Theater:Der graue Nebel im Kopf

- Eric (Adrian Castilla)fliegt in "Jetlag", dem ersten Theaterstück des österreichischen Autors Roland Hagenberg, immer wieder von Tokio nach München, um sich um seine demente Mutter zu kümmern. Die wird auf der BÜhne die meiste Zeit von einer Marionett

Permanenter Jetlag: Eric (Adrian Castilla) pendelt zwischen Tokio und München, um sich um seine demente Mutter zu kümmern. Die wird auf der Bühne von einer Marionette dargestellt

(Foto: Mario Steigerwald/oh)

Der österreichische Autor und Künstler Roland Hagenberg hat mit "Jetlag" ein Stück über den Umgang mit Demenz geschrieben, das nun im Rationaltheater Uraufführung hat

Von Franziska Gerlach

Mutter und Sohn halten einander an den Händen. Er ist dunkelhaarig, schlank und groß gewachsen, sie wirkt grau und zerbrechlich, beinahe porös, so wie sie im Bühnenlicht steht und etwas von Luftschutzkellern faselt, vom Krieg und von den roten Lämpchen, die blinken und blinken. Immerzu. Dann mit einem Mal, ein Schrei: "Ich will nicht mehr, Eric, ich will nicht mehr!" Und Eric, der gute Sohn, eigens aus Japan nach München angereist, der streichelt seine Mutter, ihre Hände, die Schultern. Alles wird gut, sagt dieses Streicheln, alles wird gut.

Wie gut die Sache ausgehen wird, das bleibt dem Zuschauer letztlich selbst überlassen. Denn der österreichische Autor, Fotograf und Künstler Roland Hagenberg, 63 Jahre alt und in Wien aufgewachsen, hat das Ende seines Theaterstücks, seines ersten überhaupt, offen gelassen. Um die Beziehung eines Sohnes (Adrian Castilla) zu seiner dementen Mutter geht es in "Jetlag". Und die schwere Krankheit der Mutter verflüchtigt sich natürlich nicht, im Gegenteil, wie ein gieriges Tier verschlingt sie immer mehr von ihr - ihre Erinnerungen, ihre Ausdrucksfähigkeit, ihr ganzes Wesen. Am 6. November wird "Jetlag" im Rationaltheater uraufgeführt.

Ein Bühnenstück in 21 Aufzügen, das viele autobiografische Züge trägt: Denn die Geschichte des in Tokio lebenden Journalisten Eric, der alle sechs Wochen nach München fliegt, um nach seiner dementen Mutter zu sehen, das ist im Wesentlichen die von Hagenberg selbst. "Es ist im Grunde nichts anderes als ein Emotionstagebuch", sagt der Autor, der auch Regie führt. Und der "Jetlag", der den Protagonisten nach den Langstreckenflügen über die Zeitzonen hinweg plagt, der bezieht sich auch auf die 85-jährige Mutter, der ihr Zeitgefühl mehr und mehr abhanden kommt. "Der graue Nebel im Kopf", sagt Eric einmal. "So muss sich meine Mutter das ganze Jahr fühlen."

Auch Hagenberg musste dabei zusehen, wie sich die Alzheimer-Krankheit innerhalb eines Jahres seiner Mutter bemächtigte. Und wenn der Autor, der seit 25 Jahren in Japan lebt, auch nicht ständig bei ihr in München sein konnte in dieser Zeit, so durchlebte er doch alle Phasen: Die anfängliche Vergesslichkeit, das Verleugnen und das Überspielen. Bis er schließlich so Dinge vorfindet wie Computerkabel, die die Mutter ohne ersichtlichen Grund um Stuhlbeine wickelt, und sich zur absoluten Hilflosigkeit die Erkenntnis gesellt, dass sie in einem Heim am besten betreut werden kann.

