Theater:Magische Tür zum Miteinander

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Ensemblearbeit geht vor Solodarbietungen: Die Schüler erarbeiten gemeinsam mit Lehrern und Theaterpädagogen ein Stück. Jede Idee zählt. Die Proben sind in der Endphase - am Montag präsentiert die 5e des Thomas-Mann-Gymnasiums auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters ihren Märchen-Rap. (Foto: Severin Vogl/oh)

"Betreten verboten" ist eines von vier Stücken, das Schüler zusammen mit Deutschlehrern und Theaterprofis inszenieren. Zehn Jahre gibt es das Projekt "Tusch", das im Schulalltag die Bühne in den Mittelpunkt rückt - und vor allem den Teamgeist

Von Julian Raff

Eine Doppelstunde, in der kein Wort öfter fällt als "Konzentration", hat kaum das Zeug zum spaßigen Höhepunkt des Schultags - und doch schaffen es Stephan Petry, sein Lehrerkollege Akim Akodad und Elke Bauer im Thomas-Mann-Gymnasium (TMG), ihre Schützlinge nicht nur einen halben Vormittag lang auf Trab zu halten, sondern auch in entspannter Laune. Unter Anleitung der beiden Deutschlehrer und der Theaterpädagogin proben 25 Mädchen und Jungs der 5e ihr gemeinsam erarbeitetes Stück "Betreten verboten". Sie lernen dabei viel über die Tücken einer komplexen Choreografie, vor allem aber darüber, dass auf der Bühne jedes Detail, jeder Blick, jeder Schlenker in der Bewegung zählt. Die Leute sollen ja nicht mit einem "ganz Nett" nach Hause gehen, wo es auch ein "Super" hätte sein können, erklärt Akodad den jungen Schauspielern, bevor es an die Durchlaufprobe geht. Kein Ratsch also, kein Herumgezupfe an den Klamotten - und immer den Augenkontakt zum Publikum halten.

Das Stück, eine Rap- und Beatbox-Performance zu Märchenmotiven mit Filmeinspielung, kommt am Montag auf die Studiobühne des Gärtnerplatztheaters, als eine von vier Schülerproduktionen mit insgesamt 100 Akteuren. Mit der Abschlusspräsentation feiert das Projekt "Tusch" (Theater und Schule) zugleich sein zehnjähriges Bestehen in München. Eine zweite Präsentation mit drei weiteren Schülergruppen schließt Mitte Juli die zweijährige Partnerschaftsrunde 2018/19 ab. Gut 30 Kooperationen zwischen Schulen und Bühnen mit über 12 000 jungen Teilnehmern hat Tusch, finanziert von Schulreferat (RBS) und Kultusministerium, bisher gestiftet. Derzeit arbeiten die Kammerspiele mit dem TMG zusammen, das Gärtnerplatztheater mit der Grundschule an der Stuntzstraße und dem staatlichen Max-Joseph-Stift. Das Metropoltheater entwickelt ein Projekt mit der Anita-Augspurg-Berufsoberschule, die Schauburg hat sich mit der Grundschule am Dom-Pedro-Platz zusammengetan, das junge Resi mit der Fridtjof-Nansen-Realschule. Neuland betreten das "Tatwort"-Improvisationstheater und die Rainer-Werner-Fassbinder-Fachoberschule. Passenderweise wird dort gemeinsam über Fassbinder-Filmcharaktere improvisiert, die den meisten Jugendlichen auch nicht viel näher stehen dürften als die Klassiker des 18. und 19. Jahrhunderts.

Um Exkurse in Film- oder Theatergeschichte geht es bei Tusch nur am Rande. Oberstufenprojekte arbeiten sich zwar auch mal textlich am Faust ab, der liefert aber höchstens Collagematerial für selbst Geschriebenes, Konzipiertes und Arrangiertes. Von der ersten Idee bis zur Aufführung liegt ansonsten alles in der Hand der Schüler, Lehrer und Theaterprofis. Wenn es eine künstlerische Direktive gibt, dann höchstens die, dass Ensemblearbeit vor Solodarbietungen geht. Kein Problem, findet Tusch-Leiterin Raphaela van Bommel, schließlich werden ja auch klassische Monologe in heutiger Regie gerne vielstimmig zerlegt. An Zeitaufwand und Engagement verlangt Tusch den Partnerschulen insgesamt schon einiges ab: Zu den "Commitments" der Zusammenarbeit gehört, dass jeder Schüler, auch außerhalb der Projektklassen, einmal eine Theaterinszenierung besucht und idealerweise selbst auf der Bühne steht. Letzteres kann van Bommel natürlich nicht immer streng einfordern.

Das Kriterium einer facettenreichen Theaterlandschaft erfüllt München dagegen leicht, ebenso wie acht weitere Tusch-Spielorte in Deutschland. Den Anfang machte 1998 Berlin. Von dort aus brachte Theaterpädagogin Elke Bauer die Idee Ende der 2000er Jahre mit, zuerst in die Münchner Kultusbürokratie, dann in ihre Wirkungsstätte, die Kammerspiele und aktuell eben ins TMG, wo ohnehin erst kürzlich Theaterklassen in der Unterstufe entstanden. Direkte Anknüpfungspunkte zum Kammerspiel-Programm finden sich für Zehnjährige nicht so leicht, wie Bauer einräumt. Macht nichts, eher bewegungs- als textlastige Bühnenspektakel kommen bei den jüngeren Tusch-Teilnehmern umso besser an. Entsprechend sportlich laufen die Vorbereitungen zur Probe ab: Ganz wie die Profis haben die Fünftklässler gelernt, ihre Bühnenschritte in fünf Tempostufen einzuteilen und auf ein "Freeze!" anzuhalten, auch in schwieriger Position. Käme der Drill als klassischer Sportunterricht daher, mit Trillerpfeife und Turnhallenmief, Kinder, Eltern und fortschrittliche Pädagogen wie Petry und Akodad würden den Kopf schütteln. Ganz von selbst leuchtet hier dagegen allen ein, dass man im Team präzise aufeinander eingehen muss, um sein Publikum zu erobern. Klare Handlungsmuster also, aber keine Denkanweisungen, schon gar nicht für die Zuschauer: "Betreten verboten" erzählt in Rhythmus, Tanz und Sprechgesang von Schülern, die sich verbotenerweise auf einer Baustelle im Schulkeller herumtreiben und von dort durch eine magische Tür in die Märchenwelt mit Wolf, Zwergen und Rotkäppchen fallen. Ob sie wieder zurückfinden, bleibt am Ende offen.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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