Das Theaterstück „Teutonistan“ im Schwere ReiterWer ist Deutsch?

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Videos, Schauspiel, Musik: „Teutonistian“ liefert viel Information auf mehreren Ebenen.
Videos, Schauspiel, Musik: „Teutonistian“ liefert viel Information auf mehreren Ebenen. (Foto: Lothar Reichel)

„Teutonistan“ im Schwere Reiter fühlt der Identität der Deutschen nach, die lange nicht als solche anerkannt wurden: Eingewanderten und ihren Nachfahren. Dabei ist es selbst nur schwer zugänglich.

Kritik von Daniel Kuhn

Die Bühne ist in rotes Licht getaucht. Über die riesige Leinwand hinten im Saal flimmern drei verschiedene Videos, dazu spielt verträumte Musik. Im Zentrum der Bühne stehen zwei Schauspieler und singen über das Ende der Hoffnung. In „Teutonistan“ von Bülent Kullukcu und Karnik Gregorian im Schwere Reiter Theater passiert viel gleichzeitig, so viel ist sicher.

Die beiden Regisseure haben es sich zur Aufgabe gemacht, die deutsche Geschichte aus einer migrantischen Perspektive zu erzählen. Sie spannen den Bogen von den Hoffnungen, mit denen die ersten sogenannten Gastarbeiter in die Züge nach Deutschland stiegen, über die Enttäuschung bei der Ankunft in überfüllten Unterkünften bis zu den Kindern der dritten Generation, die trotz perfekter Sprache immer wieder hören müssen, sie seien fremd. Das Stück ist keine Anklage an die Mehrheitsgesellschaft – eher eine Bestandsaufnahme aus über 60 Jahren Migrationsgeschichte.

Auf der Bühne verwirklichen Kullukcu und Gregorian das in einer Collage verschiedener Geschichten und Handlungsebenen. Den Rahmen bildet eine Adaption des türkischen Romans „Die Haltlosen“ von Oğuz Atay. Die beiden Regisseure haben ihn abstrahiert und nach Deutschland versetzt. In ihrer Version rekonstruiert Turgut Özben (Murali Perumal) das Leben seiner toten Tante Selma Aydin (Anne-Isabelle Zils) und lernt dabei immer mehr über die Wirklichkeit türkischer Arbeiterinnen in Deutschland. Zwischen dieser Hauptgeschichte springt die Inszenierung rapide von Nebenstrang zu Nebenstrang: Perumal fällt aus der Rolle und erzählt, wie es ist, wegen seiner dunklen Hautfarbe als Einziger im Zug kontrolliert zu werden. Es werden Videos gezeigt, in denen Einwanderer und Nachkommen von Einwanderern ihre Beziehung zu Deutschland erklären; dann geht es um die rassistischen Ausfälle auf Sylt 2024.

Die Geschichten passen oft nicht zueinander, es bildet sich keine zusammenhängende Erzählung – erst gemeinsam ergeben die verschiedenen Fragmente einen Sinn. Für den Zuschauer bedeutet das viel Eigenleistung. Und die wird nicht leichter durch das Eindrucks-Feuerwerk, das auf der Bühne abgefeuert wird.

Da ist das Spiel von Perumal und Zils; musikalisch begleitet von Anton Kaun und Josip Pavlov. Mit Schlagzeug, Gitarre und elektronischen Sounds greifen die beiden die Stimmung des Stücks auf und sorgen immer wieder auch für Dissonanzen. Und dann steht da noch diese riesige Leinwand. Hinten auf der Bühne laufen dort teilweise Live-Aufnahmen vom Stück, Bilder von historischen Arbeitsverträgen und krude KI-Videos gleichzeitig, die stereotypisch deutsche und nicht-deutsche Familien zeigen. Diese Flut an Bildern und Tönen zusammen mit den kurzen, oft isolierten Szenen lässt die Inszenierung teils wie einen Tiktok-Feed wirken, der mit aller Macht um unsere Aufmerksamkeit kämpft.

„Teutonistan“ gibt dem Publikum zu denken und öffnet neue Sichtweisen, gerade auf das Schicksal eingewanderter Frauen. Dabei verlangt das Stück seinen Zuschauern viel ab: Wer nicht aktiv mitdenkt, verschiedene Ebenen jongliert und die teils forciert poetische Sprache entschlüsselt, wird den Saal mit Fragezeichen verlassen. „Teutonistan“, erzählt eine Geschichte über die Vielen, die viele betrifft – durch seine Inszenierung aber nur wenigen zugänglich ist.

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