Theater:Das sind die sechs spannendsten Premieren an Münchens Theatern

Die neue Spielzeit hat begonnen - so politisch wie schon lange nicht mehr und mit berührenden Einzelschicksalen auf der Bühne. Eine Übersicht.

Von Thomas Jordan

Weltbild gegen Weltbild - "Die Räuber" im Residenztheater

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(Foto: Andreas Pohlmann)

Schon die gigantische Apparatur auf der Bühne überwältigt nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Zuschauer: Vier im Theaternebel metallisch schimmernde Laufbänder geben die Richtung vor, in der Karl und Franz Moor ihre gegensätzlichen Lebensentwürfe im Marschtritt auf die Bühne stampfen. Bei Franz (Valery Tscheplanowa in einer Hosenrolle) ist dieser messerscharf rationalistisch bis zum Nihilismus, beim Räuberhauptmann Karl (Franz Pätzold) idealistisch-rebellisch. Er tritt hier in Begleitung seiner laut deklamierenden, schwarzuniformierten Truppe auf. Regisseur Ulrich Rasche zeigt den Kampf der beiden Weltanschauungen in Schillers Sturm-und-Drang-Drama als spätmodernes, pseudo-politisches Schattengefecht. Es wartet mit eindrucksvollen Bildern und Tönen auf: Gezeigt wird die Entstehung einer sich selbst radikalisierenden Bewegung, die nicht mehr aus einem politischen Anliegen, sondern nurmehr aus einem diffusen Gefühl des Unbehagens heraus entsteht und totalitäre Züge annimmt. Franz Pätzolds Ausruf: "Ich bin mein Himmel und meine Hölle" wird hier zum Schlüsselsatz der Bewegung. Die Meinungen der Kritiker über dieses düstere Spektakel gehen auseinander: Während die einen angetan sind vom "formstrengen Überwältigungstheater", das sprachlich und erzählerisch überzeuge, finden die anderen die bombastischen Bilder einfach nur banal. Nächste Aufführungen im Residenztheater München: Sonntag, 13. November 2016, 19:30; Montag, 14. November 2016, 20:00

Kammerspiel im Käfig - "Die schmutzigen Hände" im Cuvilliéstheater

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(Foto: Julian Baumann)

Keinen Funken Hoffnung, keinen Hauch von Gefühl - in Martin Kušejs Inszenierung von Jean-Paul Sartres "Die schmutzigen Hände" im Cuvillliéstheater gibt es gar nichts, woran man sich halten könnte. Nur die blanken, metallenen Gitterstäbe eines Doppelkäfigs, der die ganze Bühne einnimmt. Darin spielt sich dann auch die gesamte Handlung ab: Der zum Kommunisten konvertierte Bürgersohn Hugo soll im Auftrag seiner Partei den Funktionär Hoederer töten. Denn dieser verstößt gegen die Parteidoktrin, indem er, um weiteres Blutvergießen zu verhinden, mit den verhassten Faschisten und Liberal-Nationalen koalieren will. Eine Gewissensprüfung für den jungen Intellektuellen Hugo (Christian Erdt): Bei Martin Kušej wird sie zum funktionalistisch-kalten Kammerspiel über die Raubtiernatur des Menschen. Trotz mitunter beeindruckender Einzelleistungen der Schauspieler, etwa der witzigen und äußerst präsenten Lisa Wagner als Ehefrau Hugos, wirkt das Ganze manchmal allzu blutleer abgespult. Und auch wenn Sartres Textvorlage hoch-politisch ist: Den Anspruch eines neuen politischen Theaters, das dem gesamten Kulturbetrieb ein Beispiel geben kann, wie es der Regisseur und Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels zu Beginn der neuen Spielzeit gefordert hatte, sehen die meisten Kritiker bei Kušej nicht eingelöst. Nächste Aufführungen im Cuvilliéstheater: Freitag, 28. Oktober 2016, 19:30, Mittwoch, 30. November 2016, 19.30

Dem Araber einen Namen geben - "Der Fall Meursault: Eine Gegendarstellung" in den Kammerspielen

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(Foto: N/A)

Im Jahr 1942 ließ der spätere französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus in seinem Roman "Der Fremde" einen Araber von dem Franzosen Meursault ermorden, einen Namen hatte er dem Toten, wie schon der Titel vermuten lässt, nicht gegeben. Der algerische Autor Kamel Daoud hat mehr als 70 Jahre später in seinem Roman "Der Fall Meursault: Eine Gegendarstellung" das Geschehen am algerischen Mittelmeerstrand aus der Perspektive des arabischen Opfers dargestellt, ihm eine Familie und eine Geschichte gegeben. Auch deswegen wurde der Roman 2013 zum Bestseller, weil Daoud dabei den Spagat zwischen Islam- und Eurozentrismuskritik bewältigte. Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani hat den Roman nun als Tiefenbohrung in das kulturelle und soziale Geflecht inszeniert, in dem der Mord an Musa, wie der Fremde hier heißt, passiert. Inmitten einer orientalischen Teppich-Landschaft auf der Bühne spürt der Regisseur dem Leid der Familie nach. Die dauertrauernde Mutter im schwarzen Tschador, der jüngere Bruder, der an den Kammerspielen von drei Schauspielern als Kind, junger und alter Mann gezeigt wird und dazwischen: Glaubenszwänge, verletzte Ehre und ein zweiter Mord. Einfühlsames und erhellendes Erzähltheater sagen die Kritiker dazu, das mitunter aber ein wenig belehrend und allzu sehr um politische Korrektheit bemüht daherkommt. Nächste Aufführungen in den Kammerspielen München, Kammer 1: Montag, 31. Oktober 20:00 Uhr; Mittwoch, 9. November 20:00 Uhr

