Ausstellung in der Galerie der Künstlerinnen und KünstlerRückeroberung des Körpers

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Miko Okidos Performance wurde bei der Vernissage aufgezeichnet und läuft jetzt als Videoloop in der Ausstellung "The 3re Two" in der Galerie der Künstler.
Miko Okidos Performance wurde bei der Vernissage aufgezeichnet und läuft jetzt als Videoloop in der Ausstellung "The 3re Two" in der Galerie der Künstler. (Foto: Toby Binder)

Die Ausstellung "The 3re Two" zeigt feministische Kunst aus Ostasien als Zeichen weiblicher Selbstermächtigung.

Von Andra Vahldiek

Strich für Strich für Strich sitzt Mio Okido auf dem Boden der Galerie der Künstler und malt. Sie ist nackt. Ihr Körper verziert von unzähligen kleinen und großen schwarzen Strichen, die die in Berlin lebende Japanerin während der Vernissage zur Ausstellung „The 3rd Two“ drei Stunden lang mit Filzstift auf ihre Haut zeichnet. Als wären die Striche kleine unleserliche Worte, die es zu entziffern gilt.

Mio Okido will mit ihrer Performance ihren eigenen Körper als Werkzeug der Selbstermächtigung zurückfordern. Verletzlich und intim, und doch fühlt sich diese Performance machtvoll an. Die Nacktheit, die häufig im performativen Raum zur Provokation genutzt wird, bleibt hier ein zarter und minimalistischer Akt. Als konzeptuelles Statement wird Okidos Körper zur Leinwand, der Produktionsprozess zum Endergebnis. Der stille Protest unter dem Titel „Ausstellungsobjekt“ ist als Video zu sehen.

Derzeit wird die Galerie der Künstler zu einer Galerie der Künstlerinnen und damit zu einem Ort der Selbstermächtigung für Frauen – vor allem aus Ostasien. Zu sehen gibt es neben Mio Okidos Werk Beiträge von weiteren 14 Künstlerinnen dreier Generationen, die das ostasiatische Verständnis des Frau-Seins radikal und notwendigerweise hinterfragen. Kuratiert von Cornelia Oßwald-Hoffmann, Alexander Steig und Jae-Hyun Yoo, zeigt die Ausstellung feministische Kunst seit dem Pazifikkrieg bis heute.

Die Künstlerinnen aus China, Japan und Südkorea stellen sich mit ihren Arbeiten im transnationalen Dialog kritisch gegen Stigmatisierung sowie Diskriminierung und verhandeln die traditionellen Konventionen, in denen die Frau immer noch als unwichtige Begleitfigur des Mannes betrachtet wird. Und es geht auch um verdrängte Geschichte und die Aufarbeitung davon. Eine multiperspektivische Ausstellung über kollektive Traumata.

Die „Zwei“, als internationale Zahl der Frau im Titel der Ausstellung symbolisiert das immer als zweitrangig angesehene weibliche Geschlecht. „3rd“ steht hierbei für die dritte Welle des Feminismus. Dem Kuratorenteam geht es um gesellschaftlichen Widerstand und die Schaffung von Sichtbarkeit. Es gelingt ein Raum, der die patriarchalen Zuschreibungen der weiblichen Identität infrage stellt und in der eurozentrierten Kunstszene die Präsenz von feministischer ostasiatischer Kunst unterstützt.

Yoshika Shimada erinnert unter dem Titel "Long Live the Short-Lived" an die politisch motivierten Morde beim großen Kanto-Erdbeben 1923.
Yoshika Shimada erinnert unter dem Titel "Long Live the Short-Lived" an die politisch motivierten Morde beim großen Kanto-Erdbeben 1923. (Foto: Toby Binder)

„Die soziale Entwicklung, besonders in Bezug auf die Stellung der Frau, hängt in einer Dritten Welt der Diskriminierung fest“, sagt Cornelia Oßwald-Hoffmann. Weibliche Identitäten werden bis heute abgewertet und eine eigene Ermächtigung nahezu verunmöglicht – auch über den ostasiatischen Raum hinaus. „Die Frau wird zu einer Sache, einem Objekt degradiert. Sie ist das Schmuckstück des Mannes, die Haushaltskraft, die Gebärmaschine“, so Oßwald-Hoffmann.

Im Foyer läuft ein Video über den ausgebeuteten weiblichen Körper, an dem die feministische Wegbereiterin und Künstlerin Tomiyama Taeko mitwirkte. Yoshika Shimada erinnert unter dem Titel „Long Live the Short-Lived“ an die politisch motivierten Morde beim großen Kantō-Erdbeben 1923. Ihre Grafiken bilden die ermordeten Regimegegner und -gegnerinnen ab. Die Südkoreanerin Jane-Jin Kaisen behandelt das Thema der sogenannten „Trostfrauen“ in der filmischen Erzählung „The Women, The Orphan and The Tiger“. In einer Kollision aus dokumentarischem Material und Erzählung untersucht der Film, wie Traumata von früheren Generationen an die Gegenwart weitergegeben werden.

Verstörende, ineinander verwachsene Niedlichkeit und Brutalität treffen bei der in Berlin geborenen und in Südkorea aufgewachsenen Künstlerin Siyoung Kim aufeinander. Mit Puppen, die aus der Wand zu quellen scheinen, erinnert sie an getötete Frauen bei einem Massaker.
Verstörende, ineinander verwachsene Niedlichkeit und Brutalität treffen bei der in Berlin geborenen und in Südkorea aufgewachsenen Künstlerin Siyoung Kim aufeinander. Mit Puppen, die aus der Wand zu quellen scheinen, erinnert sie an getötete Frauen bei einem Massaker. (Foto: Toby Binder)

Verstörende, ineinander verwachsene Niedlichkeit und Brutalität treffen bei der in Berlin geborenen und in Südkorea aufgewachsenen Künstlerin Siyoung Kim aufeinander. Mit den nackten Puppen, die aus der Wand zu quellen scheinen, erinnert sie an getötete Frauen bei einem Massaker. „Es geht es um die Architektur der patriarchalen Macht. Dinge, die man nicht mehr unter den Teppich kehren kann“, sagt Oßwald-Hoffmann. Die Videoperformance „Suture“ der in München arbeitenden Südkoreanerin Eunju Hong zeigt die blutigen Tiefen des weiblichen Körpers. Die Sonde im Bereich des Uterus erforsche die Vergangenheit. Nur dort könne man dem eigenen Ich begegnen. Auch die weiteren Werke setzen sich kritisch mit Sexismus, Rassismus und Nationalismus auseinander – und sind vor allem intensiv.

Die Grundstimmung der Ausstellung? „Betroffenheit“, so sagt es Alexander Steig. Das Thema ist schwer, „gerade mit dem Hintergrund der Traumata, die hier thematisiert werden“.

The 3rd Two, Galerie der Künstler, Maximilianstraße 42, bis 24. November

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