Füttern darf man sie nicht. Streicheln ist erlaubt, denn diese Ziegen beißen nicht. Krank werden sie auch, nur kuriert man sie dann nicht mit Spritzen, sondern mit dem Lötkolben. Und noch eine Besonderheit haben sie an sich: Diese Ziegen singen, schön, mit trainierten Opernstimmen, aber manchmal hapert es auch. Das ist auch Sinn der Sache von „dolci_ingananni.zip“, der neuen Musik-Technik-Installation des Augsburger Staatstheaters. Roboterziegen gestalten ein Spin-off zur hauseigenen Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ und greifen damit auf niedlich-witzige Weise den Diskurs um den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Kunst auf.
Drei der Tiere in recht handlicher Größe bewegen sich mit leise sirrendem Geräusch durch das Gehege, das man ihnen im Kühlgebäude des ehemaligen Gaswerks bereitet hat. Sie blöken, rennen linkisch (zwei Beine vorn, zwei Räder hinten) gegen die ausgelegten Sitzsäcke und den Metallzaun, laden dazu ein, sie kennenzulernen.
Im ersten Moment stürzen sie damit ein paar der Zuschauer ins Uncanny Valley, was diese mit nervösem Lächeln quittieren. Man weiß nicht, wo das hingeht. Da setzt die Ouvertüre ein, vertraute Mozart–Klänge. Doch als eines der Tiere selbst zu singen beginnt, schauen sich die Anwesenden ungläubig an. Denn nicht nur, dass die Ziege mit der Stimme von Natalya Boeva singt, sie singt wie Mozarts Dorabella auch von Liebesschmerz, nur eben durchmischt mit quälenden Fragen, ob man ihr Blöken vernommen habe. Alles zur von den Augsburger Philharmonikern eingespielten Begleitung der Arie „Smanie implacabili“.
Die Idee zur Experimental-Oper hatte die Hamburger Künstlerin Tintin Patrone. Ziegen kommen in ihren Installationen immer wieder vor. „Für mich sind Ziegen die Punks der Tierwelt“, sagt sie. „Sie haben etwas Widerständiges, Lustiges.“ Deshalb hat Tintin Patrone, die mit bürgerlichem Namen Christina Köhler heißt, die Ziegen auch schon für ihre Installation beim Augsburger lab.30-Festival 2023 verwendet. Die Tiere, hier mit durch 3D-Druck hergestelltem Plastikkörper plus Bluetooth-Lautsprecher, werden zum Träger eines Medienkommentars. Denn so widerspenstig und lustig die Ziegen im Streichelzoo sind, so widerspenstig verhält sich die künstliche Intelligenz. „Es bleibt spannend bis stressig“, sagt Tintin Patrone.
Die Technik erweist sich als unvollkommen
Das Schreiben des Spin-off-Librettos wurde einer KI anvertraut, mit dem Auftrag, die Arien der Così-Frauen aus der Sicht von Ziegen zu formulieren. Es geht also nach wie vor um die großen Themen von Liebe und Täuschung, aber durchsetzt mit Paarhufer-Pointen. „Ich fraß das falsche Gras der Täuschung“, wird da gesungen.
Die drei Sängerinnen Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee und Olena Sloia geben sich hörbar Mühe, die metrisch ungelenken Texte auf die Mozart-Melodien zu singen. Die Technik erweist sich als unvollkommen, Melodie und (auch grammatisch nicht immer perfekte) Ziegen-Zeilen kann sie bisher nicht in Einklang bringen. So erklärt sich auch der bewusst gestotterte Titel. „Dolci ingananni“ müsste man übersetzen als „Süße Enttäuäuschungen“.
Angereichert wird der Opern-Versuch noch mit einem instrumentalen Intermezzo. Dafür wurde das Klangspektrum des im Leopold-Mozart-Haus ausgestellten Mozart’schen Reiseklaviers digitalisiert und für eine klassizistische Stilübung verwendet – eines der Details, durch die die „Experimental Opera“ zum vergnüglichen Medienexperiment wird. Nicht mehr, nicht weniger. Wer sich einen Schlüssel zu Mozarts Oper erhofft, wird enttäuscht. Wer aber Lust hat, sich von Ziegen etwas über den aktuellen Standort künstlicher Intelligenz im kulturellen Feld zeigen zu lassen, wird an dem 30-Minuten-Singspiel seine Freude haben.
Experimentaloper „dolci_ingananni.zip“, Kühlgebäude Gaswerk, weitere Termine unter staatstheater-augsburg.de