Süddeutsche Zeitung

Theater:Menschen verführen

Der in Ingolstadt geborene Schauspieler und Chansonnier Michael Heltau bezaubert sein Publikum seit den Fünfzigerjahren. Das Bayerische Fernsehen sendet einen Mitschnitt seines Bühnenabschieds

Von Klaus Kalchschmid

Ende 20 war Michael Heltau, als er in Arthur Schnitzlers "Der einsame Weg" an der Seite der 25 Jahre alten Nicole Heesters im Theater an der Josefstadt in Wien nachhaltig auf sich aufmerksam machte. Da spielte er einen schüchtern beobachtenden und doch selbstbewusst mutigen jungen Mann. Eine TV-Übertragung der Inszenierung von 1962 bewahrt das bis heute, und Heltau erzählt, als wäre es gestern gewesen: "Das hat eingeschlagen wie eine Bombe, die Leute waren auf einmal süchtig nach Schnitzler! Auch für mich war das ein großer Erfolg, und ich bekam die großen Shakespeare-Rollen wie Troilus in 'Troilus und Cressida' oder Orlando in 'Wie es euch gefällt'. Ich hab' diese jungen Burschen moderner gespielt als meine verehrten Kollegen vor mir, Oscar Werner ausgenommen, der Hamlet an der Josefstadt war, während ich ihn dann am Volkstheater gespielt hab."

Auch Schnitzlers "Liebelei" gibt es aus der Josefstadt auf DVD, da hat der 35-Jährige schon denselben Humor und eine Ausstrahlung wie der später berühmte Schauspieler. In einer herrlich humoristischen Verfilmung des "Reigen" durch Otto Schenk spielt er 1973 an der Seite von Erika Pluhar einen wunderbar verhuschten, etwas trotteligen "jungen Dichter". Da-mals, Anfang der Siebziger- und in den Achtzigerjahren war Heltau ein großer Schnitzler-, Hofmannsthal- und Shakespeare-Darsteller am Burgtheater: "Wissen Sie, mit Schnitzler war es wie mit der Musik, das musste ich mir nicht erarbeiten, das habe ich mir 'erliebt'!" Deshalb sagte wohl Heinrich Schnitzler, der seinerzeit "Der einsame Weg" und "Liebelei" seines Vaters inszenierte, zum jungen Heltau einen einzigen Satz: "Was soll ich Sie denn inszenieren, Sie sind doch damit getauft."

Geboren wurde Heltau als Michael Heribert Huber 1933 in Ingolstadt als Kind junger Eltern, wuchs bei den bäuerlichen Urgroßeltern auf und blieb dort bis zum Abitur, bevor er zum Schauspielstudium nach Wien ging. Heltau schwärmt: "Es war ein ganz großes Glück, dass ich da so aufgehoben und behütet war, 24 Stunden am Tag. Und sie werden es nicht glauben, aber wie ich damals die Karfreitags- und Auferstehungsliturgie erlebte, das ist vielleicht der Schlüssel zu meinem Theaterverständnis!" Unvergessen ist dem heute 87-Jährige, wie er als Gymnasiast die Süddeutsche Zeitung in einem Hotel, in dem ausschließlich Amerikaner wohnten, lesen durfte: "Vier Seiten waren das damals nur, aber auf jeder Seite gab es etwas, das mit Malerei, Musik oder Theater irgendwo auf der Welt zu tun hatte. Da las ich den Namen Giraudoux zum ersten Mal. Und bei der Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar in Wien habe ich dann die Lehrer mit dem Epilog des Gärtners aus seiner ,Elektra' verblüfft. Der war abgedruckt, und ich hab' ihn mir ausschneiden dürfen." Erste Sporen verdiente sich Heltau in Würzburg und am Residenztheater in München von 1954 bis 1958. Mit gerade mal 22, spielte Michael Heltau auch im Remake des berühmten Stummfilms "Der letzte Mann" an der Seite von Romy Schneider, Hans Albers und Joachim Fuchsberger. Karriere machte Heltau in Wien, bei den Salzburger Festspielen, in Berlin und Hamburg. Erst 1982 kehrte er für eine skandalumwitterte "Othello"-Inszenierung ans Resi zurück und musste für eine eigenwillige Darstellung des Jago einige Buhs einstecken.

Mit nicht nachlassendem Charme erzählt Heltau eine schöne Geschichte nach der anderen: von Regisseuren, die ihn geprägt haben, wie Erwin Piscator, Boleslaw Barlog oder Giorgio Strehler; von einer Schauspiellegende wie Paula Wessely oder der 92-jährigen Christa Ludwig, und er versichert: "Wissen Sie, ich habe in meinem Leben wenig geplant, aber ich war immer ein guter Arbeiter und wusste stets, was ich nicht wollte. Ich habe nach dem Motto gelebt: Glück muss man möglich machen und keine Angst davor haben."

Seit mehr als 35 Jahren versteht sich Heltau als Schauspieler wie als Musiker und war die deutsche Stimme der Chansons von Jacques Brel: "Ich sag immer, dass Schauspielerei und Singen mein Stand- und Spielbein waren, ich konnte und wollte das eine nicht ohne das andere. Wenn ich mit ein paar Musikern auf der Bühne stand oder als Gastgeber im ,Liedercircus' auftrat, dann spürte ich etwas von einem Eros. Ich wollte die Menschen immer dazu verführen, etwas in sich zu entdecken, was sie noch nicht von sich kannten." Fast alle seiner 35 Programme als Chansonnier hat Michael Heltau mit Loek Huismann zusammengestellt, dem Mann, mit dem er, seit er 20 ist, bis zu dessen Tod im Jahr 2017 zusammenlebte.

Heltau nannte seinen Bühnenabschied im Januar 2018 im Burgtheater mit Wiener Liedern, Chansons und populären Operettenschlagern, den das Bayerische Fernsehen in einer gekürzten Fassung sendet, ursprünglich "Einen blauen Ballon möcht' ich haben". Der Satz entstammt einer Prosa-Skizze des Wiener Dichters Peter Altenberg. Heltau fasst sie zusammen: "Ein reiches Mäderl bekommt zweimal einen blauen Luftballon und lässt ihn immer wieder in den Himmel hochsteigen, bis es den dritten Ballon endlich einem armen Mäderl schenkt. Das nimmt ihn als Schatz nach Hause und schaut ihn immer wieder an, bevor er langsam an der Decke verschrumpelt und schließlich 'tot herabfiel als ein schwarzes Säckchen'. Da sagt das Mäderl traurig: 'Ach hätt' ich ihn doch auslassen!'" Heltau wehmütig: "Is das nicht eine schöne G'schicht?"

Michael Heltau: "Wenn sich alles dreht", Ostermontag, 13. April, 23.30 Uhr, BR-Fernsehen

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SZ vom 09.04.2020
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