Süddeutsche Zeitung

Mangfalltal:Das Bewusstsein für die Natur bewahren

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Von Linus Freymark

"Wenn Sie das einmal in der Hand gehalten haben, verwechseln Sie es nie wieder!" Robert Beringer lässt das regennasse Blatt, das er an einem Ast zu sich heruntergezogen und dessen Furchen und Rillen er gerade beschrieben hat, wieder los. Der Ast schnalzt zurück, ein paar Tropfen landen in Beringers Haar. Ast und Blatt gehören zu einer Bergulme am Wegesrand, einer Baumgattung, die hierzulande häufig vorkommt und die trotzdem, so Beringer, immer weniger Menschen erkennen würden. Der vom Naturpädagogen Beringer im Auftrag der Stadtwerke München (SWM) konzipierte Naturerlebnispfad im Mangfalltal soll das ändern.

Im Münchner Umland gibt es bereits einige dieser Pfade, die vor allem für Kinder und Familien ausgelegt sind und dem Nachwuchs die Natur spielerisch nahebringen sollen, etwa durch kleine Rätsel, Bilder und interaktive Tafeln, die das Ökosystem erklären. Der Anfang September eröffnete Naturerlebnispfad der SWM in Thalham aber hat eine Besonderheit: Dort liegt der Schwerpunkt auf dem Trinkwasser - und der Bedeutung von Flora und Fauna für dessen Qualität. "Nur wenn die Natur oben stimmt, kommt unten was Gescheites raus", erklärt Rainer List, der bei der SWM für die Trinkwassergewinnung verantwortlich ist.

Bei den Stadtwerken sind sie mächtig stolz auf ihre neue Errungenschaft, und weil dem so ist, wird die Eröffnung feierlich begangen: Der Landrat ist gekommen, der sich den Pfad natürlich "einmal anschauen" möchte, die Presse ist da, das Fernsehen. Elf große und 18 kleinere Tafeln umfasst der Naturerlebnispfad in Thalham, und weil doch einige Kilometer zusammenkommen, wenn man den gesamten Pfad zu Fuß absolvieren würde, haben die Stadtwerke ein paar E-Scooter für die Lokalprominenz und die Journalisten organisiert. Auf ihnen rollt der Pulk zur ersten Station namens "Wald, Wasser, Artenvielfalt".

Auf der Tafel sind Bilder von Waldschäden zu sehen, klappt man die Schaubilder um, findet man darunter die Gründe für die zerstörte Natur. Hauptursache: die Luftverschmutzung. Nur ein Bruchteil aller Wälder werde naturgemäß bewirtschaftet, erklärt Robert Beringer. Dann zeigt er auf die Tafel mit der Bergulme. "Kennst du diesen Baum?", steht darauf, darunter ist der Baum mitsamt Blättern abgebildet. Es gehe darum, den Blick für die Umgebung zu schärfen, erklärt Beringer. Durch den Naturerlebnispfad sollen die Menschen nicht einfach nur im Wald unterwegs sein, sondern ihn bewusst wahrnehmen. Dann schwingt er sich auf seinen E-Roller und rollt zur nächsten Station, an der es um nachhaltigen Trinkwasserschutz geht.

"Gefahren: Kennst du sie?", liest Beringer von der Tafel ab. Und fügt sofort hinzu: "Meistens ist es der Mensch, der das Trinkwasser schädigt." Vor allem die übermäßige Düngung der Felder mit Gülle, der maßlose Rohstoffabbau und die von Fabriken und Fahrzeugen in die Luft gepusteten Schadstoffe würden die Qualität des Grundwassers negativ beeinflussen. Dann klären einen die Schaubilder darüber auf, was bereits im Mangfalltal für den Schutz des Trinkwassers getan wird. Und natürlich bleibt die Rolle der Stadtwerke dabei nicht unerwähnt, die seit Jahren "viel für die Umwelt tun", wie es Rainer List ausdrückt. Dass es dabei auch heftige Auseinandersetzungen mit den Landwirten aus der Umgebung gibt, die wegen der immer weiter ausgedehnten Wasserschutzgebiete um ihre Existenz fürchten, erwähnen weder List noch die Schaubilder.

Für Robert Beringer, den Pädagogen, geht es bei Naturerlebnispfaden noch um etwas anderes. Bei Kindern wie bei Erwachsenen beobachtet er seit Jahren, dass das Interesse am heimischen Ökosystem immer geringer wird. Ein Grund dafür sei, dass Naturkunde in der Schule nicht mehr ausreichend vermittelt werde. "Früher sind die Lehrer mit den Schülern noch raus in die Natur gegangen", sagt Beringer. Heute sei das immer weniger der Fall. Beringer hofft deshalb, dass der neue Naturerlebnispfad im Mangfalltal auch für Schulklassen spannend ist - gerade jetzt im Herbst seien die bayerischen Wälder besonders interessant, meint er.

Auch Rudolf Nützel, Förster und Geschäftsführer der Kreisgruppe München beim Bund Naturschutz, beobachtet seit Langem ein sinkendes Interesse an der heimischen Natur. Die Elterngeneration heute gehe mit ihren Kindern nicht mehr so häufig raus wie Eltern früher, sagt er. Wenig Zeit und die Angst, dass dem Kind etwas passieren könnte, seien die Gründe dafür. Dabei sei es wichtig, nachfolgenden Generationen das Bewusstsein für die Natur nahezubringen.

Nach etwa der Hälfte der Strecke des Naturerlebnispfades in Thalham erreicht man einen kleinen Rastplatz. Es gibt Tische und Bänke, einen Spielplatz und einen Tastkasten, in dem man Gegenstände erfühlen kann, die Beringer im Wald gefunden hat. Schutz spendet das Blätterdach einer Rotbuche, im Sommer vor der Sonne, an diesem Septembertag vor dem Regen. Nach einer kurzen Pause geht es wieder auf die Roller. Vorbei an einer Station, die erklärt, dass im Mangfalltal pro Sekunde rund 3000 Liter Trinkwasser aus drei Förderungsanlagen gewonnen werden, fährt die Gruppe zurück in Richtung Betriebshof. Dort werden die E-Scooter geparkt - und am Nachmittag zurück nach München gebracht. Denn schließlich absolviert man den Naturerlebnispfad ja eigentlich zu Fuß.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2019
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