Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere:Die wollen nur spielen

Philipp Arnold inszeniert Shakespeares "Macbeth" am Volkstheater. Es ist die letzte Premiere an der Brienner Straße, bevor das Theater ins neue Haus im Schlachthofviertel umzieht

Von Egbert Tholl

Das wird's dann gewesen sein. "Macbeth" war die letzte Premiere im alten Volkstheater an der Brienner Straße. Bis zum 20. Juni wird hier noch gespielt, dann erfolgt der Umzug nach Sendling ins neue, verheißungsvolle Haus. In ein richtiges Theater.

Seit 1983 war das Münchner Volkstheater eine Sporthalle, in der Theater gespielt wurde, und all die Jahre hindurch war es immer wieder erstaunlich, was man in so einer Turnhalle alles machen kann, vor allem seit Christian Stückl das Haus leitet, also seit 2002. Das Imperfekte des Hauses gebar einen Charme, wie ihn manchmal Ausweichspielstätten haben. Und doch ist es eigentlich eine Zumutung, hier Theater zu machen. Es gibt keine Seitenbühne, keine Hinterbühne, die Unterbühne ist vielleicht 50 Zentimeter hoch und beherzte Darstellende können da unten herumkrabbeln. Es gibt auch eine Obermaschinerie, natürlich nicht. Wenn hier ein Bühnenbild steht, dann steht es - tatsächlich fallen einen vielleicht drei Produktionen aus den vergangenen Jahrzehnten ein, bei denen es nach der Pause auf der Bühne bedeutend anders ausschaute als vorher.

Beim "Macbeth"gibt es keine Pause, und das Bühnenbild besteht aus zwei Leinwänden an Stahlgestängen, die man herumrollen, zu einem Käfig zusammenschieben oder als Klettergerüst nutzen kann. Was Viktor Reim da hingestellt hat, ist also nicht das beste Beispiel für die Erfindungsgabe vieler Bühnenbildner und Bühnenbildnerinnen, die hier schon die lustigesten Sachen gebaut haben, einen bayerischen Bierbauch, eine Rokoko-Spieldose oder den Eingang zum Paradies.

Es kann nun einen also dennoch ein bisschen eine Wehmut überkommen, die natürlich völlig unangebracht ist, schließlich wünscht man allen, die hier arbeiten, die schönsten Bedingungen für dieses Arbeiten. Und das neue Haus im Schlachthofviertel verspricht, alles zu können, was ein Theater können muss. Das alte Volkstheater kann eigentlich nichts, aber aus dieser Widrigkeit heraus entstand eben der Charme der kreativen Anarchie, der hier immer wieder bezauberte. Da hofft man natürlich, dass von diesem Geist auch ein bisschen was nach Sendling getragen wird, was so unwahrscheinlich nicht ist, schließlich wandert ja die ganze Truppe mitsamt Stückl dort hin. Und Philipp Arnold wird Hausregisseur; er hat auch schon ein paar schöne Sachen abgeliefert, war bei "Radikal jung" eingeladen und hat am Volkstheater "Wer hat meinen Vater umgebracht" inszeniert. Nur mit dem "Macbeth" kommt er nicht so recht zurande.

Vielleicht war es einfach von vornherein eine Schnapsidee, mit dem jungen Volkstheater-Ensemble ausgerechnet Shakespeares "Macbeth" auf die Bühne bringen zu wollen. Das blutrünstige Paar etwa wirkt erst einmal sehr freundlich. Jakob Immervoll ist ein strahlend jugendlicher Macbeth, Anne Stein dessen Lady, von der man zunächst erwartet, dass sie Marienkäfer aus einer Wohnung ins Freie rettet, aber nicht unbedingt, dass sie ihrem Gatten Mordpläne einflüstert. Kurz: Die beiden sind außerordentlich ungefährlich. Doch wenn sie dann zunehmend von den Dämonen ihrer Taten heimgesucht werden, stülpt Immervoll das innere Rasen beherzt nach Außen und Stein entwickelt ein paar hochinteressante, psychotische Züge. Doch Angst muss man vor ihnen nie haben, selbst wenn man mit ihnen im selben Schloss nächtigte.

Man ahnt, dass Philipp Arnold irgendwo hinwollte mit seiner Inszenierung, doch kommt er nirgendwo an. Mitunter hat man das Gefühl, hier spiele eine lustige Studententruppe ein bisschen am großen Drama herum, doch anstatt dieses Herumspielen auszustellen, was ja angesichts der Vitalität der Darstellenden durchaus gewinnbringend sein könnte, befällt alle hier ein irrlichternder Kunstwille. In diesem taucht auch ein wenn nicht neuer, so doch richtiger Gedanke auf: Die Hexen wohnen in Macbeths Kopf. Sie sind Ausdruck seines Sehnens und seiner Wünsche, Wünsche, vor denen er selbst erschrickt. Visualisiert werden sie in seltsamen Gestalten mit astartigen Händen, aber ohne Gesicht, die in Schwarz-Weiß-Videos auftauchen oder auch leibhaftig auf der Bühne vor sich hin flüstern oder krächzen. Die Videos werden hinten live hergestellt, da steht auch ein Tisch mit Requisiten; es weht also ein Hauch von Gosch oder Castorf durch die Aufführung - so macht man das heute.

Arnold hat Shakespeares Personal, das man im Originalzustand kaum in Gänze auf die Volkstheaterbühne brächte, gut entschlackt, Jan Meeno Jürgens spielt den Rosse als Mehrzweckfunktionsträger, Jonathan Müller ist Duncan und später Macduff, Max Poerting Malcolm und der Oberhexerich. Und da dies alles doch arg männerlastig ist, spielt Henriette Nagel den Banquo, was dazu führt, dass solange Macbeth und Banquo sich gut sind (was ja so lange nicht ist), die Andeutung einer schönen Nähe zwischen den beiden herumschwebt. Julia Dietrich hat alle hübsch angezogen, moderner Chic mit ein paar Insignien aus der Shakespeare-Zeit, was sich bei der Lady ausgesprochen prunkvoll ausnimmt. Deren kunstvoll gewebtes Kleid gibt es sogar zweimal, dann nämlich, wenn sie im Irrewerden mit sich selbst redet, da steht dann ihr Gewissen neben ihr.

Das Seltsame ist nur: Es interessiert einen selbst bei bester Konzentration nicht. Nie spürt man eine Not hier, oder einen echten Drang. Auch von einer Antwort auf die Frage, was Arnold mit seiner Inszenierung wirklich erzählen will, bleibt man weitgehend unbelastet. Kein Grusel, kein Schauer, kein Schock, das muss einem mit diesem Stoff auch erst einmal gelingen. Man kann jedes Drama unterlaufen, schon klar, aber ob "Macbeth" dafür geeignet ist, ist doch eher fraglich. Statt Blutrausch gibt es Wiederholungsschleifen des Texts, die aber auch nur ein hohler Vorgang sind. Immerhin: So bleiben ein paar Sätze haften.

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Quelle:
SZ vom 31.05.2021
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