Theater:Von Tieren und Menschen

Ein Stück zur neuen Nachbarschaft des Volkstheaters: "Unser Fleisch, unser Blut" von Jessica Glause. Die Regisseurin hat für ihre Stückentwicklung mit Menschen, die mit der Fleischproduktion zu tun haben, gesprochen.

Von Yvonne Poppek

Die Münchner Schlachthof Betriebs-GmbH in der Zenettistraße wirbt auf ihrer Homepage mit einem reibungslosen Ablauf der Produktionsketten. 70 Tiere pro Stunde könnten geschlachtet, 600 Schlachttiere täglich gekühlt werden. Um die Ecke, an der Tumblingerstraße, spielt dieses Schlachten und Kühlen keine Rolle. Da steht jetzt das Volkstheater, ein Kunstbetrieb. Doch als neuer Nachbar schaut man sich natürlich in der Gegend um, greift Themen auf, die, nun ja, irgendwie auch in der Luft liegen. "Unser Fleisch, unser Blut" heißt die Uraufführung, die am Eröffnungswochenende zu sehen sein wird und die sich mit Fleischproduktion und Konsum auseinandersetzt.

Das Konzept zu "Unser Fleisch, unser Blut" stammt von Jessica Glause, die auch Regie führt. Glause hat zuletzt an den Münchner Kammerspielen die "Bayerischen Suffragetten" verwirklicht, ein schillernder Abend über die frühe Frauenbewegung in Bayern. Und nun also Fleisch. Das liegt nicht gerade eng beisammen. Glause sieht allerdings eine Verbindung, die sie besonders interessiert: Über beide Themen werde nicht gesprochen. Zwar werde Fleisch konsumiert, aber über die Tötung der Tiere, auch über die Verantwortung, darüber werde geschwiegen.

Nun geht es an dem Abend nicht darum, die neuen Nachbarn gleich einmal in die Pfanne zu hauen. Sie wolle niemanden bekehren, sagt Glause. "Es ist kein Vegetarierstück." Vielmehr, sagt sie, habe sie an einem "Kaleidoskop verschiedener Stimmen" gearbeitet. Grundsätzlich sind die Arbeiten der Regisseurin mit viel Recherchearbeit verbunden, bei den "Bayerischen Suffragetten" habe sie sich zwei Jahre lang in das Thema eingearbeitet, erzählte sie damals. Für "Unser Fleisch, unser Blut" hat sie mit etwa 15 Menschen gesprochen, die mit der Fleischproduktion zu tun haben: Metzger, Tierärztin, Bäuerinnen, Koch. Die Standpunkte differieren naturgemäß.

Aus den Stimmen hat Glause einen fiktionalen Text entworfen. Dieser dient in den Proben als Ausgangsmaterial. Gemeinsam mit den fünf Schauspielern und dem Musiker Joe Masi wird dann die Inszenierung erarbeitet. Die Bäuerinnen, der Metzger, der Koch und die Tierärztin erhalten eine Stimme. Zugleich schlüpfen Mara Widman, Anne Stein, Jonathan Müller, Maral Kesharvarz und Jakob Immervoll auch in Tierrollen. "In Kinderbüchern lernen wir von Tieren, wie wir die Socken anziehen, wie wir richtig essen", sagt Glause. Dieses Konzept der Vermenschlichung wendet sie nun auch auf der Bühne an. Die Tiere treten dort in einen Dialog, die Überlegungen der menschlichen Figuren scheinen in Erzählminiaturen auf.

Seit Ende August wird für die Uraufführung geprobt - auf der neuen Probebühne. Das Haus sei "wahnsinnig toll ausgestattet", schwärmt Glause. Beim ersten Einnehmen der Räume habe sie jedoch noch gedacht: "Aha, hier sind noch keine Geister." Diese müssen erst noch einziehen. Das werden sie sicher nach und nach tun, jetzt, da es wirklich losgeht.

Unser Fleisch, unser Blut, Uraufführung, Premiere, Samstag, 16. Oktober, 20 Uhr, Volkstheater, Tumblingerstr. 29, Telefon: 523 46 55

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