Süddeutsche Zeitung

Theaterkritik:Am Ende steht das Überleben

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Christine Umpfenbachs Doku-Projekt "9/26 - Das Oktoberfest-Attentat" in den Kammerspielen

Von Christiane Lutz, München

Wenn sich Regisseurin Christine Umpfenbach eines Themas annimmt, kann man sich gleichermaßen zurücklehnen und muss sich wappnen. Zurücklehnen deshalb, weil sie in ihren dokumentarischen Arbeiten stets einen wahnsinnigen Rechercheaufwand betreibt und unglaublich Persönliches zutage fördert, was für Zuschauer gewinnbringend ist. Wappnen muss man sich aus genau denselben Gründen - denn was sie zutage fördert, ist oft verstörend, bewegend. Sie schlägt sich stets auf die Seite der Ungehörten, oft der Opfer. Bei ihrem neuen Projekt "9/26 - Das Oktoberfest-Attentat" sind es Überlebende eben jenes Attentats, mit denen Umpfenbach gesprochen hat und die sie im Werkraum der Kammerspiele durch Schauspieler zu Wort kommen lässt. Es ist eine Produktion mit Absolventinnen und Absolventen der Otto-Falckenberg-Schule und dem Schauspieler Stefan Merki.

1980 explodierte eine Bombe am Rande der Wiesn, 13 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Der schlimmste rechte Terroranschlag der Geschichte der Bundesrepublik. Am nächsten Tag war die Stelle neu betoniert, die Wiesn ging einfach weiter. In klaren Worten berichten fünf Überlebende, wie sie den Abend am 26. September 1980 und alles, was danach kam, erlebt haben. Eine Frau will noch ein Fahrgeschäft fahren, ihr Freund nicht, ihm wird dabei schlecht. Also gehen sie zum Ausgang. Ein Teenager ist mit seiner Familie unterwegs, Ausflug aus dem Alltag im Hasenbergl. Ein Mann ist frisch verliebt in Gabi, will eigentlich noch nicht nach Hause, aber er muss, das hat er den Eltern versprochen. Sie beschreiben die Explosion, die Schreie, das dumpfe Gefühl in den Ohren, Blut, Schmerz. Die fünf Schauspieler tun das empathisch und doch nüchtern, die Bilder entstehen ohnehin im Kopf.

Im Bühnenraum schweben dünne Tücher, gehalten von Helium-Ballons, bedruckt mit Bildern des Oktoberfests, manche nur schwarz und weiß. Die lassen sich herumschieben und umdeuten, der Hauch eines Bühnenbildes, sozusagen.

Die zweite Hälfte der Inszenierung konzentriert sich auf das Danach. Die Fünf berichten, wie es ist, nicht ernst genommen zu werden mit ihren Traumata und Schmerzen. Von der Enttäuschung, dass keine Aufklärung des Anschlags folgt. Von der Erleichterung, als das Verfahren 2014 wieder aufgenommen wird und von unwürdigen Verhören 35 Jahre später. Der Abend erzählt auch die Geschichte vom Versagen der Behören. Viel zu lang schlossen die Ermittler eine rechtsextrem motivierte Tat aus. Die Fünf fragen, was in Deutschland vielleicht verhindert hätte werden können, wenn man sich dem rechten Terror entschlossen gestellt hätte.

Am Ende aber steht das Überleben. Das Trotzdem. Und der Wunsch, den Anschlag als rechten Terrorakt im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern. Dass das noch nicht so ist, wird klar, als die jungen Schauspieler erzählen, wann sie von dem Attentat erfahren haben: vor zwei Jahren, mit dem Umzug nach München, mit Beginn dieses Projekts. So ist "9/26" keine bloße Rückschau oder Behördenkritik, sondern eine Aufforderung, hinzusehen. Ein Arbeitsauftrag.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2020
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