Theater:Jeder lebt für sich allein

Theater: Anders sein heißt anders angesehen werden: In Nicolas Charaux' Version von "Das Schloss" ist jeder Schauspieler mal Hauptfigur K. - weil jeder K. sein könnte.

Anders sein heißt anders angesehen werden: In Nicolas Charaux' Version von "Das Schloss" ist jeder Schauspieler mal Hauptfigur K. - weil jeder K. sein könnte.

(Foto: Arno Declair)

In seinem Roman "Das Schloss" lässt Franz Kafka die Angst vor dem Ausgeschlossensein real werden. Am Volkstheater zeigt Regisseur Nicolas Charaux, wohin einen der Wunsch nach Akzeptanz treiben kann.

Von Sarah Bioly

Welch Alptraum: Ein Mensch zieht in ein anderes Dorf und möchte Teil der Gesellschaft werden. Die Bewohner aber beäugen ihn kritisch und verwehren ihm den Zugang. Vielleicht, denkt sich dieser Mensch in seiner Not, finde ich Anschluss, wenn ich für jemanden ausgebe, der ich nicht bin?

Auch damit scheitert er. "Das Schloss" von Franz Kafka greift eine fundamentale Angst auf: die Angst, nicht akzeptiert zu werden, ausgeschlossen zu sein. Der französische Regisseur Nicolas Charaux, der zuletzt das Stück "Über meine Leiche" am Burgtheater inszenierte und der Dramaturg Nikolai Ulbricht haben Kafkas abstrakten Roman in ein Theaterstück für das Volkstheater umgearbeitet. Eine von den Schauspielern rotierbare Bühne, die sich wie eine 3D-Postkarte entfalten lässt, wird zum Schauplatz der Geschichte.

Und die geht so: K. kommt als angeblicher Landvermesser in ein Dorf. Über diesem erhebt sich ein Schloss, in Wahrheit ein riesiger behördlicher Apparat, dem die Bewohner blinden Gehorsam entgegenbringen. Wer den verweigert, verspielt seinen Platz in der Gesellschaft. Es ist eine Welt des Misstrauens und der Angst, in der jeder ohne wirkliche Gründe zum Außenseiter werden kann. Diese Willkür des Ausschließens will Charaux' dadurch deutlich machen, dass in seiner Inszenierung keiner der acht Schauspieler eine feste Rolle spielt. Sie sind vielmehr ein Schwarm an Wesen als konkrete Figuren. Jeder ist K., weil jeder K. sein könnte.

Nicolas Charaux interessiert sich außerdem für die verschiedenen Überzeugungen der Figuren: Für K. ist es unbegreiflich, wie das Schloss eine derartige Macht über die Dorfbewohner besitzen kann ohne jemals eine Strafe verhängt zu haben. Für die Dorfbewohner ist es unbegreiflich, warum K. sich nicht fügen will. Der einzige Weg, Anerkennung zu erlangen, scheint für K. ins Innere des Schlosses zu führen. Es bricht ein Kampf zwischen K. und den Beamten aus, der zugleich auch ein Kampf um die Wahrheit und Wahrnehmung ist.

Das Schloss, Regie: Nicolas Charaux, Premiere Do., 26., Jan., 19.30 Uhr, Volkstheater, Brienner Straße 50, 089 / 523 46 55

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