Test:Zwei Herren namens Anja

Die versprochene schnelle "Prime now"-Zustellung klappt - wenn auch nicht ganz genau wie angekündigt

Von Christian Krügel

Das Marketing hat der Logistik-Riese Amazon an diesem Mittwochmorgengut hinbekommen: Eine ganze Flotte nachtblau lackierter Kleinwagen mit "Prime now"-Logo kurvt plötzlich durch den Berufsverkehr der Stadt. Die PR-Abteilung verkündet zudem, in der Innenstadt mit E-Cargo-Rädern zuzustellen. Statt in Paketen soll die Ware in Papiertüten gebracht werden, leicht entsorg- und recycelbar - Amazon gibt sich grün und hip. Nur funktioniert das Angebot auch?

Der Test der SZ-Redaktion beginnt bei Google Play oder im App-Store von Apple oder Amazon - die erste Einschränkung von "Prime now": Es funktioniert nur von Handy oder Smartphone, nicht von Laptop oder PC aus. Und auch wer schon die klassische Amazon-App nutzt, muss sich das Zusatzprogramm laden. Startet er die Anwendung, wird der Kunde zunächst nach seiner Postleitzahl gefragt. Im Fall der SZ-Redaktion an der Hultschiner Straße kommt die Nachricht: "Wir beliefern das Postleitzahlengebiet 81677!" Für viele Umlandgemeinden meldet Amazon, dass dort immerhin der Zwei-Stunden-Service angeboten wird. Danach läuft alles wie bei einer normalen Bestellung, allein das Warenangebot ist beschränkter.

Der Testkauf: ein hochwertiger Kopfhörer und ein neuer USB-Stick. Beides sollte eigentlich abends im nahen Elektrogroßmarkt gekauft werden, bei dem netten Verkäufer, mit dem man leicht mal eine halbe Stunde über On-Ear-, Over-Ear- und Bluetooth-Kopfhörer ratschen kann. Aber heute Abend gibt es Biergartenwetter und jetzt große Neugierde. Also los: Die Kopfhörer-Auswahl von "Prime now" ist überschaubar, aber in Ordnung, der Preis auch. Das gilt auch für den sehr hochwertigen USB-Stick mit 32 Gigabyte. Der Mindestbestellwert von 20 Euro wird leicht überschritten, also lotst einen die Anwendung zu den entscheidenden Seiten: Wann soll die Ware zugestellt werden? Sofort! Wohin? An die Büroadresse, in einem eigenen Feld kann man Sonderwünsche eintragen, etwa dass der Pförtner die Ware entgegennimmt. Bezahlt wird, wie bei Amazon üblich.

Um 9.49 Uhr wird die Bestellung per Handy aufgegeben. Um 9.51 Uhr kommt die Bestätigung per SMS, inklusive Link zum Münchner Stadtplan. Dort blinkt jetzt ein violetter Punkt nahe der Hopfenpost, der zentralen Amazon-Verteilstation. Und es leuchtet eine verheißungsvolle Botschaft auf: "Anja ist auf den Weg zu Ihnen!" Sofort ist der nette Fachverkäufer aus dem Elektrogroßmarkt vergessen, denn Anja ist bestimmt eine ganz besonders charmante Amazon-Hostess im "Prime now"-nachtblauen Kostüm. Und sie ist schnell: Ihr violetter Punkt nähert sich schon nach 15 Minuten flott Steinhausen. Um 10.23 Uhr, exakt 34 Minuten nach der Bestellung biegt Anja auf den Vorplatz vor das Verlagshochhaus.

Allerdings: Statt dem ökologisch-korrekten E-Bike oder zumindest einem der nachtblauen Flitzer kommt ein durchschnittlicher Kleinwagen eines Billigverleihers. Und statt Anja entsteigen zwei mittelalte Herren mit Glatze und Neigung zum Bauchansatz. Wo ist Anja? "Die hatte die Schicht davor, und ich hab mich noch nicht als ich eingeloggt", sagt der Cheffahrer, der seinen Kompagnon offenbar gerade einlernt. Immerhin: Sie drücken dem Kunden die versprochene Papiertüte nebst korrekter Ware in die Hand. Der Kunde staunt und vergisst mal eben alle sozialen und ökologischen Bedenken.

Dann macht er sich doch große Sorgen um seinen kompetenten Kopfhörer-Verkäufer. Denn er ahnt: Amazons Angriff auf den Münchner Einzelhandel könnte gelingen - erst recht, wenn Anja mit dem E-Bike kommt.

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