Theater:Ausgezeichneter Weltuntergang

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Gehalten hat sich das 1947 gegründete Marionettentheater "Kleines Spiel" bis heute. Aktuell spielen dort unter anderen Raphael Wiegand, Franziska Krumpschmied und Axel Bahro (von links). (Foto: Robert Haas)

Der Pocci-Preis 2018 geht an das "Kleine Spiel", ein vor mehr als 70 Jahren gegründetes Figurentheater für Erwachsene. Das Kollektiv begeistert sein Publikum mit der Aufführung einer Groteske von Kurt Schwitters

Von Barbara Hordych

Die Gesichter des Astronomen und seiner Assistentin bestehen aus Mikroskopen und Fernrohren. Genau die richtige Ausstattung also, um den "Zusammenstoß" der Erde mit einem grünen Kometen vorauszusehen. Der Bürokrat Meisterlich rollt auf großen Rädern über die Bühne. Wenn er von der Organisation des "Weltuntergangs" spricht, verleiht er seinen Worten Nachdruck - im wortwörtlichen Sinne, denn sein Blechkörper ist um einen alten Stempel herum konstruiert. Für diejenigen, die selbst im Angesicht der nahenden Katastrophe noch tanzen und sich amüsieren wollen, darf auch der eilfertige Kellner nicht fehlen: Sein Kopf ist eine kleine Flasche, die bei jedem Schritt fröhlich mitwippt und Flüssigkeit in ein Glas schwappen lässt, das er auf einem Tablett vor sich her balanciert.

Dies sind einige der zentralen Akteure, mit denen die Mitglieder des Marionettentheaters "Kleines Spiel" ihre humorvolle Bearbeitung von Kurt Schwitters 1927 geschriebener Groteske "Der Zusammenstoß" im Keller an der Neureuther Straße aufführen. Mit 60 Zuschauern ist der Saal voll besetzt, die fantasievoll konstruierten Darsteller werden vom Publikum mit begeistertem Szenenapplaus begrüßt.

Anlass für die Vorstellung ist die Verleihung des Pocci-Preises 2018 an das "Kleine Spiel", einem Figurentheater für Erwachsene, das im vergangenen Jahr 70 Jahre alt geworden ist. Über 40 Inszenierungen von William Shakespeare bis Bertolt Brecht hat das Theaterkollektiv, das ursprünglich als studentisches Privattheater entstanden ist, auf die Bühne gebracht. Der Dramatiker Tankred Dorst war 13 Jahre lang Mitglied, schrieb in den Fünfziger Jahren sechs Stücke für die Truppe, darunter "A Trumpet for Nap", das noch heute im Repertoire ist. "Er hat hier aber auch seine Ehefrau und kongeniale Schreibpartnerin Ursula Ehler kennengelernt", erinnert Michael Stephan in seiner Laudatio. Der Stadtdirektor und Leiter des Stadtarchivs ist zugleich auch zweiter Vorsitzender der Münsinger Franz-Graf-von-Pocci-Gesellschaft. Eine erfreuliche Nachricht hat er für Spielleiter Raphael Wiegand, der den Preis für die derzeit achtzehn Mitglieder des Theaterkollektivs entgegennimmt, auch noch mitgebracht: Im vergangenen Jahr habe das Stadtarchiv von einem Sammler eine Dokumentation über das Kleine Spiel aus den Fünfziger Jahren angekauft, die aber erst noch digitalisiert werden müsse.

Jetzt aber steuert das Geschehen erst einmal weiter auf den Weltuntergang zu. Aus der Tatsache, dass bald ein Komet mitten auf der Erde einschlägt, lässt sich doch bestimmt noch Kapital schlagen. Es gibt also Shuttle-Busse der "Goodbye-Tours" zum Weltuntergang, in den Schaufenstern hängt Super-Sale-Mode unter dem Slogan "Alles muss raus". Um Ordnung in diesem Chaos ist Meisterlich bemüht, denn wenn schon Untergang, dann bitte mit Plan. Ihm zur Seite steht ein Polizist, dessen Körper sich bedrohlich in die Breite ziehen lässt - besteht er doch aus einem alten Notenständer.

Entworfen und gebastelt hat die fantastischen Figuren dieser Inszenierung, die kürzlich auch mit dem "Larifari"-Preis des Verbands Bayerischer Amateurtheater ausgezeichnet wurde, Steve Cosaert. Der plant im wirklichen Leben als Techniker Lüftungen und Heizungen. Spielleiter Raphael Wiegand ist Physiker und schließt derzeit sein Zweitstudium in Komparatistik ab. Und die Astrologen-Assistentin Alma wird von der Sozialpädagogin Franziska Krumpschmied gesprochen und geführt. Die Mischung aus unterschiedlichen Berufen und Altersstufen sei das besondere Element in ihrem Kollektiv, erklärt Axel Bahro. Er muss es wissen. Ist er als "Fossil", wie er sich selbst bezeichnet, schon seit dreißig Jahren dabei. Und als Spieler des Ordnungsfetischisten "Meisterlich" für die Zahlen zuständig.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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