theatron-Festivals im Sommer 2024: Das Gratis-Festival am Olympiasee, das es einst als längste Open-Air-Serie der Welt ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat, ist heuer „nur“ drei statt vier Wochen lang. Die Kürzung, so beteuert Hauptorganisator Antonio Seidemann, liege aber nicht an Sparauflagen, sondern „am König Fußball – na ja, ein großer Fan davon bin ich wirklich nicht“. Wegen des Abbaus der EM-Fanzone könne man die Seebühne mit dem Muscheldach erst später herrichten und bespielen, auch eine Verlängerung des Festivals nach hinten hinaus war wegen des nahenden Groß-Festivals „Superbloom“ nicht möglich.
Man hat versucht, zu verdichten und auf nichts zu verzichten, sagt Seidemann. Die Bandbreite der gut 50 Konzerte an 21 Tagen reicht wie immer von Pop und Folk über Rock und Hip-Hop bis Klassik und Jazz. Die Streetworker des Sozialreferates haben allerdings nur einen Tag statt zwei, um ihre jungen Hip-Hopper zu präsentieren – dafür diesmal sehr prominent besetzt beim Pre-Opening des Theatron-Festivals am Donnerstag, 8. August: nach dem Reim-Zauberer Babanelly tritt die Aktivistin und multibegabte Rap-Aufsteigerin Gündalein auf, zum Abschluss zeigt die Allstar-Truppe Swango um die Szene-Granden Maneken Peace und Skillgott Heron ihren kuriosen Mix aus Hip-Hop, Stepptanz und Gitarrenrock.
Für den Jazz, beigesteuert von der Unterfahrt, wurde wegen der Raffung ein völlig neuer Programmplatz geschaffen: eine Matinee. Am Sonntag, 11. August, präsentiert sich von 11 Uhr an „das neue Traumpaar des Jazz“: Shuteen Erdenebaatar und Nils Kugelmann. Die aus der Mongolei stammende Pianistin und der Münchner Multiinstrumentalist lassen hier gleich drei Projekte – ihr Quartett und sein Trio sowie das Lightville Duo – ineinanderfließen.
Was gibt es beim Klassik-Highlight mit Sinfonietta in diesem Jahr?
Man könne nach der Jazz-Matinee eigentlich gleich diesen ganzen Sonntag, 11. August, im Theatron verbringen, rät Seidemann, denn am Abend steigt der Klassik-Höhepunkt des Jahres: der Auftritt von Sinfonietta. Der Dirigent Hartmut Zöbeley hat mit dem Sinfonierorchester der Münchner Universitäten für eine „See-Serenade“ Werke von Edward Grieg, Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Edward Elgar und Jean Sibelius einstudiert. Krönender Abschluss sollen Max Richters „The new Four Seasons recomposed“ sein, dem Komponisten waren Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu abgestanden, so hat der britisch-deutsche Komponist sie zerlegt und neu aufgebaut. Solist ist der Geiger Tassilo Probst.
Welche Konzerte sollte man nicht verpassen?
In der fünfzigjährigen Geschichte des Theatron spielten sicher auch Stars auf der Betonplatte am See, wie früh die Scorpions oder später die Sportfreunde Stiller – bis zu 5000 Besucher auf den offiziell etwa 2000 Sitzplätzen auf den Betonstufen und auf den Wiesenhügeln drumherum lassen selbst bei Routiniers Gänsehaut am Sommerabend aufkommen. Umso eindrücklicher ist das Erlebnis für die vielen kleineren Musiker, die hier vielleicht erstmals einen Anflug davon erleben, wie sich Größe anfühlt. Denn Zuschauer sind immer da, es kostet ja nichts, und zu entdecken gibt es meistens etwas bei zwei bis drei Konzerten jeden Abend.
Freilich schon etabliert ist die Zugnummer des offiziellen Eröffnungsabends am Freitag, 9. August: Monobo Son sind einst aus La Brass Banda hervorgegangen, haben aber längst ihren ganz eigenen, charmant-fröhlichen Brass-Stil entwickelt. Vor ihnen spielen Kapotaki bayerischen Gypsy-Polka-Ska-Folk.
Oft sind es die Verbindungen, die es spannend machen. Zum Beispiel beim Abend „Wor(l)d Connects“ (12. August), ganz im Sinne der Olympischen Spiele 1972, die die Jugend der Welt zusammenbringen sollten, eben auch mit Kulturdarbietungen im Theatron: Hier treffen nun der Münchner Hip-Hopper mit dominikanischen Wurzeln, Cashmere Caramel, die argentinisch-stämmige Songwriterin Encantada und die Latin-Musikerin Chakabella auf Mare Advertencia Lirika: Die feministische Musikerin aus Mexiko kämpft mit Rap, Mariachi, Huapango und Reggae gegen Korruption und für die Rechte der Indigenen.