Kein Wunder also, dass auch vor den drei Bühnenbildern - einem Apartment in Tokio, dem Passagierraum eines Flugzeugs, einer Wohnung in München - vorrangig große Emotionen verhandelt werden. Denn die Besuche bei der Mutter, die zwingen den Sohn auch zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst. Da ist die Sorge, da ist aber auch viel Wut über das Schwach- und Altwerden der eigenen Eltern, das nicht nur Geld und Zeit frisst - sondern auch Energie.

Schon beim Probenbesuch ist das spürbar: Wenn das Ensemble noch einmal eine Begegnung zwischen Mutter und Sohn spielt, zieht die Kälte, mit der Eric die verwirrte, alte Dame zu beschwichtigen versucht, bis zu den Sitzen der Zuschauer hinüber. Im nächsten Moment stimmt butterweicher Bossa Nova vom Band versöhnlich, es sind Hagenbergs Lieder, von ihm komponiert und gesungen. Die Mutter wird die meiste Zeit von einer Marionette verkörpert, ein bleiches, lebloses Etwas in einem weißen Gewand. Nur in Situationen, in denen sich die Mutter mit der Vergangenheit auseinandersetzt, tritt Sabine Heckmann vor das Publikum, die der Puppe ihre markante Stimme leiht. Zu vorschnellen Interpretationen, was einem der Künstler denn mit dieser Marionette, geführt über dünne Fäden, denn nun sagen wolle, sollte man sich allerdings nicht hinreißen lassen. Manches hat nämlich offenbar praktische Gründe: Eine mehr als 80Jahre alte Schauspielerin, sagt er, sei nicht so leicht zu finden. Und auf alt zu schminken, das sehe doch albern aus.

Dann ist da noch die Liebe, mit der sich dem Zuschauer eine zweite Ebene auftut in der Geschichte. Hagenberg hat sie bewusst eingebaut - weil das Stück "kein Downer" sein soll. Doch die flüchtige Liaison mit der Verlagsagentin Reiko (Lila Schulz), die Eric auf einem Flug nach München kennenlernt, entpuppt sich als ähnlich fragil wie der Geisteszustand der Mutter. Falsche Erwartungen führen zu Enttäuschungen, bis die innere Zerrissenheit zwischen Pflichtgefühl und dem Wunsch nach Selbstbestimmung von Eric konkrete Entscheidungen fordert. Verbringt er die Nacht bei seiner Mutter oder gibt er Reikos Bitte nach, sie nicht allein zu lassen? Man muss den Hut ziehen vor der Ehrlichkeit, mit der Hagenberg einräumt: "Ich fühlte mich durch meine Mutter in meiner Freiheit bedroht."

Es muss nicht leicht gewesen sein für einen Künstler, der zehn Jahre in New York gelebt hat und dort auf Leute wie Andy Warhol traf, dessen Leben er in seinem alternativen Kunstverlag "Pelham Press" dokumentierte. Eine allgemeingültige Lösung in einer solchen Situation, die gibt es nicht. Hagenbergs Protagonist versucht die Enge der Zwangsjacke, in die er sich durch die Krankheit der Mutter gesteckt fühlt, ein wenig zu lockern, indem er eine rumänische Aushilfe engagiert. Und dann taucht mit Verlauf des Stücks noch "Pepper" auf, ein Roboter. In Japan, sagt Hagenberg, würden Maschinen schon heute die Pflege von Menschen übernehmen. Sich darüber Gedanken zu machen, das ist wohl eine der Aufgaben, die "Jetlag" dem Theaterbesucher mitgibt.

"Jetlag", Uraufführung am Dienstag, 6. November, 20 Uhr, (ausverkauft), Rationaltheater, Hesseloherstraße 18, Weitere Vorstellungen: 7., 8., 9., 26., 27., 28. und 29. November. Autor Roland Hagenberg ist bei den Aufführungen vom 6. bis 9. November anwesend. Tickets unter www.rationaltheater.de.

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