Verzweifelte Sehnsucht nach Versöhnung - "Unschuld" im Volkstheater

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(Foto: Gabriela Neeb)

Eine Frau verliert ihr ungeborenes Kind und verbringt ihre Tage fortan damit, sich mögliche Lebensverläufe eines Sohnes auszudenken, der nie gelebt hat. Es sind schreckliche Leben, die sie da imaginiert: Mal ist er ein Triebtäter gewesen, mal ist er Amok gelaufen und sie, seine Mutter, besucht die Hinterbliebenen echter Gewalttaten, um sich für ihren Sohn zu entschuldigen. Dea Lohers Stück "Unschuld" ist ein loser Reigen von 19 Monologen, Szenen und Begegnungen, die wahnhafte Mutter Habersatt (Mara Widmann) ist nur eine davon. Alle stammen sie vom Rand der Gesellschaft, die blinde Nachtclubtänzerin, die zuckerkranke Frau Zucker, die frustrierte Philosophin Ella. Aber auch wenn sie alle die Sehnsucht verbindet, sich nach allem, was passiert ist, mit dem Leben zu versöhnen, ähneln die einzelnen Momente in Lilja Rupprechts Inszenierung den durchrauschenden U-Bahnen, die auf die Bühne im Volkstheater projiziert werden: Sie bleiben flüchtig und einzigartig in ihrer Angst, ihren Schuldgefühlen und ihrer Trauer. Eine sehr textgetreue Inszenierung, sagen die Kritiker, der es aber manchmal an dem Mut fehlt, die starken Einzelsequenzen zu einem stimmigen Ganzen zusammenzubinden. Nächste Aufführungen im Volkstheater München: Montag, 31. Oktober 19.30; Samstag, 12. November 19:30

Labiler Mann, tragische Frau - "La Favorite" in der Bayerischen Staatsoper

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(Foto: Wilfried Hösl/oh)

Begabt, aber entscheidungsschwach, intelligent, aber immer wieder von Selbstmitleid zurückgeworfen - der Charaktermix des jungen Fernando in Gaetano Donizettis Oper "La Favorite" ist heute noch genauso aktuell wie zu Lebzeiten des italienischen Belcanto-Komponisten. Dagegen bleibt das Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau mit seinen Madonnen und Kreuzigungsbildern eher dem 19. Jahrhundert verhaftet: Es verweist auf den Einfluss der Kirche, die auf dem Lebensweg Fernandos den Anfang und das Ende markiert. Der Liebe wegen hatte er einst als Novize das Kloster verlassen, einer vermeintlichen Täuschung seiner Ehefrau Léonor wegen - der ehemaligen Favoritin Königs Alfons XI. von Kastilien - kehrt er im vierten Akt ins Kloster zurück. Das gesangliche Spektrum, das der Tenor Matthew Polenzani dabei als Fernando entfaltet, beeindruckt die Kritiker: Nicht nur lautstark tönend, sondern auch in ganz leisen Passagen erreicht er mühelos die Spitzentöne seines labilen Alter-Egos. Nicht so recht ausgelotet wird dagegen von der Regisseurin Amélie Niermeyer die thematische Spannbreite, die in der Figur der Favoritin Léonor angelegt ist: Der im 19. Jahrhundert so beschwerliche Kampf der Frau um ihr eigenständiges Lebensglück, der im Libretto angelegt ist, bleibt hier unbearbeitet. Léonor, die ehemalige Mätresse Königs Alfons XI. von Kastilien, die den Herrscher verlässt und ihren Geliebten Fernando heiratet, nur um von ihm kurz drauf verlassen zu werden - sie bleibt bei Niermeyer in der Rolle des Opfers. Der Schönheit des Gesangs der lettischen Starsopranistin Elena Garanča, die eine emotional zurückhaltende Léonor gibt, tut das aber keinen Abbruch. Nächste Aufführungen in der Bayerischen Staatsoper: Freitag, 28. Oktober 2016 19:00 Uhr; Montag, 31. Oktober 2016 19:00 Uhr

Energiegeladene Blutsauger - "Der Tanz der Vampire" im Deutschen Theater

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(Foto: Eventpress)

Ein junger Wissenschaftler auf Expedition im fernen Transsilvanien verliebt sich in die schöne einheimische Wirtstochter Sarah - und hat dabei die Rechnung ohne den Vampir gemacht. Denn auch der finstere Graf Krolock begehrt die junge Frau und so nimmt der Kampf zwischen dem Studenten Alfred und Krolock seinen Lauf. Dass aus dem bluttriefenden Stoff kein schmalztriefendes Musical geworden ist, liegt daran, dass der Regie-Altmeister Roman Polanski dabei seine Finger im Spiel hatte. Denn auf seinem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1967 basiert das Musical. Im Deutschen Theater wird es nun zur energiegeladenen Monsterparty, bei der sich die Schauspieler einmal durch den 80er-Jahre-Popsound des Musicalkomponisten Jim Steinman singen. So darf etwa Veronica Appedus Sarah zur Melodie von Bonnie Tylers "Total Eclipse of my heart" "Die totale Finsternis" intonieren. Tom van der Ven als Alfred gelingt es dabei nach Meinung der Kritiker am besten, seinen stimmgewaltigen Bariton in der aufwändigen Bühnengestaltung, in der Gaststube und Ballsaal-Szenerie elegant vorübergleiten, zur Geltung zu bringen. Und obwohl sich die Handlung nach dem scheinbaren Sieg des jungen Paares über die Vampire beim Mitternachtsball in Wohlgefallen aufzulösen scheint, hält Michael Kunzes Libretto noch eine unerwartete Schlusswendung bereit. Nächste Aufführungen im Deutschen Theater: Freitag, 28. Oktober 19:30; Samstag, 29. Oktober 19:30

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