Eine spannende Mixtur gibt es auch beim Pop am Dienstag (13. August) beim „Queer Up Crew Crowd Karaoke“ mit dem Publikum, bei Worldbeat auf Englisch, Lingala, Französisch und Deutsch von Kokonelle und DJ Ropa und beim Oriental-Pop von Faravas. Die Sängerin ist aus Iran geflohen und möchte mit ihrer Musik Frauen im Nahen Osten ermächtigen.
Freunde neuer bayerischer Volksmusik werden bestens bedient von der Ein-Mann-Alphorn-Techno-Kapelle Loisach Marci und Oansno, die mit origineller Tanzmusik auf Brettlbühnen ebenso brillieren wie bei Straßenfesten und in Clubs (14. August). Den alten Blues neu aufmischen, das kann kaum einer so spektakulär wie Muddy What? aus München, die 2022 die German Blues Challenge gewannen (18. August, mit Gobilove). Überhaupt geht es recht erdverbunden zu, etwa auch beim Folk-Lulatsch Young Fast Running Man alias Fabian Hertrich (15. August) oder bei Young Chinese Dogs, die Folk-Pop-Heroen um die Schauspielerin Birte Hanusrichter geben nach fünf Jahren ihr Comeback mit dem neuen Album „Home“ (17. August).
Eine Klasse für sich ist wieder einmal die knappe Woche mit drei Konzerten je Abend, die das Jugendkulturzentrum Feierwerk beisteuert. Ein wilder Mix, wenn die Grunge-Punks Biblioteka aus Seattle auf Ell aus dem Odenwald („die Schönheit einer Schlagbohrmaschine mit der Power einer duftenden Kirschblüte“) und die Münchner Underground-Gewächse Ya/Nel treffen (20. August). Oder die österreichische Dream-Pop-Aufsteigerin Rahel auf die Augsburger Schöngeister Das Kitsch („Baby Blue, wo drückt dein Schuh, du bist so schön.“) und die Nürnberger Performance-Poetin Ulla Suspekt (22. August). Kunst ist, was Kant aus psychedelischen Alternative-Klängen der Sechziger und Metal und Doom der Achtziger zusammenhämmern (23. August). Und wie tiefschürfend Hip-Hop aus deutschen Landen sein kann, demonstrieren zum Abschluss die Weltuntergäng, Mimil und Arm & Hässlich (24. August).
Sollte es 2024 nicht eigentlich ein großes Fest geben?
Alles ist fein kuratiert, aber in der Tat weniger als sonst. Dabei hätte es doch 2024 ein besonders ausschweifendes Fest geben sollen, um zu feiern, dass es im Theatron schon seit 50 Jahren Konzerte gibt. Die ersten fanden bereits ein Jahr nach Olympia ’72 statt, aber einen richtigen Vorläufer vom Theatron-Musiksommer (wenn auch einen weit kürzeren), angeschoben von den Baghwan-Anhängern um Jürgen Birr alias Anurakta, datiert man auf 1974. Mit längeren Festivals ging es in den Achtzigern los. Die „Zählerei“ ist für Antonio Seidemann aber eben gar nicht entscheidend. Zusammen mit Judith Becker und der Agentur Eurart organisiert er den Rocksommer nun bereits seit 20 Jahren, so lange wie niemand zuvor, und puzzelt die Ideen der Arbeitsgemeinschaft aus Sozialreferat, Kulturreferat, Jugendkulturwerk und Feierwerk zu einem klingenden Panorama zusammen. Da genießt er es, „jeden Tag, in der Musik zu baden“ (im Olympiasee zu baden, ist immer noch verboten). Und statt eines großen Fests hält er es mit dem Verrückten Hutmacher von „Alice im Wunderland“: „Da feiern sie lieber jeden Tag, dass sie keinen Geburtstag haben.“
Theatron, Donnerstag, 8. August, bis Sonntag, 25. August, täglich ab 19.00 Uhr (10. Aug. 18 Uhr, 11. Aug. zusätzlich Jazz um 11 Uhr), Kurzfilm-Programm „Best of Flimmern und Rauschen“ 12. und 13. Aug., 22 Uhr; das ganze Programm unter www.theatron.net