Texte über Außerseiterdasein:Die Wut macht die Musik

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Fast ganz in weiß tritt Rapper Ali As auf. (Foto: Florian Peljak)

Zulfiqar Ali Chaudhry, der sich als Rapper Ali As nennt, hatte 2016 einen Hit und hofft im neuen Jahr auf den großen Durchbruch - und auf die Anerkennung, die er bisher vermisst hat

Von Christian Gschwendtner, München

Irgendwas stimmt nicht mit der Tankkarte. Die Frau hinterm Verkaufstresen will sie einfach nicht akzeptieren, da kann Zulfiqar Ali Chaudhry sagen, was er will. Die Tankkarte ist auf einen anderen Namen ausgestellt. Und die Frau denkt, dass da ein Betrüger vor ihr steht. Sie schaltet auf stur. Dann sagt sie noch: "Wenigstens habe ich einen Job im Gegensatz zu Ihnen."

Was die Frau nicht weiß: Auch Zulfiqar Ali Chaudhry hat einen Job. Er arbeitet als Fernsehredakteur in der Talkshow von Jürgen Fliege. Aber er sieht aus wie ein Rapper. Weite Hosen, Goldkette, das ganze Programm. Die Frau misstraut ihm, nur weil er anders aussieht.

Jahre später sitzt Chaudhry in einem Münchner Aufnahmestudio. Weißer Trainingsanzug, weiße Sneaker, weiße Kappe. Er sieht nicht mehr nur aus wie ein Rapper, er verdient sein Geld mit der Musik. Die Tankstellen-Story erzählt er noch immer. Sie passt als Parabel auf sein Leben, in dem es viel um fehlende Anerkennung geht.

Seit einer Ewigkeit prophezeien ihm die Musikkritiker schon den Durchbruch. Dabei ist es geblieben. Er gilt als das ewige Talent. Er sagt über sich selbst: "Geht man rein nach dem Erfolg, dann bin ich wohl eher die A-Klasse von Mercedes Benz." Klar, dass er lieber eine Limousine wäre. Erschwerend kommt noch hinzu: Er ist jetzt 37 - ein Alter, in dem die meisten Rapper an Verrentung denken. Bei ihm ist das anders. Er macht einfach weiter - und hofft, berühmt zu werden.

2016 lief es gut für ihn. So gut wie noch nie. Erst stieg "Euphoria" auf Platz sechs der Albumcharts ein. Dann wurde der Song "Lass sie tanzen" zum Hit. Allein auf Youtube mehr als 16 Millionen Mal geklickt. In dem Lied geht es, grob gesagt, darum, wie er mit einer Gatling Gun einen Sektempfang stürmt. Es ist seine Rache an der feinen Elite, die einen Typen wie ihn nie dabei haben wollte. Und das kommt gut an. Ali As, so nennt er sich als Rapper, tritt inzwischen im Fernsehen auf. Erst vor vier Wochen war er bei Jan Böhmermann zu Gast, davor tourte er durch Deutschland. Doch das reicht ihm nicht. Er sagt: "Das war erst der Anfang."

Im Studio zündet er sich einen Joint an. Die weiße Kappe hat er abgenommen, sie ist so etwas wie sein Markenzeichen. Ali As ist verstimmt. Er, der Einser-Abiturient, schimpft über die Medien, die sich erst nie für einen "gut integrierten Kanaken" wie ihn interessiert hätten und die ihn nun ständig in die "Scheiße" rein reiten würden. Er sagt, er sei immer freundlich gewesen, humble und höflich, also bescheiden und höflich, doch das sei ihm nie gedankt worden. Deshalb habe er jetzt entschieden: "Ich muss keinen Menschlichkeitsaward mehr gewinnen, sonst würde ich was mit Sozialarbeit machen." Er merke einfach, dass bei ihm mit zweierlei Maß gemessen wird. Und das sei zu Schulzeiten schon nicht anders gewesen.

