Theaterkritik:Familienaufstellung

Willkommen bei den Hartmanns

Neuzugang im Hause Hartmann: Derek Nowak als nigerianischer Asylbewerber Diallo (Mitte) bekommt einiges zu tun, bis zusammenfindet, was zusammengehört.

(Foto: Alvise Predieri)

"Willkommen bei den Hartmanns" hat in der Komödie im Bayerischen Hof Premiere. Eine gelungene Transformation des Kinoerfolgs von 2016 für die Theaterbühne.

Von Barbara Hordych, München

Ein wenig verloren fühlt man sich schon in dem rotplüschigen Ambiente der Komödie im Bayerischen Hof: 143 Zuschauer im 570-Stühle-Saal bei der Premiere der Adaption des Kinoerfolgs "Willkommen bei den Hartmanns", Simon Verhoevens satirischer Rundumschlag zur deutschen "Flüchtlingskrise". Da ist es nur gut, dass Jochen Busses vor Beginn eingespielte Ansage dem wackeren Häuflein Besucher Mut macht und einen entspannten Abend wünscht: Noch belegten alle wissenschaftlichen Studien wie beispielsweise die des Fraunhofer-Instituts, wie verschwindend der Anteil der Ansteckungen in Theatersälen sei. Und der Rheinländer René Heinersdorff, der nach zähem Ringen den monatelang wegen Missbrauchsvorwürfen in Kritik stehenden Theaterchef Thomas Pekny abgelöst hat, bemerkte dazu in einem Vorab-Telefonat sarkastisch: "Es ist ja nicht so, dass wegen einer Premiere in der Komödie abends die U-Bahnen vollgestopft wären". Trotzdem, und das bekomme er als Theaterchef diverser Boulevardbühnen in Köln, Düsseldorf und nun auch in München, verstärkt zu spüren: "Die Vorstellungen dürfen stattfinden - das Publikum geht aber nicht hin, weil es durch die vielen Warnungen verunsichert ist".

Damit wäre der Brückenschlag zu der Aufführung schon vollzogen: Denn verunsichert, ja hochgradig "verwirrt", sind diese Hartmanns tatsächlich auch. Das stellt deren Neuzugang, der von Derek Nowak gespielte nigerianische Asylbewerber Diallo, mit dem klaren Blick des Außenstehenden schnell fest. Zur Familie gehören allen voran die wunderbar sympathisch aufspielende Saskia Vester als Geli Hartmann, einer Lehrerin, die nach ihrer Pensionierung Halt eher an Weißweinflaschen findet als an ihrem Ehemann, dem Chirurgen Richard (Ralf Komorr). Der ist trotz seiner anfänglichen Grundskepsis gegenüber dem Flüchtling eigentlich ganz in Ordnung, wie Diallo feststellt, aber "irgendetwas stimmt mit seinem Gesicht nicht, das wird immer jünger". Er werde alt, auch wenn er sich mit Botox-Spritzen "in eine jüngere Ausgabe seiner selbst, mit Gesichtslähmung" verwandle, wirft ihm seine Frau vor.

Eine eher unheilige Familie, in der jeder auf seine eigene Weise einsam ist

Komplettiert wird die gutsituierte Familie, die von einer Althippie-Freundin (Esther Kuhn) als "sowas von Bogenhausen" bezeichnet wird, von zwei erwachsenen Kindern, die sich ebenfalls in heiklen Lebenssituationen befinden: Da sind die dauerstudierende Tochter Sophie (sehr liebenswert: Julia Gröbl) mit Faible für "Psycho"-Kerle und ihr Bruder Philipp (Thomas Stegherr), ein Burn-Out-gefährdeter Wirtschaftsanwalt, der mitten in einer "schmutzigen Scheidung" und einem großen Deal in Shanghai steckt. Blöd nur, dass sein 15-jähriger Sohn Basti gerade jetzt Scherereien in der Schule macht. Dieser aufmüpfige Enkel wird in der Inszenierung von Peter M. Preissler nie sichtbar, nur hörbar: Jörg-Tim Wilhelm schwebt mit seinem Schlagzeug über den Darstellern auf einem imaginären Dachboden und untermalt am Schlagzeug das Geschehen. Ein schöner, aber stellenweise etwas überstrapazierter Regieeinfall, wenn die Musik beinahe den pointiert in Szene gesetzten Schlagabtausch übertönt.

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Wie gut, dass Asylbewerber Diallo (Derek Nowak) ein Zimmermann ist. Als solcher kann er nicht nur Vogelhäuschen, sondern auch die Familie von Angelika (Saskia Vester) reparieren.

(Foto: B. Lindenthaler/Imago Images)

Es ist also eher eine unheilige Familie, in die Diallo da hineingerät. Aber auch wenn seine Diagnosen eher schlicht gestrickt sind - so erscheint ihm Sophie mit ihren 31 Jahren "schon alt", und er fragt sie, warum sie keine Kinder habe - bringt er die Gemütsverfassung seiner Gastfamilie auf den Punkt. Jeder von ihnen sei "einsam". Frei nach Tolstois Worten: "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich."

Wer die Filmvorlage kennt und noch dazu um die Gesetze des Boulevardtheaters weiß, ahnt selbstverständlich, dass sich trotz manch harschen Wortwechsels am Ende alles und jede(r) harmonisch zu allem fügt - ist doch Flüchtling Diallo sogar Zimmermann. Der Weg dahin ist in John von Düffels Bühnenfassung aber eine starke Ensembleleistung, die es im Laufe des Abends tatsächlich schafft, die eingangs erwähnten Umstände aufs Vergnüglichste vergessen zu lassen. Die werden einem erst wieder bewusst, wenn man nach der Vorstellung hinaus in den Schneeregen tritt: Ein Lokal, in dem man den Abend ausklingen lassen könnte, hat nicht mehr geöffnet.

Willkommen bei den Hartmanns, Komödie im Bayerischen Hof, bis 9. Januar 2022

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