Kritik:Alter Stoff in neuem Gewand

Kritik: Katharina Solzbacher spielt den Mackie Messer (Macheath) als platinblonden, androgyn-dandyhaften Gaunerboss.

Katharina Solzbacher spielt den Mackie Messer (Macheath) als platinblonden, androgyn-dandyhaften Gaunerboss.

(Foto: Martin Sigmund/Theater Regensburg)

Doppelte Premiere: In der neuen Zweitspielstätte des Theaters Regensburg geht erstmals eine große Produktion über die Bühne. Die Inszenierung von Brechts "Dreigroschenoper" gelingt, getragen hauptsächlich von überzeugenden Schauspielerinnen.

Von Udo Watter, Regensburg

Die junge, leicht frivol gekleidete Frau hätte sich den Schauplatz ihrer Hochzeitsfeier schon etwas geschmackvoller vorgestellt. "Das ist doch ein Pferdestall!", ruft Polly Peachum, gespielt von Zelal Kapçık, indigniert. "Aber ja", antwortet einer der vier Galgenvögel, die sie hierhergeführt haben. "Aber er ist dem heiligen Antonius gewidmet."

Falls irgendjemand im Regensburger Publikum gerade noch Gefahr gelaufen war, sich zu sehr mit dem Geschehen auf der Bühne zu identifizieren oder gar romantisch zu glotzen, so war das hiermit erledigt. Nicht im Herzen von Soho (wie im Stück) war man ja, sondern im Kasernenviertel von Regensburg: Das Theater im Antoniushaus, die neue zweite Spielstätte des Regensburger Theaters, ist am Samstag mit der Vorstellung der "Dreigroschenoper" eröffnet worden. Der erste Termin vor zwei Wochen musste noch wegen einer Corona-Erkrankung im Ensemble verschoben werden. Der zweite Anlauf klappte nun, auf dem Spielplan: der größte Theatererfolg der Weimarer Republik, Brechts freche Melange aus Gaunerstück, Operette, Boulevardkomödie und Sozialdrama. "Ein Stück, das knallt", hatte Klaus Kusenberg, Interimsintendant des Theaters Regenburg und Regisseur des Stücks, die Wahl begründet. "Wir ziehen in eine eher raue Gegend um", fügte er noch hinzu; da wollte man wohl das Publikum nicht mit einer experimentellen Uraufführung oder schwermütigem Tschechow überfordern.

"Es ist ein richtiges Theater geworden", freut sich der Intendant

In der Tat liegt der ehemalige, denkmalgeschützte Pfarrgemeindesaal aus den Fünfzigern in einer ziemlich schmucklosen Gegend östlich vom Hauptbahnhof. Die Umbauarbeiten für die neue, feste Ausweichbühne - die Sanierung der eigentlichen zweiten Spielstätte des Theaters im Velodrom zieht sich länger hin als erhofft (eventuell bis 2029) - waren nicht nur wegen der Pandemie eine Herausforderung. Die Kapazität des Saales, in dem früher viel Kabarett stattfand, wurde vergrößert. Mehr als 400 Zuschauer haben nun Platz, diese haben auf einer bis zur Empore ansteigende Tribüne gute Sicht, eine neue, moderne Licht- und Tonanlage ermöglicht ambitionierte Produktionen. "Es ist ein richtiges Theater geworden", freut sich Kusenberg.

Ein Theater, auf das die Regensburger auch richtig neugierig sind, zwei "Tage der offenen Tür" waren gut besucht, viele, die den zwiespältigen Charme des alten Antoniussaales kannten, zeigten sich angetan. Schön auch, dass ein Gasthaus im Gebäude integriert ist, an der Ostfassade gibt es zudem eine neue dekorative Fensterfront. Dass manches wie die Garderoben, Lagermöglichkeiten und Arbeitsräume suboptimal ist und auch ein Orchestergraben fehlt, müsse man "in Kauf nehmen", wie Kusenberg sagt.

Kritik: Katharina Solzbacher als Mackie Messer und Zelal Kapçık als Polly Peachum.

Katharina Solzbacher als Mackie Messer und Zelal Kapçık als Polly Peachum.

(Foto: Martin Sigmund/Theater Regensburg)

Entscheidend für die dauerhafte Akzeptanz ist natürlich ohnehin, was sich auf der Bühne abspielt, und da ist dem Regensburger Ensemble mit der "Dreigroschenoper" eine sehenswerte Inszenierung gelungen. Man kann sich ja immer fragen, ob die Kapitalismus- respektive Sozialkritik des Stückes etwas verstaubt ist und wie diese in die heutige Zeit zu übertragen ist. Der neue Ton, den Brecht bei der Uraufführung 1928 mit seinem Text setzte (mit Hilfe von Elisabeth Hauptmann), seine lakonische, böse poetische Sprache und gnadenlose Sicht auf die Welt, tragen aber in ihrer - vielleicht nur scheinbar so zynischen - Schärfe etwas Zeitloses, stets Aktuelles in sich. Zeitlos gut, das gilt auch für Kurt Weills Musik, die in Regensburg von einem Ensemble sieben versierter Musiker unter Leitung von Bettina Ostermeier vorgetragen wurde, die auf zwei Stahlgerüsten auf der Bühne spielten und ab und an kurz ins dramaturgische Geschehen eingebunden wurden.

Die tragenden weiblichen Rollen sind gut besetzt

Mit Zitaten aus der "Dreigroschenoper" bedruckte schwere Vorhänge gehörten ebenfalls zum Bühnenbild, sie spiegelten die teils mitleidlose, teils die Verhältnisse anklagende Sicht der Dinge wider. Katharina Solzbacher spielte den Mackie Messer (Macheath) als platinblonden, androgyn-dandyhaften Gaunerboss. Bei ihr hatten selbst Sätze wie "Halt die Schnauze!" eine beiläufig-kühle Eleganz. Charmant und mit weicher Altstimme gesegnet, wirkte Solzbacher freilich in manchen Momenten ein bisschen zu beiläufig. Das zynische Charisma des Räubers und Mörders Macheath, der eigentlich Großbürger werden will, hätte sie jedenfalls noch stärker entfalten können.

Zelal Kapçık agierte als Polly Peachum überzeugend, und obwohl nicht mit der klangschönsten Singstimme ausgestattet, meisterte sie ihre sängerischen Auftritte wie die Ballade von der "Seeräuber-Jenny" packend. Überhaupt waren die tragenden weiblichen Rollen gut besetzt: Verena Maria Bauer als nuttig-attraktive Spelunken-Jenny, aber auch Franziska Sörensen als schön ordinäre Frau Peachum. Ein bisschen ab fiel dagegen Gerhard Hermann als Jonathan Jeremiah Peachum, der in seinem schlecht sitzenden Anzug zu harmlos war und die intrigant-moralfreie Ausstrahlung des bürgerlichen Bettlerkönigs etwas schuldig blieb. Auch Kristóf Gellén als Polizeichef Tiger Brown agierte blass. Großartig dagegen der Auftritt von Esther Baar als eifersüchtige Lucy, die kurzfristig eingesprungen war und mit Temperament und großartiger Stimme viel Schwung in die Inszenierung brachte. Macheaths Diebesbande spielten mit quasi diebischer Freude Guido Wachter, David Markandeya Campling (beide auch Moritatensänger), Philipp Quest und Gregor Müller.

Wenn auch nicht alle Szenen fließend gerieten, so war es generell eine gelungene Inszenierung, die überdies mit einigen schönen Choreografien (verantwortlich Tamás Mester) aufwartete. Hätte vielleicht auch dem heiligen Antonius gefallen.

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