Aufgewachsen ist Zulfiqar Ali Chaudhry im Stadtteil München-Solln, als Sohn eines pakistanischen Politikwissenschaftlers. Der Vater floh 1961 nach München, mit 100 Mark und einer Holzkiste. Die Mutter kam nach, er selbst wurde in München geboren. Später, am Perlacher Gymnasium, wandte sich mal ein Mathelehrer an die Mutter mit dem Hinweis, der Sohn verwechsle bestimmt die x-Achse mit der y-Achse. "Weil Sie in ihrer Kultur doch von

rechts nach links schreiben". Da hat es Klick gemacht in seinem Kopf. Er war der einzige Ausländer in der Klasse, eine Tatsache, die ihm plötzlich sehr bewusst war. "Ich musste immer als doppelt so schlau rüberkommen bei den Lehrern, öfter melden, weil die sonst dachten, was ist mit dem Kanaken los." Solche Erfahrungen haben ihn dünnhäutig werden lassen.

In Hip-Hop-Kreisen hat es sich herumgesprochen, dass er nicht der einfachste Interviewpartner ist. Er mag es nicht, kritisiert zu werden. Eine Videojournalistin soll neulich wegen ihm in Tränen ausgebrochen sein. Sie hat die Ironie in dem Youtube-Clip "Dissen für Promo" nicht verstanden. Da sei er komplett ausgestiegen, sagt er. Danach habe er sich aber entschuldigt. So ist das immer bei ihm. Die Wut, die sich aufgestaut hat, spürt man in seiner Musik. Es gibt etwa ein Lied über den Schlagersänger Heino. Über den rappt Ali As, "er hat einen Bekanntheitsgrad, der mir Angst einjagt". Und dass Leute wie Heino wirklich niemand brauche. In den Texten taucht recht häufig der Mittelfinger auf. Es ist nur kein normaler Mittelfinger bei ihm, sondern einer "auf Viagra". Und der geht schon länger nicht mehr runter.

In den Texten geht es viel um das Außenseiterdasein, darum, wie man trotzdem nicht den Spaß verliert. Düster, melancholisch und klug sind die Adjektive, die mit seiner Musik in Verbindung gebracht werden. Ali As, das sei ein "unterbewertetes Juwel", sagt der Musiker Olli Schulz - und spricht damit nur aus, was viele denken.

Eine Woche später, ein Fitnessstudio im Münchner Süden. In der oberen Etage hämmert ein Pressluftbohrer. Aus den Boxen tönt Metallica. Ali lässt die 20-Kilo-Hantel auf den Boden knallen. Niemand hört es. Er erzählt, wie er 2012 noch 120 Kilo wog. Und wie ihm ein altes Promo-Foto in die Hände fiel, eines, das ihn mit einem "Triple-Kinn" zeigt. Keinem einfachen Doppelkinn. Da hat er sich gedacht, dass es so ja nicht weitergehen kann. Also fing er mit dem Trainieren an, fünf Mal die Woche. Er achtet seitdem penibel auf die Ernährung, trinkt fast keinen Alkohol. Und wenn er im Studio eine Pause einlegt, dann isst er Thunfisch aus der Dose. Pur. Wegen der Proteine. Einen Lebenswandel, den man ihm ansieht. Ali As hat breite Schultern und er sagt: "Ich bin ein Hardliner, in allem, was ich mache". Auch im Fettsein sei er früher ein Hardliner gewesen.

In der Umkleidekabine trifft er einen Kollegen von früher, aus der Jürgen-Fliege-Zeit. Sie begrüßen sich mit Handschlag, machen Witze über den alten Chef. Dass der ja mittlerweile am Ammersee sitze und von dort seine Wässerchen verkaufe.

"Du hast 100 Jahre Lebenszeit, wenn es gut läuft", sagt Ali As. Die möchte er nicht mit Fragen zum Bluthochdruck verschwenden. Das neue Album, es soll bald kommen, wird noch düsterer. Spätestens dann will er es allen zeigen - "so wie ein Exhibitionist".

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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