Süddeutsche Zeitung

Theatergemeinde München:Mehr Lust auf Kultur

Die Theatergemeinde ist eine Münchner Institution. Seit fast 100 Jahren vermittelt sie günstige Eintrittskarten - nun sucht der Verein ein neues Image: Weg von dem alten Bild "Wir verteilen Tickets" hin zu der Idee "Wir machen Euch Lust auf Kultur".

Von Anne Goebel

"Gift. Eine Ehegeschichte" - das klingt nicht unbedingt nach einem erfreulichen Theaterabend. Auf der Bühne der Kammerspiele breiten eine Frau und ein Mann das Scheitern ihrer Beziehung aus, beim Wiedersehen am Grab ihres einzigen Kindes. So weit, so düster.

Aber das Verflixte am Theater ist ja, dass es glücklich machen kann, auch wenn dafür eigentlich kein Anlass besteht. Weil die Geschichten wahr sind, komisch im Traurigen oder traurig trotz scheinbarer Sorglosigkeit - man muss nur eines: Hingehen. Sich auf die Stücke einlassen. Dafür braucht es selbst bei Theatergängern manchmal Überredungsgeschick, und insofern ist "Gift" ein gutes Beispiel für das Zusammenführen von Kunst und Publikum.

Das ist der Zweck der "Theatergemeinde München", und dass er nicht immer einfach zu erreichen ist, erläutert die Vorsitzende gerne am Ehedrama in den Kammerspielen. "Ein großartiges Stück, eines der besten in München in den letzten Jahren", sagt Sibylle Steinkohl. Trotzdem blieben viele Mitglieder zögerlich - bis sie es gesehen hatten.

Pressetermin in der Ludwigsvorstadt, die Münchner Theatergemeinde erfindet sich neu: Da ist man erstmal skeptisch, weil sie einer jener Vereine ist, die gleich bestimmte Assoziationen wecken, von bildungsbürgerlichem Kulturkanon, mäßig ausgeprägter Experimentierfreude.

Dazu passt schon die Adresse nicht. Goethestraße 24, der Verein residiert keineswegs in einem gediegenen Altbau, sondern zwischen überquellenden Gemüseauslagen und türkischen Lammbratereien.

Im ersten Stock sitzt neben Steinkohl der neue Geschäftsführer bei geschlossenen Fenstern ("da draußen ist richtig Großstadt") und erklärt, dass vieles in dem Verein anders werde. Nicht überstürzt natürlich, es stehe keine Revolution bevor, aber "wir sind da in einem Prozess", sagt Michael Grill.

Sichtbarer werden - ohne knallige Effekte

Das Wort "Gratwanderung" fällt mehrmals. Er zeigt bunte Flyer mit dem Aufdruck "Sie lieben Kultur", in gelb, rosa, königsblau. Sie sollen Aufmerksamkeit erregen, aber keine alten Mitglieder verschrecken - das trifft ganz gut den Tenor der gesamten Erneuerung, wenige Jahre vor dem 100.Geburtstag der Theatergemeinde: Der Kulturverein will wieder sichtbarer werden in der Stadt. Aber auf knallige Effekte wird verzichtet.

Neues Logo, neuer Name, mehr Präsenz im Internet und auf dem Markt der Kartenanbieter: Das sind die Kernpunkte der modernisierten "TheaGe", wie die 1919 ins Leben gerufene Gemeinde seit Jahresbeginn heißt.

Michael Grill, der lange Jahre als Journalist in München tätig war, will den Gedanken der Kunstvermittlung stärker in den Vordergrund rücken. Wobei die Rolle als Bindeglied bei der Gründung vieler deutscher Theatergemeinden vor rund 100 Jahren ja gerade das Entscheidende war: In einer Zeit, als Bildung und Kultur der Oberschicht vorbehalten waren und auf Vereinsbasis demokratisiert werden sollten.

Doch über die Jahrzehnte wurden, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, aus den Kulturermunterungs-Klubs reine Verteilstellen für vergünstigte Eintrittskarten, die den Mitgliedern vorbehalten waren. Wobei sich allein an der Zahl von 25.000 "Teilnehmern" in München, so nennt Sibylle Steinkohl den Kreis der Interessenten, die Bedeutung des Vereins für das kulturelle Leben ablesen lässt: 25.000 sozusagen verbriefte theater-, oper- und konzertaffine Bürger, das ist beachtlich.

Um das Potenzial besser auszuschöpfen und neue Mitglieder zu gewinnen, muss der Verein nach Ansicht des Geschäftsführers das Image des aufgeblähten Billettschalters loswerden. Es gehe weg von dem alten Bild "Wir verteilen Tickets" hin zu der Idee "Wir machen Euch Lust auf Kultur", sagt Grill.

Die Auffrischung betrifft das neue Logo, eine stilisierte Eintrittskarte mit Zackenrand in Signalrot, die an die Stelle eines altertümlichen Signets getreten ist. Grill hat außerdem das Monatsprogramm gefälliger und im Format schlanker gestaltet. Es soll neugierig machen auf Konzerte, Theater- und Opernaufführungen, für die die Theatergemeinde ein festes Kontingent an Karten abnimmt und ihren Mitgliedern ermäßigt ohne weitere Gebühren weiterverkauft.

Zusätzlich wird neuerdings im Wochenrhythmus eine Vorschau per Mail versandt - und im Anschreiben wollen Grill und Steinkohl bewusst auch für Neues werben: Für weniger eingängige, ernste Kost wie Martin Kusejs Inszenierung von "In Agonie" am Residenztheater zum Beispiel, oder für ungewohnte Spielstätten wie die Reithalle. "Wir wollen Berührungsängste abbauen", sagt Grill, der für die Wirtschaftszahlen des Vereins zuständig ist, dessen Gewinn nur gemeinnützigen Zwecken dienen darf.

"In der selben Lage wie viele Bühnen"

Zu bieder, verzopft, das seien die Vorbehalte jüngerer Leute, um die Grills neue "TheaGe" verstärkt werben will. Er hält dagegen: Der Verein sei ein Münchner "Karten- und Kulturservice", der mit den Empfehlungen des Monats- und Wochenprogramms Überblick verschaffe im riesigen Kulturangebot der Stadt und gerade Berufstätigen zeitsparend Karten verschaffe.

Durch Gemeinnützigkeit und "Bildungsauftrag" unterscheide man sich von rein gewinnorientierten Anbietern wie München Ticket. Ob die Frischzellenkur gelingt, ob mehr Junge an Bord geholt werden können und mehr Ältere den Besuch unkonventioneller Inszenierungen ausprobieren - Grill wagt keine Prognose. "Im Grunde sind wir in der selben Lage wie viele Bühnen. Auch dort geht es um Verjüngung und die Frage, wie sie gelingt."

Für Sibylle Steinkohl sind die besten Momente die, wenn ihr eine Ermunterung zum Experiment geglückt ist. So war das bei "Gift", als ihr ein älteres Theatergemeinde-Mitglied bei einem Treffen erzählte: "Ich bin da nur wegen Ihnen rein. Und es war wunderbar."

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SZ vom 29.07.2013/pak
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