Thalkirchen:Punks wehren sich gegen Diskriminierung

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Nach der Forderung verstärkter Polizeipräsenz am U-Bahnhof kritisieren die Punks Michael und Adrian die Vorverurteilung der Jugendszene. Sie vermissen Toleranz.

R. Winkler-Schlang

Man kann sie nicht übersehen. Der eine hat seine blonden Locken mattgrün gefärbt, der andere trägt stolz einen blauen "Iro" und auf der kahlrasierten rechten Seite einen dekorativen roten Strich. Praktische Sicherheitsnadeln halten sein Shirt zusammen.

Paradiesvögel unter der Isarbrücke: Adrian Bauer und Michael Kolbinger wollen aus der Menge rausstechen. (Foto: Foto: Winkler-Schlang)

Beide tragen Springerstiefel, der eine bunt mit weißen Bändern, der andere schwarz mit rotem und mit blauem Schnürsenkel. Und dann eine ganze Kollektion von Nietengürteln, selbst verzierte Stachelhalsbänder, die Arme voller Lederbänder.

Zu überhören sind sie auch nicht, der Schmuck klimpert, an den Schuhen klingeln Glocken und Bierflaschenschnappverschlüsse. "Ein bisschen Provokation ist schon dabei", sagen der 17-jährige Michael Kolbinger und sein 15-jähriger Freund Adrian Bauer: "Man will ja aus der Menge rausstechen und sich abgrenzen."

Dennoch würde Michael denen, die wegen der Punks bei der Bürgerversammlung von Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln mehr Polizeipräsenz und die nun erreichten Videokontrollen am Thalkirchner U-Bahnhof gefordert haben, am liebsten zurufen: "Sie diskriminieren uns!"

Keine Toleranz gegenüber Andersaussehenden

Zwar hat der Bezirksausschuss neben seiner Forderung nach mehr Streetwork auch erklärt, dass beileibe nicht nur Punks sich in Thalkirchen treffen, sondern dass die Isarauen beim Tierpark vor allem in der Grillsaison auch für viele andere Gruppen ein Anziehungspunkt seien. Doch für Michael hörte sich vor allem die Stellungnahme der Polizei so an, "als ob nur die Punks die Bösen wären". "Nicht nur Punks trinken Alkohol. Ich finde es traurig, dass die Menschheit überhaupt nicht mehr tolerant gegenüber Andersaussehenden ist", schrieb er in einem spontan verfassten Leserbrief.

Vor allem das Wort "Einsickern von Punks" fand der Gymnasiast "bodenlos". Man treffe sich in Thalkirchen, weil man an diesem schönen Fleckchen weniger auffalle: "Wenn der Treff in der Fußgängerzone liegen würde, würde es keine 24 Stunden dauern bis zum Platzverweis durch die Polizei, damit das gute Bild unserer schönen Stadt nicht durch uns kaputtgeht und damit man sieht, wie tatkräftig die Polizei gegen uns 'Gesindel' vorgeht", so Kolbinger sarkastisch.

Auch sein Freund Adrian lässt sich nicht mit all den anderen unter und rund um die Brücke und den U-Bahnhof in einen Topf werfen. Seine Gruppe habe nichts gemein "mit Obdachlosen, die sich die Birne zudröhnen oder mit Ganxtas oder Hip-Hoppern, die meinen, sie müssten pöbeln".

Punks hätten sich auch schon traditionellerweise abgegrenzt von den Hippies, die Haschisch rauchen. Und dann seien da noch die "Modepunks", die sich in der Pubertät ein "Punkgirli"-T-Shirt aus dem Kaufhaus anziehen, ohne "Ahnung" zu haben, worum es ursprünglich der Punkbewegung ging, die aus der englischen Arbeiterbewegung entstanden sei.

"Oh Gott, raubt der mich aus?"

Doch die Bürger neigten leider zu Verallgemeinerungen, sagt Adrian. Viele würden alleine das Outfit der Punks als Angriff sehen und gleich denken: "Oh Gott, raubt der mich aus?" Allerdings gebe es auch nette Omas, die fragen, wie man denn den Iro hingekriegt habe oder wo die Bushaltestelle sei, erzählen sie.

Die Erfahrung mit der Polizei sei sehr gemischt. Als Punk könne man beinahe sicher sein, überall kontrolliert zu werden: "Wieso immer wir?" Sogar im Winter habe er schon mal auf der Corneliusbrücke seine Stiefel ausziehen müssen, dennoch wolle er sich natürlich nicht unauffällig kleiden: "Dann wären wir ja wieder normal und würden uns fügen", sagt Adrian.

Er sei auf einer Demo auch schon mal ohne Grund festgenommen worden, berichtet Michael. Doch im Zusammenhang mit einer Messerstecherei mit einem Nazi unter der Brücke habe er die Polizei gerufen, viermal. Zwar habe diese sich nach seinem Empfinden nicht gerade beeilt - dennoch sei er "richtig froh" gewesen, als sie eintraf.

Den Aufruf des BA zu mehr Streetwork hatte auch Maren Kuwerts von der Abteilung "Connection" von Condrobs vernommen. Sie kam unaufgefordert zur vergangenen Sitzung und berichtete, dass Thalkirchen bereits zu ihrem Einsatzgebiet gehöre. Ihr Ansatz sei ein individueller: Wer die Eltern ganz verlassen habe, solle in "weiterführende Maßnahmen" vermittelt werden.

Häufigere Präsenz unter der Brücke aber würde nicht mehr Vertrauen bringen, glaubte sie. Zudem könne man auch darauf bauen, dass die Gruppe "selbstregulativ" sei. Einige, so sagte sie, achten auf Rücksicht.

Michaels Berufswunsch: Sozialarbeiter

Michael, auf dessen T-Shirt steht "Wir lassen uns das Dagegensein nicht verbieten", findet auch gut, wenn ab und an ein Streetworker unter die Brücke kommt. Manchem könne sicher geholfen werden. Später, sagt er, wolle er "nicht nur wie ein Straßenkind unter der Brücke hängen": Sozialarbeiter - anderen zu helfen -, das sei sein Berufs-Ziel.

© SZ vom 18.08.2008/lado - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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