Ein Theaterstück über den Klimawandel„Ich schreie nicht, aber ich sollte“

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Uraufführung von „Countdown mit Beharrungsvermögen“ im „theater...und sofort“.
Uraufführung von „Countdown mit Beharrungsvermögen“ im „theater...und sofort“. (Foto: Jan Roeder)

Christian Kroos’ „Countdown mit Beharrungsvermögen“ mischt Wortwitz mit philosophischen Momenten. Ein groteskes Theaterstück über den Klimawandel, das unsere kollektive Untätigkeit auf den Punkt bringt.

Kritik von Anna Grimbs

„Zehn“, eine Frau ist im Videocall stummgeschaltet, ihr Gegenüber gestikuliert hilflos. „Neun, acht …“ Noch lacht man über die irren Assoziationen und Wortspiele der Figuren. Spätestens bei „eins“ weicht dem Lächeln ein Stirnrunzeln. Bei „null“ versinkt alles in Dunkelheit.

In „Countdown mit Beharrungsvermögen“ im Theater … und sofort verwandelt Regisseur Christian Kroos den Klimawandel in ein groteskes Spiel mit der Zeit – absurd, komisch und schließlich erschreckend ernst. Zwischen instabilen Liegestühlen, die an Galgen erinnern, viel Warteschleifenmusik und zwei Aperol Spritz rasen die Gäste des „Grande Hotel Excelsior Palais Esplanade“ metaphorisch dem Abgrund entgegen.

Heiko Dietz (rechts) schlüpft in skurrile Rollen, etwa in die eines Rentners, der nicht nur sein Eis an eine Möwe verliert, sondern auch noch vom instabilen Liegestuhl plumpst. Beobachtet wird er dabei von Daisy, gespielt von Lisa Bales (hinten links) und Rita, verkörpert durch Conny Krause (hinten rechts).
Heiko Dietz (rechts) schlüpft in skurrile Rollen, etwa in die eines Rentners, der nicht nur sein Eis an eine Möwe verliert, sondern auch noch vom instabilen Liegestuhl plumpst. Beobachtet wird er dabei von Daisy, gespielt von Lisa Bales (hinten links) und Rita, verkörpert durch Conny Krause (hinten rechts). (Foto: Jan Roeder)

Die drei Darsteller Heiko Dietz, Lisa Bales und Conny Krause schlüpfen im Laufe des Stücks in beeindruckend viele Rollen, und zwar im wörtlichen Sinne. Schlampig ziehen sie sich Kleidung über ihr ursprüngliches Kostüm. Doch nicht die Garderobe, sondern ihre schauspielerische Leistung macht den Rollenwechsel aus. Besonders Heiko Dietz zeigt eindrücklich, wie Stimme und Gestik einen Menschen verwandeln können.

So wandeln sich die Rollen: vom unfähigen Hotelbesitzer über Gäste, die sich ausgiebig mit Unsinnigkeiten und Banalitäten beschäftigen, bis hin zur Produktionsdramaturgin, die sich bereits im Vorspiel für das misslungene Stück entschuldigt.

Anfangs lacht das Publikum noch, über Sprachwitz, absurde Szenen, die Überzeichnung. Doch je weiter das Stück fortschreitet, desto leiser wird das Lachen. Die Komik wandelt sich in Nachdenklichkeit. Darunter ein Satz, der hängen bleibt: „Ich schreie nicht, aber ich sollte.“ Dieses Zitat bringt die Lage der jungen Generation auf den Punkt. Verkörpert wird sie durch ein Zimmermädchen, das weiß, was geschieht, aber überhört wird. Mit jedem Akt läuft der Countdown weiter. Aber es scheint immer Wichtigeres in der Gegenwart zu geben als die nicht fassbare Bedrohung in der Zukunft.

Im Hintergrund prangt schwarz auf weiß der Satz: „Ich schreie nicht, aber ich sollte“, während Lisa Bales in der Rolle eines Zimmermädchens einen eindringlichen Monolog über die Zerstörung der Welt hält.
Im Hintergrund prangt schwarz auf weiß der Satz: „Ich schreie nicht, aber ich sollte“, während Lisa Bales in der Rolle eines Zimmermädchens einen eindringlichen Monolog über die Zerstörung der Welt hält. (Foto: Jan Roeder)

Das Stück zeigt, was sein Titel verspricht: Beharrungsvermögen. In der Physik bezeichnet der Begriff die Trägheit eines Körpers, der seinen Zustand beibehält, solange keine Kraft von außen wirkt. Auf der Bühne wird daraus ein treffendes Sinnbild für unsere Gesellschaft – unbeweglich, obwohl sie auf den Abgrund zusteuert.

Countdown mit Beharrungsvermögen; Theater … und sofort, Hinterbärenbadstraße 2, 81373 München; nächste Termine: Do., 9.10, 20 Uhr; Fr.,10.10, 20 Uhr, Sa.,11.19, 20 Uhr; Tickets und weitere Informationen unter: www.undsofort.de

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