Theater:Anarchie und Menschlichkeit

Theater: "Soll ich's zerreißen? Ich kann's nicht!" In Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" rettet die Magd Grusche (Christina Matschoss) das Kind der verhassten Gouverneurin, hier in der aktuellen Inszenierung des Theaters Impuls.

"Soll ich's zerreißen? Ich kann's nicht!" In Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" rettet die Magd Grusche (Christina Matschoss) das Kind der verhassten Gouverneurin, hier in der aktuellen Inszenierung des Theaters Impuls.

(Foto: Theater Impuls)

Moralinsauer oder raffiniert? Bertolt Brecht bleibt ein Dauerbrenner. Andreas Wiedermann und sein "Theater Impuls" nehmen sich den "Kaukasischen Kreidekreis" vor - nah am Original, aber in gekürzter Fassung.

Von Jutta Czeguhn

Mit Brecht bin ich durch - Solche Verkündungen werden gerne mit einem abgeklärt abgekämpften Ton unterlegt, so als habe da jemand unter schlimmsten Entbehrungen die Wüste Gobi durchwandert. Alles schon x-mal gesehen, erlebt, verstanden. Aber was eigentlich verstanden?

"An die meisten Autoren, die wir während unserer Schulzeit kennenlernen mussten, erinnern wir uns mit Schrecken. Gegen allergische Automatismen helfen nur die Antihistaminika der Re-Lektüre", sagt Andreas Wiedermann. Und Brecht, der ist da für ihn ein Paradefall: "Seine Texte sind ja viel raffinierter, interessanter und uneindeutiger, als uns die Kollegstufe weismachen wollte. Dieser Autor ist ja im Grunde der Anti-Pädagoge schlechthin, eigentlich Gift für den Lehrbetrieb." Wer etwa Brechts "Dreigroschenoper" als Schullektüre vorschlage, sei entweder Anarchist oder habe das extrem subversive Potenzial dieser Texte nicht verstanden.

"Das Theater Impuls denkt und agiert gerne etwas anti-zyklisch"

Mit seinem "Theater Impuls" hat sich Wiedermann aber nicht die hitlastige Ballade von Mackie Messer vorgenommen, sondern den "Kaukasische Kreidekreis", jene berühmte Parabel über Krieg, Exil, und (Un-)Menschlichkeit. Zu sehen ist diese Inszenierung nun am Münchner Teamtheater, Premiere ist am Donnerstag, 13. Januar. Für Wiedermann, der am Salzburger Mozarteum Regie studiert und unter anderen bei Peter Zadek, Andrea Breth und Thomas Ostermeier assistiert hat, gab es viele Gründe, hier zuzugreifen. "Das Theater Impuls denkt und agiert gerne etwas anti-zyklisch. Wenn alles schreit: ,Links marsch!', spielen wir gerne mal Ernst Jüngers ,In Stahlgewittern'." Wenn also Brecht momentan als eher moralinsauer verrufen sei, kümmere man sich gerade um diesen Autor. Und was die Moralinsäure angehe, da meint der Regisseur: "Jede Radio-Sendung ist ja mittlerweile nichts anderes als eine Unterweisung im Fach ,Wie-werde-ich-ein-besseres-und-nachhaltigeres-und-korrekt-agierendes-Individuum'."

Aus seiner Sicht ist der "Kreidekreis" über all die Zeit ein beweglicher Text geblieben. Das Theater Impuls wird laut Wiedermann, nach Vorgabe des Verlags sehr nahe am Brechtschen Original bleiben. Allerdings habe man Kürzungen vorgenommen, die Spieldauer betrage, nicht wie im Original vier Stunden, sondern 110 Minuten. Und statt ein riesiges Figuren-Arsenal aufzufahren, sei die Fassung für elf Spielerinnen und Spieler machbar. Einen etwas zeitgemäßeren Charakter gebe der Inszenierung auch die Musik, denn Clemens Nicol, Arrangeur, Musiker und Sänger des Ensembles, habe Paul Dessaus eigens für das Stück komponierte Lieder neu bearbeitet.

Theater: Aufsässiger Geist, Scharlatan und Moralist: Urs Klebe als Armeleuterichter Azdak, im Hintergrund David Thun als Panzerreiter.

Aufsässiger Geist, Scharlatan und Moralist: Urs Klebe als Armeleuterichter Azdak, im Hintergrund David Thun als Panzerreiter.

(Foto: Bernd Vogel/Theater Impuls)

Es war Helene Weigel höchstselbst, die das Lied der Magd Grusche 1954 sang, als Bert Brecht mit seinem Berliner Ensemble in das Theater am Schiffbauerdamm einzog, und der Kreidekreis Weltpremiere feierte. Brecht erzählt drei ineinander verschränkte Geschichten: die des Landes, eines fiktiven Kaukasien, die der Magd Grusche, die das allein gelassene Kind der in den Bürgerkriegswirren geflohenen Gouverneursfrau an sich nimmt, und die des von den Rebellen eingesetzten Dorfrichters Azdak. Der wird, angelehnt an König Salomons Urteil im Alten Testament, im letzten Bild des Stückes, in der berühmten "Kreidekreis-Prüfung", Grusche das Kind zusprechen. Entgegen geltendem Recht, viel mehr, wie Andreas Wiedermann sagt, geleitet von einer "überzeitlichen, subversiven, aber doch zutiefst menschlichen Vorstellung von Ethik".

Ein Scharlatan als Menschenfreund

Schon damals stieß sich die Theaterkritik an Brechts Sprache, der etwas Didaktisches anhaftete, am ästhetischen Zeigefinger eines Erzählers und dessen Unterbrechungen und Kommentierungen. "Inhaltlich stellt Brecht allerdings Fragen, die heute aktueller denn je sind", glaubt Regisseur Wiedermann. Der "Kreidekreis" fordere Auskunft, wem eigentlich das gesamtwirtschaftliche Vermögen gehören soll. Und liefere die Antwort: "Denen, die für es gut sind." Das sei, so Wiedermann, "nicht unbedingt sozialistisch, sondern eher sophisticated". Ihm scheinen Brechts Charaktere gerade im Kreidekreis viel ambivalenter und schizoider zu agieren als viele Weltverbesserungsabziehbilder in heutigen Stücken oder Romanen. Der "weise", aber dauerbesoffene Richter Azdak beispielsweise sei beileibe kein Menschenfreund, sondern ein von Partisanen eingesetzter Kleinkrimineller. Brecht selbst habe ja ohnehin eher eine neue Definition von Moral gesucht. "Gerade für unser heutiges Neo-Biedermeier scheint mir Brechts Unterscheidung zwischen ,Recht' und ,Gerechtigkeit' schon sehr wichtig."

"Der Kaukasische Kreidekreis", Theater Impuls, Premiere, 13. Januar, 19.30 Uhr, im Teamtheater Tankstelle, Am Einlaß 4, weitere Vorstellungen am 14., 15., 20., 21. und 22. Januar. Karten unter www.teamtheater.de oder Telefon 2604333.

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